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Interessenkonflikte in der Medizinforschung: Mein Essen bezahle ich selbst!

Ein deutscher Mediziner berichtet von seinen persönlichen Erfahrungen im Umgang mit Interessenkonflikten in der medizinischen Forschung sowie in seiner Tätigkeit als Arzt. Bei diesen kommen vertrackte psychologische Mechanismen zum Tragen. Wie lässt sich das Problem am besten angehen?
Bestechliche Mediziner?

Als ich Mitte der 1990er Jahre ein junger Arzt in Freiburg war, lud mich eine Pharmafirma zu einer fünftägigen Reise nach Stockholm ein. Dort stellte sie einige Stunden lang ein neues Medikament vor, das sie gerade auf dem Markt eingeführt hatte. Der Rest der Reise bestand aus Essen, Stadtführungen und Übernachtungen im Fünf-Sterne-Hotel. Im Anschluss an die Tagung erhielten alle Teilnehmer Arzneimittelmuster, Büromaterial und Fachbücher – kostenlos, versteht sich. Kaum war ich 1999 Oberarzt geworden, trafen immer mehr Angebote von Pharmafirmen ein, meine Vorträge zu sponsern, die ich in anderen Kliniken hielt. Die Honorare waren attraktiv, und man versicherte mir, dass ich die Inhalte meines Vortrags ganz frei wählen könne. Im Anschluss an meinen Vortrag warb die jeweilige Firma dann an einem kleinen Stand für ihr Medikament.

Später führte ich auch klinische Auftragsstudien für die Industrie durch. Dabei legen die Firmen einer Universitätsklinik ein Studienprotokoll zum Testen eines Medikaments vor. Die Klinik rekrutiert dann Patienten und behandelt sie nach dem Protokoll. Dafür erhält der Studienleiter ein Honorar, über das er zum großen Teil frei verfügen kann. Er hat jedoch keinen Zugriff auf die Daten – er weiß nicht, was später damit passiert – und auch kein Publikationsrecht. Laut Vereinbarung besitzt allein die Firma die Hoheit über die Daten. Heute erhalte ich als Chefarzt einer Universitätsklinik einen Teil meiner Vergütung leistungsorientiert. Das heißt: Ich erhalte Zuschläge, wenn ich bestimmte ökonomische Ziele erreiche oder bestimmte Forschungsleistungen erbringe, gemessen an Drittmitteleinwerbungen und Publikationen.

Aus Spektrum der Wissenschaft 06/2013
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Diese vier Beispiele aus meiner persönlichen Erfahrung zeigen die vielen Fassetten des Problems "Interessenkonflikte in der Biomedizin" auf, die jeweils ihre ganz eigenen Schwierigkeiten mit sich bringen. Doch was genau sind überhaupt Interessenkonflikte, und wie wirken sie? Welche Risiken entstehen daraus, und wie kann man mit ihnen professionell am besten umgehen? Interessenkonflikte entstehen dann, wenn unterschiedliche Interessen zweier Parteien aufeinandertreffen, die nicht miteinander kompatibel sind. Dies ist bei Kooperationen zwischen Medizinern und Industrie sehr häufig der Fall. Das primäre Interesse des Arztes sollte es sein (so lautet schon der hippokratische Eid), das Bestmögliche für den Patienten zu tun und Schaden von ihm abzuwenden. Ähnlich versucht der Wissenschaftler, nach bestem Wissen und Gewissen nach der "Wahrheit" zu forschen.

Wahrheit versus Gewinnmaximierung?

Demgegenüber sind Industrie und Wirtschaft verständlicherweise zunächst einmal an Gewinnmaximierung interessiert: Wie lassen sich ihre Produkte profitabel entwickeln und verkaufen? An diesem Ziel ist erst einmal überhaupt nichts auszusetzen. Wenn aber die beiden Welten aufeinandertreffen, entstehen zwangsläufig Reibungspunkte. Nun passiert es normalerweise kaum, dass Firmen auf Ärzte zugehen und sagen: Hier haben Sie 1000 Euro, und dafür verschreiben Sie nur noch unser Produkt und nicht mehr das der Konkurrenzfirma. Oder: Hier haben Sie 10 000 Euro, und dafür setzen Sie bei Ihrer Krankenhausapotheke durch, dass nur noch unser Medikament gelistet ist. Das wäre Korruption, und die ist gar nicht das größte Problem.

