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Interview mit Manfred Korfmann: 'In seiner Ilias hat Homer die Leiden des Kriegs angeprangert'




Spektrum der Wissenschaft:
Schliemann und sein Nachfolger Wilhelm Dörpfeld arbeiteten in Troia bis 1894, der Amerikaner Carl W. Blegen von 1932 bis 1938, danach blieb es fünfzig Jahre lang still auf dem kleinen Hügel in der Westtürkei. Warum haben Sie die Grabungen Ende der 80er Jahre wieder aufgenommen?


Prof. Manfred Korfmann:
Weil es vor mir keiner wollte, und weil es mir viele zugetraut haben. Auch wenn diese Arbeit heute mein Lebensinhalt ist, habe ich mich zunächst nicht darum gerissen.

Spektrum:
Aus Furcht vor dem Schatten Schliemanns?


Korfmann:
Da gab es eine Menge zu fürchten. Troia ist schließlich so etwas wie der Schicksalsberg der Archäologie. Dort hat sie ihre Methoden entwickelt. Schliemann musste sogar noch lernen, dass jüngere Siedlungsschichten auf älteren ruhen. Die Ausgrabung nach Schichten hat Dörpfeld eingeführt. Weil manche Funde Ähnlichkeiten mit solchen aus Ägypten, Mesopotamien oder Kreta aufwiesen, ließen sich die Siedlungsschichten dann aber sogar anhand der Chronologien dieser Hochkulturen in etwa datieren. Und über die troianischen Keramiken gelang es daraufhin, erstmals europäische Grabungsstätten zeitlich einzuordnen. Kurzum: Wer in Ilios graben würde, auf den würde besonders geachtet, auch auf alle seine Fehler.

Spektrum:
Sie haben es wohl richtig angefangen, denn immerhin leiten Sie die Grabungen in Troia und Umgebung seit fast zwanzig Jahren.


Korfmann:
Ich hatte schon genug Erfahrung durch andere Projekte in der Türkei, darunter zwei in Troias Nähe. Und ich war noch jung genug, um so ein Werk zu übernehmen. Eine sehr glückliche Konstellation.

Spektrum:
Das Unternehmen DaimlerChrysler unterstützt das Troia-Projekt von Anfang an. Sie sind aber nicht gerade für werbewirksame Auftritte in der Öffentlichkeit bekannt. Welchen Vorteil hat der Konzern dann von seinem Sponsoring?


Korfmann:
Das Projekt passt sicher gut zu seinem Image, denn wir arbeiten im internationalen Team, achten auf Qualität und verwenden HighTech. Dass niemand erwartet, womöglich Firmenlogos auf T-Shirts zu tragen wie beim Sponsoring im Sport, ist ebenso selbstverständlich wie die offene Diskussion darüber, wann und wo wir in den Medien berichten. Allerdings dürfte sich der Konzern kaum über mangelnde Öffentlichkeit beklagen, denn auch ohne unser Zutun erscheinen Artikel und Fernsehberichte über unsere Arbeit. Wenn Vertreter Ihrer Zunft monieren, der Korfmann sei nicht gerade entgegenkommend, dann liegt das daran, dass ich mich ohnehin kaum der Anfragen erwehren kann und mir die archäologische Arbeit immer vorgeht.

Spektrum:
Damit hat der Geologe Eberhard Zangger weniger Probleme. Er wäre sicherlich mit seiner Theorie "Atlantis gleich Troia" gern häufiger in den Medien vertreten.


Korfmann:
Offenbar lebt er teilweise davon. In Fachpublikationen werden Sie ihn nicht finden. Nur so viel zu seiner These: In insgesamt fast dreißig Jahren wurde auf dem Burgberg sehr intensiv gegraben, ohne dass Hunderte von Archäologen und anderen Wissenschaftlern dort etwas von den bei Plato genau geschilderten Merkmalen des Zentrums von Atlantis gefunden hätten. Es gab nicht den kleinsten Rest von goldverkleideten Mauern oder Dachgestühlen aus Elfenbein. Und bei 260 Sondagen im Umland, die der Erforschung der Landschaftsentwicklung galten, kamen keine Hinweise auf Siedlungsreste einer Weltmetropole um den Burgberg Troias herum zum Vorschein.

Spektrum:
Dafür aber fanden Sie und Ihre Mitarbeiter immer mehr Hinweise darauf, dass das Troia des Priamos zum anatolischen Kulturkreis gehört haben muss, obwohl der Ausgräber Carl Blegen noch in den 50er und 60er Jahren die Zugehörigkeit zu Griechenland betont hat. Hat das Konsequenzen?


Korfmann:
Salopp gesagt müssen einige Geschichts- und Griechisch-Lehrer umdenken. Aber diese Entdeckung reicht natürlich viel weiter bis in emotionale Bereiche. Vielleicht haben manche heutige Griechen das Gefühl, wir nähmen ihnen ein Stück Geschichte. Das ist aber ein Ergebnis der politischen Entwicklung unserer Zeit, denn tatsächlich waren Griechenland und Anatolien über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg eng miteinander verbunden. Daraus aber könnte man schließen, dass es nicht gerechtfertigt ist, im Hinblick auf die Europäische Union lediglich Griechenland als Wiege des Abendlandes zu sehen, die Türkei, das heißt Anatolien, aber als nicht dazugehörig.

