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Klimaforschung: Beeinflusst die kosmische Strahlung das Klima?

Neuen Modellrechnungen zu Folge fördert die kosmische Strahlung die Wolkenbildung und damit kühlere Temperaturen auf der Erde. Ihre zunehmende Abschirmung durch den sich verstärkenden Sonnenwind könnte einen Teil der globalen Erwärmung erklären.


Astronomiebegeisterte Weizenspekulanten hätten mit den Erkenntnissen von William Herschel (1738-1822) viel Geld verdienen können. Im Jahre 1801 stellte der aus Hannover stammende Astronom eine gewagte Hypothese auf: Vermehrte Sonnenflecken gehen mit intensiverer Sonnenstrahlung und damit einer milderen Witterung einher.

Allerdings fehlten Herschel die Temperaturdaten, um seine Idee zu überprüfen. Daher nahm er kurzerhand den Weizenpreis als Indikator: Kälte, so seine Überlegung, führt zu schlechteren Ernten, und das treibt den Preis in die Höhe. Tatsächlich zeigte die langjährige statistische Analyse, dass sich das Getreide bei sinkender Anzahl der Sonnenflecken verteuerte.

Das Gelächter, mit dem Herschels Gedanken seinerzeit bedacht wurden, ist längst verstummt. Die Verbindung zwischen Sonnenflecken, solarer Aktivität und globalem Klima hat sich als real und folgenschwer erwiesen. So ließ eine aktivere Sonne zwischen dem 9. und dem 14. Jahrhundert die Temperatur in Europa um bis zu ein Grad ansteigen. Auch die "Kleine Eiszeit" in Nordeuropa zwischen 1550 und 1850 beruht zu einem großen Teil auf Schwankungen der solaren Aktivität, verstärkt durch Vulkanismus. Damals verschwanden fast alle Sonnenflecken; die Temperatur sank um ein Grad. Missernten führten zu Hungersnöten, und extrem kalte Winter ließen die Flüsse zufrieren.

Die Rolle des Sonnenwinds

Auch zur heute beobachteten globalen Erwärmung leistet die steigende Sonnenaktivität einen Beitrag. Das Intergovernmental Panel for Climate Change (IPCC), eine Art Klimabeirat der Vereinten Nationen, schätzt ihn auf rund zwanzig Prozent. Den Löwenanteil schreibt es den Treibhausgasen zu, die der Mensch der Atmosphäre zuführt. Als Maß für die Klimawirksamkeit dient dabei der so genannte Strahlungsantrieb. Er gibt an, wie stark ein bestimmter Klimafaktor das Gleichgewicht zwischen der auf die Erde einfallenden und der von ihr ins All zurückgeworfenen Strahlung verschiebt. Je größer der Strahlungsantrieb dieses Faktors, desto mehr trägt er zur Erwärmung bei.

Eine neuere Theorie schreibt der Sonne allerdings einen größeren Einfluss zu als die vom IPCC geschätzten 0,3 Watt pro Quadratmeter. Dabei berücksichtigt sie einen indirekten Effekt über den Sonnenwind, der sich bei zunehmender solarer Aktivität gleichfalls intensiviert. Die Argumentation ist recht vertrackt und geht um mehrere Ecken. Der Sonnenwind selbst wirkt sich nämlich nicht auf das Klima aus, da ihn das Erdmagnetfeld in weitem Bogen um unseren Planeten herumlenkt. Allerdings beeinflusst er seinerseits einen anderen Teilchenstrom: die so genannte kosmische Strahlung aus dem Weltall.

Sie besteht aus Teilchen mit Energien bis zu 1020 Elektronenvolt – 100 Millionen Mal so viel, wie Physiker mit den besten Teilchenbeschleunigern erreichen können. Hauptsächlich handelt es sich um Protonen, hinzu kommen Kerne von Helium sowie – zu einem geringen Prozentsatz – von schwereren Elementen. Der Ursprung der kosmischen Strahlungsteilchen ist noch unklar, möglicherweise stammen sie von fernen Sternexplosionen (Supernovae). Durch ihre sehr hohe Energie dringen sie bis in die untere Atmosphäre ein.

In jüngster Zeit aber wurden immer mehr von ihnen schon im All ausgebremst: Der Sonnenwind verdoppelte in den vergangenen hundert Jahren seine Stärke und reduzierte so die Intensität der auf die Erde auftreffenden kosmischen Strahlung um rund fünfzehn Prozent. Im Jahr 1997 fanden Eigil Friis-Christensen und Henrik Svensmark vom Dänischen Institut für Weltraumforschung in Kopenhagen Hinweise auf einen möglichen Zusammenhang zwischen diesem Effekt und der globalen Erwärmung. Sie stellten fest, dass bei hoher Intensität kosmischer Strahlung die Wolkenbedeckung über den Meeren zunimmt und umgekehrt.

Drei Jahre später konnten sie dieselbe Korrelation auf Basis umfassenderer Daten auch für die Landflächen nachweisen. Demnach würde die Abschwächung der kosmischen Strahlung durch einen heftigeren Sonnenwind über geringere Wolkenbildung für mehr Sonnenschein und damit höhere Temperaturen sorgen. Aber wie können die Teilchen aus dem All die Wolkenbildung fördern?