Zwar gibt es natürlich auch solche Fälle in der Ärzteschaft, und selbstverständlich muss alles getan werden, um diese zu verhindern. Viel weit reichender sind aber die unterschwelligen Interessenkonflikte. Denn diese wirken innerhalb legaler Grenzen und dabei so subtil, dass die meisten Ärzte es gar nicht merken. Denn sie haben einen "blinden Fleck" dafür, dass sie beeinflusst werden. Mit anderen Worten: Das Geniale und zugleich Wirkungsvolle an dieser Art von Manipulation ist, dass sie stattfindet und die Betroffenen dennoch gleichzeitig das Gefühl der Unabhängigkeit und Objektivität haben.

Dieser "blinde Fleck" wird deutlich, wenn man Ärzte erstens fragt, ob sie Geschenke der Industrie annehmen und sich dadurch in ihrem Verordnungsverhalten beeinflusst fühlen, und zweitens wissen will, wie sie die Situation bei ihren Kollegen einschätzen. In einer von meiner Arbeitsgruppe durchgeführten Umfrage unter 300 deutschen Ärzten kam heraus: Sich selbst halten die Mediziner trotz der Annahme von Geschenken für weit gehend immun. Bei ihren Kollegen dagegen bewerten sie die Gefahr der Beeinflussung als drei- bis viermal höher! Sie können (wie wohl alle Menschen) diese also offenbar bei sich selbst schlechter wahrnehmen als bei anderen.

Das ist einer der wichtigsten Gründe dafür, dass Interessenkonflikte konsequent offengelegt werden müssen – denn sie bringen Risiken mit sich. So wird ein Arzt möglicherweise nicht mehr das Medikament verschreiben, das er für das beste hält, sondern das, was er auf einer gesponserten Fortbildungsreise kennen gelernt hat oder was gerade ein Pharmavertreter mit Geschenken wie einer Essenseinladung oder Arzneimittelmustern beworben hat.

Gefälligkeiten wollen erwidert sein

Hier kommt ein psychologischer Mechanismus zum Vorschein, die so genannte Reziprozitätsregel: Jeder Mensch hat eine starke unbewusste Tendenz, Gefälligkeiten zu erwidern, selbst wenn diese nicht erbeten oder erwünscht waren. Dies gilt sogar, wenn wir die Person, die uns etwas Gutes tut, gar nicht mögen. Kleine Geschenke oder Einladungen zu Kongressen fördern demnach unbewusst die Neigung, sich dafür erkenntlich zu zeigen – etwa ganz einfach durch die häufigere Verschreibung des entsprechenden Medikaments. Ein zweites Risiko ist, dass Urteile durch Interessenkonflikte verzerrt werden. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn ein Oberarzt einen Vortrag hält, der von einer Firma mit einem üppigen Honorar gesponsert wird. Er wird dadurch unbewusst dazu verleitet, sich positiv zu dem Produkt der Firma zu äußern und negative Aspekte auszublenden.

Kostenlose Medizin? | Wer für Vorträge und Veranstaltungen Geld von Firmen erhält, läuft Gefahr, beeinflusst zu werden, sogar ohne es selbst wahrzunehmen.

