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Infektionskrankheiten: "Mikroben werden immer das letzte Wort haben"

In Singapur beraten Minister und Experten über die Herausforderungen für die asiatischen Gesundheitssysteme. Ganz oben auf der Agenda stehen Seuchen wie die Vogelgrippe H7N9, doch auch die modernen Zivilisationskrankheiten werden zu einem immer größeren Problem.
Hohe Bevölkerungsdichte

Zehn Jahre ist es her, dass die SARS-Epidemie die Welt in Atem hielt. Gut 800 Menschen starben an der Virusinfektion der Atemwege. Obwohl das Coronavirus sich blitzschnell von China in andere Teile der Welt ausbreitete, blieb der Menschheit ein Pandemie epischen Ausmaßes erspart. Ein Jahrzehnt und ein paar Epidemien später stellte sich in dieser Woche der erste World Health Summit Asia in Singapur die Frage: Ist Asien auf die nächste Epidemie vorbereitet? Wie bestellt, lieferte China mit dem neuen Vogelgrippevirus H7N9 die Vorlage für die dreitägigen Debatten unter den 900 Teilnehmern aus aller Welt im schicken Fünf-Sterne-Palast Ritz Carlton Millennium über öffentliche Gesundheitssysteme, Forschung, Politik und Wirtschaft in Asien.

Internationaler Austausch | Die asiatischen Gesundheitsminister suchen gemeinsam Lösungen für die gesundheitlichen Herausforderungen in ihrer Region.

Um es gleich zu sagen: ein klare Antwort auf die Frage blieben die Experten schuldig. Dafür ist Gesundheit in Asien ein zu weites Feld, ein zu komplexes Thema und der Kontinent selbst zu vielfältig. Und Epidemien sind nicht auf schlagzeilenträchtige Viren reduzierbar. "Nichtübertragbare Krankheiten, vor allem Krebs, Herzerkrankungen, metabolische Krankheiten, neurologische und psychische Erkrankungen sind die führenden Krankheiten und Todesursachen in Asien", heißt es im Abschlusskommuniqué der M8 Allianz zum Ende der Konferenz. Der internationale Zusammenschluss führender akademischer Forschungs- und Lehrinstitutionen hat das Ziel, durch Zusammenarbeit mit Entscheidungsträgern aus Politik und Wirtschaft wissenschaftsbasierte Lösungen zur Verbesserung der globalen Gesundheit zu finden.

Von Berlin in die weite Welt

Der jährliche World Health Summit wurde 2007 von Professor Detlev Ganten von der Charité in Berlin aus der Taufe gehoben. Die Konferenz in Singapur ist die erste, die außerhalb Berlins stattfindet. Die Wahl Asiens kommt nicht ungefähr. Asien ist Heimat von 60 Prozent der Weltbevölkerung; die Wirtschaft wächst sehr viel energischer als im Rest der Welt; krasse Armut und obszöner Reichtum verschärfen soziale Spannungen; Asien sieht sich in den kommenden Jahren massiven gesundheitlichen Herausforderungen sowohl durch übertragbare als auch durch chronische nichtübertragbare Krankheiten gegenüber.

Forscher präsentieren neue Ergebnisse | Auf dem World Health Summit stellen Wissenschaftler aktuelle Ergebnisse und Strategien vor.

"Die moderne Medizin macht fantastische Dinge", sagt Professor Ganten. Aber sehr viele dieser Forschungsergebnisse würden den "sieben Milliarden Menschen nicht zur Verfügungen stehen". "Deshalb müssen wir die Frage stellen: tun wir das Richtige in der medizinischen Forschung?" Ganten sieht zwei Defizite: Es werde zu wenig geforscht, um Krankheiten zu verhindern. "Prävention ist das Gebot der Stunde", betont der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Charité–Universitätsmedizin. Zudem würden in die medizinische Forschung nicht die kulturellen und ethnischen Unterschiede der Weltregionen einbezogen. Ganten nennt Lungenkrebs und Diabetes als Beispiele für Krankheiten, die in Asien nicht immer den gewohnten Mustern entsprechen. "Wir sehen eine signifikante Zahl von Lungenkrebsfällen bei Asiaten, die zwar nicht rauchen, dafür aber eine einzigartige Mutation aufweisen. Indien und China haben ein hohe Inzidenz von Diabetes, trotz der Abwesenheit von krankhaftem Übergewicht."

Urbanisierung und Disease Cowboys

Spätestens 2030 werden 60 Prozent der Asiaten in Städten leben. Urbanisierung aber schafft immer mehr Brutstätten für Epidemien. "Krankheiten können leichter die Barriere zwischen Tier und Mensch überspringen, wenn beide eng zusammenleben und wenn beide in großer Zahl vorkommen. Die Bevölkerungsdichte und damit einhergehend die Intensität von Landwirtschaft mit Tierhaltung ist von großer Bedeutung bei der Frage für die Interaktion von Organismen mit Menschen", sagt Professor David Heymann, der wegen seiner prominenten Rolle bei der Erforschung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten von Ebola über SARS bis Aids weltweit zu jener kleiner Gruppe von Wissenschaftlern mit dem Spitznamen "Disease Cowboys" zählt.

Anfällige Megastädte | Die hohe Bevölkerungsdichte in vielen asiatischen Ländern macht es Krankheiten einfach, sich zu verbreiten.

Ein aktuelles Beispiel für diese Zusammenhänge ist Shanghai, wo wie aus dem Nichts das neue Vogelgrippevirus H7N9 aufgetaucht ist. Wie SARS vor einer Dekade verbreitet auch H7N9 Angst und Unsicherheit. Anders aber als bei SARS ist der Umgang der chinesischen Behörden mit der neuen Bedrohung, die seinerzeit zunächst alles daran setzten, SARS zu vertuschen. "China hat seine Kontrollmechanismen seit SARS wesentlich verbessert. Zudem hat es verstanden, wie wichtig es ist, Infektionen zu melden und Informationen zu veröffentlichen", betont der Epidemiologe Heymann.

