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Kambrium: Artenexplosion durch "vergiftete" Meere?

Schon vor 600 Millionen Jahren waren die Ozeane der Erde mit absonderlichen Kreaturen besiedelt, doch handelte es sich bei ihnen überwiegend um einfache Weichtiere, die mangels Knochen und Schalen kaum Spuren in den Fossilienlagerstätten hinterließen. Doch 60 Millionen Jahre später änderte sich dies plötzlich gewaltig: Innerhalb geologisch kurzer Zeit explodierte das Leben regelrecht, und es entwickelten sich zahlreiche Arten mit Skeletten und Körperhüllen, die stabil genug waren, um den Versteinerungsprozess zu überstehen. Nun bringen Geowissenschaftler um Shanan Peters von der University of Wisconsin-Madison diese "kambrische Explosion" in Verbindung mit einem zweiten geologischen Extremereignis: der so genannten Großen Unkonformität (Great Unconformity).

Diese Grenze trennt Milliarden Jahre alte magmatische Gesteine von direkt darüber liegenden, deutlich jüngeren Sedimentgesteinen aus dem Kambrium, die sich in flachen Meeren abgelagert hatten, die damals kontinentale Gebiete überflutet hatten. Diese merkwürdige Grenzschicht findet sich in vielen Regionen der Erde und tritt beispielsweise am Boden des Grand Canyon offen zu Tage. Die Lücke zwischen den unterschiedlich alten Felsformationen könnte daher der Schlüssel zum Verständnis der kambrischen Explosion sein, meint daher Peters: Die ursprünglich dazwischen liegenden Schichten wurden schlicht abgetragen und ihre mineralischen Bestandteile ins Meer geschwemmt, wo sie die chemische Zusammensetzung und den pH-Wert des Wassers extrem veränderten.

Das schließen die Forscher aus der Analyse von mehr als 20 000 Gesteinsproben aus allen Teilen Nordamerikas, deren Entstehung unmittelbar nach der Großen Unkonformität begann. Sie weisen ungewöhnlich hohe Anteile an bestimmten Kalzium-, Eisen-, Kalium- und Siliziumverbindungen auf, die in jüngeren Gesteinen seltener vorkommen – etwa ausgedehnte Lagen an Glaukonit, einem eisen- und magnesiumreichen Schichtsilikat. Dieser plötzliche Zustrom großer Mengen an metallischen Ionen brachte die Chemie der Meere durcheinander: Sie wurden alkalischer.

Das stellte wiederum die darin lebenden Organismen vor große Herausforderungen: Sie reagierten auf die toxischen Bedingungen, indem sie beispielsweise überschüssiges Kalzium aus ihrem Körper pumpten – und daraus Schalen aufbauten. Fossilien belegen, dass damals drei der wichtigsten Biomineralien praktisch gleichzeitig in verschiedensten Organismengruppen aufkamen: Hydroxylapatit, ein wichtiger Grundbaustein von Knochen und Zähnen, Kalziumkarbonat, das die Exoskelette von Krebsen, Korallen oder Muscheln dominiert, und Siliziumdioxid, aus dem die Skelette von Radiolarien, Diatomeen und Schwämmen bestehen. "Wahrscheinlich entwickelte sich die Biomineralisierung nicht für etwas, sondern als Antwort auf etwas – in diesem Fall auf die chemischen Verschiebungen im Wasser", so Peters. Die extremen Bedingungen setzten viele Arten einem starken Stress aus, gleichzeitig schufen sie neue Nischen wie Entwicklungsmöglichkeiten und trieben so die Evolution an.

Was die ausgedehnte Erosion auslöste und antrieb, muss noch geklärt werden. Während des frühen Kambriums dehnten sich die flachen Schelfmeere allerdings regelmäßig über weite Teile Nordamerikas aus und zogen sich wieder zurück, wobei sie immer wieder frisches Gestein freilegten und Wind und Wetter aussetzten.

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