Der hier zu Grunde liegende psychologische Mechanismus ist das Phänomen der motivierten Evaluation: Empfinden wir eine von mehreren möglichen Interpretationen ("Das Medikament X ist besser als das Medikament Y") als vorteilhaft, prüfen wir alle Informationen, die zu dieser Interpretation passen, weniger streng, akzeptieren sie schneller, nehmen sie stärker wahr und geben ihnen mehr Gewicht. Informationen dagegen, die der Interpretation widersprechen, behandeln wir umgekehrt. Dieses verzerrte Urteil kann auch bei Ärzten zum Tragen kommen. Durch das Honorar und die unausgesprochene Erwartungshaltung der Firma sind sie unbewusst eher bereit, positive Aspekte des Medikaments zu sehen und zu betonen und negative auszublenden. Das Verzwickte dabei ist: Ein wesentliches Merkmal der motivierten Evaluation ist gerade das Gefühl der Objektivität auf Seiten der Betroffenen. Kein Wunder also, dass diese Marketingstrategie der Firmen seit Jahrzehnten wunderbar funktioniert, ohne durchschaut zu werden.

Auftragsstudien der Pharmaunternehmen gefährden die Objektivität und Neutralität der Forschung

Wie sehen nun die Risiken aus, die bei der Durchführung von Auftragsstudien für die pharmazeutische Industrie entstehen? In Kooperation mit Wolf-Dieter Ludwig und Gisela Schott, beide Herausgeber des unabhängigen "Arzneimittelbriefs", habe ich eine systematische Übersichtsarbeit zu den Einflüssen der pharmazeutischen Industrie auf die Durchführung und Publikation von Arzneimittelstudien bis 2009 erstellt. Hierbei wurden mehrere Risiken für die Objektivität und Neutralität der Forschung deutlich. Erstens: Indem der Auftraggeber das Forschungsziel festlegt, also wo zu welcher Frage geforscht wird, besteht die Gefahr, dass Themen vernachlässigt werden, bei denen eigentlich ein viel höherer Forschungsbedarf besteht. Darüber hinaus bindet das Kapazitäten, die an anderer Stelle fehlen.

Ein Beispiel aus meinem eigenen Fachgebiet mag das verdeutlichen. Es kommen immer wieder neue Antidepressiva zur Ersttherapie von Depressionen auf den Markt, aber wir haben bislang kaum harte Belege dafür, was zu tun ist, wenn zwei solche Medikamente versagt haben. Hier braucht es mehr unabhängige Studien universitärer Institute, die ihre Forschungsgebiete nur nach dem Nutzen für die Patienten auswählen. Zweitens: Da die Pharmaindustrie die Forschungsmethode bestimmt, besteht die Gefahr, dass nicht ein Studiendesign gewählt wird, das am besten den wahren Effekt eines Medikaments zeigt – denn daran hat die Firma kein primäres Interesse. Vielmehr legt sie häufig ein Studiendesign fest, das am wahrscheinlichsten eine Überlegenheit ihres Produkts gegenüber seinen Konkurrenten zeigt. Drittens: Die Datenhoheit liegt beim Auftraggeber. Zumindest bei Medikamentenprüfungen haben die durchführenden Kliniken keinen Zugriff auf die Daten und in der Regel auch keine Publikationsrechte. Dadurch könnten Daten unter den Tisch fallen, die nicht in die Marketingstrategie der Firma passen. Man bezeichnet das auch als "publication bias" – also das Nichtveröffentlichen negativ ausgefallener Studienresultate und eine überproportionale Publikation von positiven Ergebnissen. Diese Strategie vieler Firmen hat zu einer erheblichen Überschätzung der Effekte vieler Medikamente geführt und dadurch Patienten gefährdet. Hinzu kommt, dass einige Firmen Informationen über unerwünschte Arzneimittelwirkungen nicht veröffentlicht haben, weil sie befürchteten, dass sie dann das Medikament vom Markt nehmen müssten. Dies hat etwa im Fall des Schmerzmittels Vioxx nachweislich zu vielen Todesfällen geführt, die vermeidbar gewesen wären.

Neben Kooperationen mit pharmazeutischen Unternehmen führt aber auch die zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitswesens zu Interessenkonflikten. Im letzten der vier einleitenden Beispiele hatte ich die Problematik von Chefarztverträgen erwähnt. Das weckt Erinnerungen an die jüngsten Transplantationsskandale. In einem Fall soll der betroffene Oberarzt für jede verpflanzte Leber mehrere tausend Euro Bonus von der Klinikleitung erhalten haben – ein klarer Interessenkonflikt mit dramatischen Konsequenzen.