Eine mögliche Antwort liefern nun Untersuchungen von Fangqun Yu von der State University of New York in Albany. Er fand anhand von Modellrechnungen he­raus, dass eine intensivere kosmische Strahlung in der unteren Troposphäre mehr Kondensationskeime für Wassertröpfchen erzeugt, von denen die Wolkenbildung ausgeht. Die Troposphäre ist die erdnahe Atmosphärenschicht, in der das Wetter stattfindet; darüber liegt ab etwa acht Kilometer Höhe die Stratosphäre. Wenn also die kosmische Strahlung abnimmt, ist die Wolkendecke dünner und hält weniger Sonnenlicht ab. Dadurch steigt die Temperatur an der Erdoberfläche. Gleichzeitig kühlt sich die untere Troposphäre ab, da es dort weniger Wolken gibt, die sich durch Lichtabsorption erwärmen könnten.

Das würde vielleicht auch ein besonders widerspenstiges Problem der Klimaforscher lösen: Während sich die Oberfläche der Erde im Verlauf der vergangenen zwei Jahrzehnte um rund 0,15 Grad Celsius pro Jahrzehnt erwärmt hat, ergeben Satelliten- und Ballonmessungen bis in acht Kilometer Höhe überraschenderweise nur einen Temperaturanstieg um ein Drittel dieses Werts; sogar sinkende Temperaturen liegen im Bereich der Messunsicherheiten. Im Widerspruch dazu prognostizieren die aktuellen Klimamodelle, dass sich die Troposphäre aufgrund des Treibhauseffektes sogar schneller als die Erdoberfläche aufwärmen sollte. Angesichts dieser Diskrepanz haben manche Wissenschaftler sogar bezweifelt, dass tatsächlich eine globale Erwärmung stattfindet. Mit Yus Modellrechnungen ließe sie sich hingegen zwanglos erklären.

Insgesamt könnte die verringerte kosmische Strahlung, wie der amerikanische Forscher spekuliert, in den letzten beiden Jahrzehnten rund ein Drittel des tatsächlich gemessenen Temperaturanstiegs der Erdoberfläche verursacht haben. Auch Wissenschaftler des Europäischen Teilchenforschungszentrums Cern sehen dies so. Im Cloud-Projekt, das voraussichtlich in diesem Sommer starten wird, wollen sie mit Hilfe einer künstlichen Quelle für kosmische Strahlung deren Einfluss auf die Mikrophysik der Atmosphäre überprüfen.

Dünnere Wolkendecke

Projektleiter Jasper Kirkby vermutet, dass die globale Wolkenbedeckung in niedrigen Höhen im letzten Jahrhundert um 1,3 Prozent abgenommen hat. Dies entspräche einem Strahlungsantrieb von 0,8 Watt pro Quadratmeter. Den Strahlungsantrieb durch den Menschen, hervorgerufen durch die Emission von Treibhausgasen und Aerosolen sowie zu kleinen Teilen durch eine veränderte Landnutzung, schätzt das IPCC im selben Zeitraum auf 1,3 Watt pro Quadratmeter.

Der kosmische Effekt rückt somit in eine ähnliche Größenordnung wie der menschliche Einfluss auf das Klima. Doch wie gesichert ist eine solche Erkenntnis? Bisherige Klimamodelle bilden die variablen Eigenschaften der Sonne ebenso wie die komplexen Vorgänge in der Atmosphäre nur unzureichend ab. Auch die neuen Ansätze weisen gravierende Schwachpunkte auf und sind von einer vollständigen Beschreibung aller beteiligten Prozesse weit entfernt. Angesichts der großen Unsicherheiten gehen die Positionen der Wissenschaftler daher teilweise weit auseinander.

Unterdessen weitet sich die Suche nach Klimaeinflüssen auf die gesamte Milchstraße aus. Einer neuen Studie zufolge trifft seit einigen Jahrmillionen nur wenig kosmische Strahlung auf die Erde, weil sich unser Sonnensystem in einer relativ dünn mit Sternen bestückten Region der Milchstraße befindet. Wandert es dagegen in das viel dichtere Zentrum eines Spiralarms, dürfte sich angesichts der dort viel häufiger anzutreffenden Supernovae das Teilchen-Bombardement aus dem All verdoppeln. In der Erdatmosphäre sollten der Theorie zufolge dann viel mehr Wolken entstehen, sodass die Temperaturen am Boden stark sinken.

Dass dies in unserer Vergangenheit bereits mehrfach der Fall gewesen sein könnte, zeigt die Untersuchung von 42 Eisenmeteoriten durch Nir Shaviv von der Universität Toronto und der Hebräischen Universität in Jerusalem. Mikroskopische Spuren von Einschlägen hochenergetischer Teilchen auf der Oberfläche dieser Vaganten aus unserem Sonnensystem deuten auf einen Intensitätszyklus der kosmischen Strahlung von rund 143 Millionen Jahren hin. Diese Periode wiederum passt gut mit den geologischen Erkenntnissen über die Periodizität der Eiszeiten auf der Erde zusammen.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 2003, Seite 8
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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