Seit SARS seien zudem auch die internationale Meldesysteme für Infektionskrankheiten ausgebaut worden, die Wissenschaft habe bessere Diagnosemöglichkeiten entwickelt, auch in Asien stünden Labore zur Analyse von Proben aus infizierten Tieren und Menschen zur Verfügung. Bei aller Datenflut bleibt laut Heymann jedoch "das Unbekannte das größte Risiko". Niemand sei in der Lage vorherzusagen, wie sich das Virus verhalten wird, ob sein "Potential für eine Pandemie" entwickeln, ob es in paar Wochen wieder im Nichts verschwinden oder aber relativ unverändert – wie das 'normale' Vogelgrippevirus H5N1 – lange Zeit relativ unverändert präsent sein wird.

Tödlicher Lebensstil

Peter Piot ist über jeden Verdacht erhaben, die Gefahr von Infektionskrankheiten zu verharmlosen. Der Direktor des M8-Mitglieds London School of Hygiene and Tropical Medicine kritisiert jedoch die Unverhältnismäßigkeit der öffentlichen und politischen Aufmerksamkeit gegenüber Gesundheitsgefahren, die durch spektakuläre Viren wie H7N9 drohen, und den "anderen Epidemien" Asiens durch nichtübertragbare Krankheiten wie Diabetes, Übergewicht oder Gesundheitsprobleme durch Rauchen. "Die töten mehr Menschen als alle Infektionen. Indien hat weltweit noch immer die größte Zahl unterernährter Menschen. Aber Indien wird bald auch die größte Zahl überernährter Menschen haben. Damit umzugehen wird sehr viel schwieriger. Sie sind Folgen des Lebensstils. Das ist eine neue Art der Herausforderung."

Peter Piot | Peter Piot ist Direktor des M8-Mitglieds London School of Hygiene and Tropical Medicine.

Piot beklagt, das Gesundheit, Gesundheitspolitik und die Einrichtung von Gesundheitssystemen in Asien bislang keine besondere politische Bedeutung erfahren haben. Auf der anderen Seite investieren selbst arme Länder wie Indien oder Bangladesch sehr viel Geld, um vom blühenden globalen Medizintourismus zu profitieren. "Sie haben Gesundheitseinrichtungen mit Hightech und Spitzenqualität und nebenan im Slum gibt es nichts. Diese Ausprägung der Globalisierung von Gesundheit ist moralisch nicht zu akzeptieren." Ein anderes Problem ist für Piot der Export von medizinischem Personal aus Entwicklungsländern wie den Philippinen in die reichen arabischen Golfstaaten, die asiatischen Kliniken des Medizintourismus und die Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen der entwickelten Länder.

"Es gibt auch in vielen asiatischen Ländern inzwischen einen Willen bei Regierungen, Gesundheitssysteme zu entwickeln. Zum Beispiel die 30-Baht-Krankenversicherung, die Thailands ehemaliger Premierminister Thaksin Shinwatra eingeführt hat. Man kann von Thaksin halten, was man will, aber das ist ein gutes Beispiel für ein bezahlbares System. China steckt mitten in einer großen Reform des Gesundheitswesens." Gesundheitspolitik und Gesundheitssysteme sind für Piot eine "Dimension der Menschenrechte". Unzureichende oder gar fehlende Gesundheitssysteme und ungleich verteilter Zugang zu solchen Systemen seien eine gesellschaftliche und politische "Zeitbombe", sagt der gebürtige Belgier. Das müsse Regierungen bewusst sein. "Ich glaube, das hat die Chinesen dazu gebracht, ihr Gesundheitssystem zu reformieren."

Vorbild AIDS

Piot zeigt aber nicht nur aus dem akademischen Elfenbeinturm mit dem Finger auf die asiatischen Politiker als alleinige Schuldige an der oft schlechten Gesundheitsversorgung ihrer Bevölkerungen. "Wir Wissenschaftler haben auch versagt. Wir lieben zu sehr unsere Nabelschau und sind manchmal zu selbstgefällig." Dabei habe der Kampf gegen Aids gezeigt, was möglich ist, wenn Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Betroffene zusammenarbeiten. Der langjährige Chef von UNAIDS betont: "Wir brauchen eine politische Strategie, so wie wir das mit Aids gemacht haben. Das haben wir im Gesundheitsbereich noch nicht."

Blinde Passagiere im Federvieh | Lebendes Geflügel, das in Asien auf den Märkten verkauft wird, kann Menschen mit gefährlichen Viren wie der Vogelgrippe in Kontakt bringen.

Unterdessen kämpft Südostasien fast unbemerkt gegen die alltäglichen Epidemien. In Kambodscha sind alleine in diesem Jahr bereits acht Menschen – darunter sechs Kinder – an dem 'normalen' Vogelgrippevirus H5N1 gestorben. Vietnam meldete vor wenigen Tagen den ersten H5N1-Toten seit einem Jahr. In Singapur befürchten die Experten den schwersten Dengueausbruch seit Jahren, obwohl die Denguebekämpfung in dem Stadtstaat beispielhaft ist.

Das erinnert Piot an Louis Pasteur, den Vater der Mikrobiologie: "Der sagte vor über einhundert Jahren vor der Academie Francaise, 'Messieurs' – natürlich waren damals nur Männer Akademiemitglieder – 'Mikroben werden immer das letzte Wort haben'."

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