Aber auch der aktuell diskutierte Verdacht, dass immer mehr und mehr operiert wird, könnte seinen Ursprung in Interessenkonflikten haben: Bei der Vorgabe von ökonomischen Zielen durch die Klinikleitung – etwa eine bestimmte Anzahl von Hüftoperationen pro Jahr durchzuführen – kann es unbewusst passieren, dass der Arzt seinen Patienten eher eine Operation empfiehlt, auch wenn sie streng genommen nicht angezeigt ist. Es ist daher erfreulich, dass Bundesärztekammer und Deutsche Krankenhausgesellschaft diese problematischen Bonusverträge, die falsche Anreize schaffen, jetzt abschaffen wollen.

So weit zum Problem. Welche Maßnahmen sind nun für einen professionellen Umgang mit Interessenkonflikten sinnvoll?

  • Es muss erst einmal überhaupt ein Bewusstsein dafür geschaffen werden.
  • Es gilt Interessenkonflikte offenzulegen und damit für andere sichtbar und überprüfbar zu machen.
  • Wir brauchen klare Regeln, um die daraus entstehenden Risiken beherrschen zu können.
  • Interessenkonflikte sollten – wo immer möglich – durch selbstkritisches und entschlossenes Handeln vermieden werden.
Der erste Punkt ist nötig, da viele Ärzte und Wissenschaftler sich auf Grund ihres "blinden Flecks" das Vorhandensein von Interessenkonflikten gar nicht klarmachen. Fortbildungsveranstaltungen, Seminare und Vorlesungen für Studierende würden hier das allgemeine Bewusstsein fördern. Forschungsprojekte könnten deutlich machen, wo Interessenkonflikte bestehen und wie sie wirken.

Nein, danke | Nicht direkte Bestechung, sondern unterschwellige Beeinflussung durch Gefälligkeiten der Pharmaindustrie stellt das größte Risiko für die Unabhängigkeit von Ärzten und Forschern dar.

Um derartige Manipulationsmechanismen sichtbar zu machen, ist Punkt zwei unerlässlich – Transparenz. Manch einer mag nun einwenden, dass es eine solche Offenlegung gerade in der Medizin bereits gibt, ich also Eulen nach Athen trage. Allerdings läuft das bislang normalerweise so ab: Ein Arzt oder Wissenschaftler wird von einer Fachzeitschrift oder einer Leitlinienkommission darum gebeten, seine Interessenkonflikte offenzulegen. Dies tut er, indem er die Namen der Firmen nennt, mit denen er zusammengearbeitet hat. So weit, so gut. Aber dann soll der Betroffene zusätzlich selbst beurteilen, ob er dadurch seine Meinungsäußerung beeinflusst sieht oder nicht. Gerade das ist aber auf Grund des erwähnten "blinden Flecks" nur schwer möglich. Entsprechend verneinen die Beteiligten regelmäßig, Interessenkonflikte zu haben.

Entscheidend: Bewertung durch andere

Daraus ergeben sich zwei Konsequenzen: Die Offenlegung muss erstens umfassend und detailliert sein, und zweitens müssen andere Personen beurteilen, ob der Interessenkonflikt ein Risiko für ein verzerrtes Urteilen oder Handeln mit sich bringt. Die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, bei der ich die Arbeitsgruppe Interessenkonflikte leite, oder das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) haben genau das umgesetzt. Da beide die Wirksamkeit von Arzneimitteln bewerten, ist die Unabhängigkeit ihrer Mitglieder und Experten entscheidend. Sie verwenden daher Formblätter, die detailliert nach allen Arten von Interessenkonflikten fragen, und zwar unabhängig davon, ob der Betroffene eine Beeinflussung sieht oder nicht. Aufzuführen sind etwa Vortrags- oder Gutachterhonorare, Unterstützungen für Kongressbesuche oder Forschungsprojekte, aber auch Tätigkeiten in Berufsorganisationen oder für Krankenkassen. Der Vorstand beziehungsweise unabhängige Gremien sichten dann die derart offengelegten Interessenkonflikte, bewerten anschließend das Risiko einer Beeinflussung und können gegebenenfalls Wissenschaftler von Bewertungen von Arzneimittelstudien ausschließen.