Spektrum:
Ein wichtiges Indiz steuerten, wie im Artikel geschildert, die Naturwissenschaften bei. Welche Rolle spielt die Archäometrie für Ihre Zunft?


Korfmann:
Das Eine ohne das Andere geht nicht. Wir können nur ausgraben, in Beziehung setzen und Fragen stellen, das ist unsere Kernkompetenz. Die Naturwissenschaften liefern uns Antworten, insbesondere auf diffizile Fragen. Ein Beispiel: Nachdem in den 50er Jahren die C-14-Datierung entwickelt wurde, stellte sich heraus, dass viele Fundorte in Europa viel älter waren, als nach den von der Troia-Chronologie abgeleiteten Bewertungen angenommen. Mittlerweile haben wir diese jedoch auf feste Füße gestellt, sodass sie wieder zur Datierung europäischer Funde taugt. Und das im Artikel geschilderte Beispiel, die Datierung einer göttlichen Höhle, reiht sich ein in die Indizienkette zur "anatolischen Prägung" Troias.

Spektrum:
Schliemann hatte den "Schatz des Priamos" entgegen seinen Verträgen mit der Türkei heimlich außer Landes gebracht, nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Funde in die damalige Sowjetunion verfrachtet und galten dann als verschollen. Seit sie wieder aufgetaucht sind, ist darum ein neuer "troianischer Streit" ausgebrochen. Wie stehen Sie dazu?


Korfmann:
Es ist mir außerordentlich peinlich zumute, wenn sich Deutsche gegenüber Russland auf Völkerrecht wie die Haager Landkriegsordnung berufen und vehement die Rückgabe von Kulturschätzen fordern. Immerhin stehen wir in der Rechtsnachfolge des Dritten Reiches, das unendlich viel Leid insbesondere in das heute beschimpfte Land getragen und dort unersetzliche Kunst- und Kulturgüter zerstört oder geraubt hat. Meines Erachtens wäre hier Zurückhaltung angebracht, andere mögen für deutsche Standpunkte sprechen.

Als Wissenschaftler freue ich mich zunächst einmal da-rüber, dass diese wichtigen Kulturschätze überhaupt noch existieren und zugänglich sind, wo, das interessiert mich weniger. Wünschenswert wäre aber, den "Schatz des Priamos" wie auch die troianischen Goldfunde aus immerhin sieben Museen und Sammlungen gelegentlich zusammenzuführen, um Vergleiche anzustellen. Warum nicht eine Wanderausstellung? Und wenn ein Staat Kulturerbe zurückfordern könnte, dann wäre es in diesem Fall wohl eher die Türkei.

Spektrum:
Gegenseitiger Respekt und Vertrauen, ist das die Botschaft Manfred Korfmanns nach zwei Dekaden Leitung eines internationalen Teams?


Korfmann:
Es ist eigentlich die Botschaft Homers. In seiner Ilias hat dieser Kosmopolit keine Partei ergriffen, sondern beide Seiten geachtet und das Leiden des Krieges angeprangert. Selbst die Helden beider Seiten litten in Homers Darstellung unter dessen Sinnlosigkeit.

Spektrum:
Die Ausgrabungsstätte ist das Zentrum des 1996 geschaffenen historischen Nationalparks, der auch ökologische Projekte beinhaltet. Spielt diese Botschaft Homers dabei eine Rolle?


Korfmann:
Unbedingt. Anfang der 70er Jahre dachten wir nur daran, diese uralte Kulturlandschaft vor dem Zugriff von Industrie und Landwirtschaft zu schützen. Mittlerweile sprechen wir vom "Troianischen Frieden" mit den drei Aspekten Politik, Kultur und Natur. Über die ersten beiden haben wir schon gesprochen. Zum dritten gehörte beispielsweise, dass in der Troas nachhaltige Landwirtschaft propagiert und betrieben werden sollte. Auch müsste das Flussdelta für Zugvögel erhalten bleiben.

Um diesen Frieden mit der Natur mitzutragen, können die einheimischen Landwirte einen kürzlich errichteten Staudamm zur Bewässerung der Felder und einen neuen Hafen nutzen, von dem aus die Bio-Erzeugnisse in die Großstädte gelangen. Der türkische Staat hat für dieses große Vorhaben die Grundlagen geschaffen. Alle Aktivitäten rund um Troia hat die Unesco 1998 honoriert und den Ort zum Weltkulturerbe erklärt. Wir dürfen hoffen, dass nun die Landschaft Homers verstärkt geschützt wird. Eines Tages werden dort hoffentlich wieder die von ihm erwähnten fünfzig Pflanzen gedeihen, bereichert um einige der immerhin dreihundert, die wir in den archäologischen Schichten nachgewiesen haben.

Die Fragen stellte Klaus-Dieter Linsmeier, Redakteur bei Spektrum der Wissenschaft.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 2000, Seite 68
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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