Welche Regeln sind schließlich erforderlich, um die Risiken aus Interessenkonflikten beherrschbar zu machen, und wie können solche Konflikte wirksam reduziert werden? Es lassen sich drei Gruppen unterscheiden: solche, die sich jeder einzelne Arzt oder Wissenschaftler selbst auferlegen kann; solche, die Institutionen wie Hochschulen oder Kommissionen zum Umgang mit Interessenkonflikten aufstellen; und solche, die der Gesetzgeber in Form von Gesetzen erlassen kann.

Regeln der ersten Gruppe sollten am besten direkt Eingang in die Berufsordnung der Ärzte finden. Leider ist mit dieser momentan in einem weiten Rahmen vereinbar, Geschenke und Zuwendungen etwa der Pharmaindustrie anzunehmen. Das muss sich ändern. Viele Ärzte und Wissenschaftler haben sich inzwischen entschlossen, auf persönliche Zuwendungen freiwillig zu verzichten, um unabhängiger zu sein. Ich selbst arbeite zwar selbstverständlich mit der Pharmaindustrie auf wissenschaftlicher Ebene zusammen. Allerdings nehme ich seit sechs Jahren keinerlei Gelder mehr von ihr für Vorträge, Veranstaltungen oder Ähnliches an.

Keine Geschenke mehr

In der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Mainz, die ich leite, werben keine Pharmavertreter auf den Stationen, es gibt keine Werbegeschenke, und wir nehmen auch kein Geld der Industrie für Fortbildungsveranstaltungen und keine Arzneimittelmuster an. Damit gehören Reisen wie die eingangs erwähnte nach Stockholm der Vergangenheit an. Diese Maßnahmen verleihen mir ein viel höheres Maß an Unabhängigkeit in meiner Verordnung von Medikamenten, aber auch bei Empfehlungen, die ich in Vorträgen abgebe.

In Deutschland gehören etwa 350 Ärzte der Ärzteinitiative MEZIS an. MEZIS steht für "Mein Essen zahl ich selbst" und ist der deutsche Ableger der internationalen "No free lunch"-Bewegung. Diese hat sich einer rationalen, rein evidenzbasierten Medizin verpflichtet und verzichtet auf alle Formen von Vergünstigungen durch die Pharmaindustrie. Der englische Slogan "There's no such thing as a free lunch" ist dabei noch viel treffender als die Eindeutschung "MEZIS", denn er steht nicht nur dafür, dass man sich nicht einladen lässt, sondern auch dafür, dass eine solche Einladung grundsätzlich nicht wirklich "for free" ist – es also so etwas wie ein kostenloses Essen mit der Industrie ohne Konsequenzen gar nicht gibt.

Leitbilder für eine gute Zusammenarbeit Kooperationen zwischen Industrie und Hochschulen sind wichtig und wirken sich häufig positiv für Patienten und Gesellschaft aus – zum Beispiel dann, wenn neue, wirkungsvolle Medikamente entwickelt werden. Gibt es aber keine klaren Spielregeln, entstehen die erwähnten Risiken, die das Patientenwohl gefährden können. Entscheidend dürfte sein, Leitbilder für die Zusammenarbeit zwischen den beiden Bereichen zu entwickeln: ein Regelwerk, das weit über die gesetzlichen Vorgaben zur Korruptionsvermeidung hinausgeht. Die Hochschulen in den USA sind hier sehr viel weiter – fast alle medizinischen Fakultäten haben schon mehr oder weniger strenge "policies".

Die Hochschulen müssten darüber hinaus aber auch unabhängige Gremien einsetzen, welche die Gestaltung von Kooperationsverträgen mit der Industrie bewerten und den Umgang mit Interessenkonflikten steuern. Auf diese Weise ließen sich zudem Zielvereinbarungen mit Hochschullehrern daraufhin untersuchen, ob sie keine falschen Anreize beinhalten. Zur angestrebten "guten Praxis" gehört auch, dass Hochschulen ihre Kooperationsverträge mit der Industrie offenlegen. Dabei geht es um die Rahmenbedingungen und nicht um die Inhalte, die möglicherweise der Geheimhaltung unterliegen. Werden mit diesem Argument allerdings die allgemeinen Regeln der Zusammenarbeit nicht bekannt gemacht, wie kürzlich beim Kooperationsvertrag der Universität zu Köln mit der Bayer AG geschehen, hat man durchaus das Recht, misstrauisch zu sein.

Stärkt die unabhängige Pharmaforschung

Großen Handlungsbedarf sehe ich insbesondere bei der Auftragsforschung. Die Wissenschaftler müssen über die verwendete Methode mitentscheiden können, vollen Zugang zu den Daten haben, die Interpretationshoheit über die Ergebnisse sowie das Publikationsrecht besitzen, und alle Studien müssen registriert und veröffentlicht werden. Immerhin hat der Gesetzgeber kürzlich eine verpflichtende Registrierung aller klinischen Arzneimittelprüfungen in Deutschland erwirkt – ein Schritt in die richtige Richtung. Auf diesem Gebiet gibt es auch in unserer Klinik noch ungelöste Probleme. Wir haben ein Zentrum, in dem wir viele unabhängige Studien, aber auch Auftragsforschung für die Pharmaindustrie durchführen. Wir machen das zwar nur mit solchen Medikamenten, von denen wir erwarten können, dass sie bereits auf dem Markt befindlichen Substanzen überlegen sind. Die Probleme, dass die Daten allein beim Auftraggeber liegen und wir kein Publikationsrecht haben, bleiben aber bestehen. Dafür gibt es wohl nur eine Lösung: die Stärkung der unabhängigen Pharmaforschung an den Universitätskliniken.

Brauchen wir womöglich auch neue Gesetze für Ärzte, um Interessenkonflikte und Korruption zu regeln? Der Bundesgerichtshof hat letztes Jahr mit Recht darauf hingewiesen, dass die Verordnung von Medikamenten im Vertrauensverhältnis der Arzt-Patient-Beziehung erfolgt und dass dabei andere Interessen keine Rolle spielen dürfen. Mit anderen Worten: Ärzte sind weder Beauftragte der Pharmaindustrie noch der Krankenkassen, sondern allein ihrer Patienten. Das muss der Kern der ärztlichen Haltung sein, die in der Berufsordnung der Ärzte unmissverständlich festgeschrieben werden sollte. Ob man dann noch Gesetze braucht, um Verstöße gegen diese Berufsordnung oder gegen Regeln, die sich Institutionen oder Kommissionen geben, zu ahnden, hängt davon ab, wie weit die Sanktionierungsmöglichkeiten der Ärzteschaft selbst reichen. Regeln, die sich auf die Berufsordnung oder Leitbilder beziehen, besitzen einen wichtigen Vorteil: Sie lassen sich leichter weiterentwickeln und dem Stand der Forschung und Erkenntnis anpassen. Gesetze sind naturgemäß viel starrer und unbeweglicher.

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  • Quellen
Lieb, K., Brandtönies, S.: Eine Befragung niedergelassener Fachärzte zum Umgang mit Pharmavertretern. In: Deutsches Ärzteblatt international 107, S. 392–398, 2010
Schott, G. et al.: Finanzierung von Arzneimittelstudien durch pharmazeutische Unternehmen und die Folgen (Teil 1). In: Deutsches Ärzteblatt international 107, S. 279–285, 2010
Schott, G. et al.: Finanzierung von Arzneimittelstudien durch pharmazeutische Unternehmen und die Folgen (Teil 2). In: Deutsches Ärzteblatt international 107, S. 295–301, 2010

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