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Klimapolitik: Exzellente deutsche Klimaforschung

Zunehmend baut die Politik auf wissenschaftliche Expertisen. Doch werden dabei die fachlich kompetentesten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als Berater herangezogen? Der Interdisziplinaritätsforscher Bernd Sommer analysiert die deutsche Klimaforschung.
Bernd Sommer

Im vergangenen Herbst hat der Weltklimarat, das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), den ersten Teil seines fünften Sachstandsberichts in Stockholm vorgestellt: das naturwissenschaftliche Herzstück des Reports, basierend auf dem Bericht der Arbeitsgruppe I mit den physikalischen Grundlagen des Klimawandels. Im März folgt nun in Yokohama der Report zu den Auswirkungen des Klimawandels, im April in Berlin die möglichen Klimaschutzmaßnahmen und schließlich im Oktober in Kopenhagen der Synthesebericht.

Aufgabe des 1988 vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) sowie der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) gegründeten Gremiums ist es, politische Entscheidungsträger über den Stand der Klimaforschung zu informieren. Die Berichte des IPCC sind politisch hoch bedeutsam, da sie die wissenschaftliche Grundlage der UN-Klimaverhandlungen darstellen. Diese zielen darauf, bis zum Jahr 2015 ein möglichst weltweit verbindliches Klimaschutzabkommen zu erarbeiten.

Die Erstellung der IPCC-Berichte ist ein einmaliges Beispiel der globalen Wissenschaftskooperation. Allein am Bericht der Arbeitsgruppe I waren mehr als 250 Autoren aus 39 Staaten beteiligt. Zu den über 200 Hauptautoren kommen 50 sogenannte Review-Editoren, die dafür Sorge tragen sollen, dass die mehr als 50 000 Kommentare von insgesamt circa 1500 Gutachtern angemessen berücksichtig werden.

Politischer Einfluss

An verschiedenen Stellen können politische Entscheidungsträger die Arbeit des IPCC beinflussen: Zwar wählt das IPCC-Büro in Genf die Autoren auf Basis der für die jeweiligen Arbeitsgruppen erforderlichen Expertise aus, doch müssen die am Bericht beteiligten Wissenschaftler zunächst von den Mitgliedsstaaten vorgeschlagen werden. Regierungsvertreter sind auch an der Verabschiedung der jeweiligen Endfassungen beteiligt und können so – zumeist abschwächend – auf den Wortlaut der getroffenen Aussagen einwirken. Beim IPCC handelt es sich also um ein "Mischwesen", so der Klimatologe Hans Joachim Schellnhuber, zwischen Wissenschaft und Politik.

Dies wirft Fragen auf, da in modernen Gesellschaften Politik und Wissenschaft nach jeweils eigenen Funktionsprinzipien operieren. Während Politik laut dem verstorbenen Soziologen Niklas Luhmann auf die Herstellung "kollektiv bindender Entscheidungen" zielt und damit Macht ihr entscheidendes Medium ist, geht es in den Wissenschaften um "Wahrheitssuche".

Die deutsche Spitzenforschung zum Thema "Klima"

Wie ist es daher um die wissenschaftliche Kompetenz der am IPCC beteiligten Autorinnen und Autoren bestellt? Für Deutschland lässt sich diese Frage relativ einfach und eindeutig beantworten: durch einen Blick auf die Fachliteratur.

In den Wissenschaften und zumal in den Naturwissenschaften, die noch immer das Leitbild moderner Wissenschaftlichkeit darstellen, besteht der wesentliche Output – trotz aller Kontroversen und mitunter berechtigter Kritik – in begutachteten Fachpublikationen. Dort werden praktisch alle neuen Forschungsergebnisse publiziert: quasi der jeweils aktuelle Stand der "Wahrheitssuche".

Deutschland gehört zu den großen Forschungsländern beim Klimathema. An den über 100 000 Klimastudien in der Fachliteratur der letzten fünf Jahre waren in neun Prozent der Fälle Forscher in Deutschland beteiligt, übertroffen nur von US-Forschern mit 34 Prozent und Briten mit 11 Prozent. Dabei ist die Gesamtzahl der von Autoren aus Deutschland publizierten Klimastudien stark gestiegen: waren es 1994 lediglich 171, sind es 2013 bereits 2505. Dies ist Teil der auch international stark steigenden Publikationstätigkeit in der Klimaforschung.

Deutschlands Spitzenforschungsinstitute

Die Bedeutung einer Forschungspublikation kann anhand der Häufigkeit gemessen werden, mit der sie in anderen Fachpublikationen zitiert wird. Dies kommt einer Art Abstimmung durch die Fachcommunity gleich. Daher sind diese Zitationen ein wichtiger Maßstab in wissenschaftlichen Rankings.

Betrachtet man auf Basis der bekannten wissenschaftlichen Publikationsdatenbank Web of Science von Thomson Reuters aus jedem der letzten zwanzig Jahre die zehn meistzitierten Studien mit deutscher Beteiligung zum Suchwort "Climate", erhält man einen höchst interessanten Einblick in die hiesige Spitzenforschung. Nicht überraschend sind die beiden großen deutschen Klimaforschungsinstitute, das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) mit insgesamt 35 und das Max-Planck-Institut für Meteorologie (MPIM) mit 26 Veröffentlichungen, am häufigsten in der Top-10-Liste vertreten. Danach folgen das Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena, das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven sowie das Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz.

Betrachtet man einzelne Forscher als Autoren an den 200 Spitzenstudien, so findet man bekannte Forscher aus den bereits genannten Instituten: Stefan Rahmstorf, Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen und Colin Prentice, der bis 2003 Direktor des MPI in Jena war.

Und die Skeptiker?

Was zeigt diese Auswertung auf die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit des IPCC? 13 Mitglieder der aktuellen Arbeitsgruppe I des IPCC forschen in Deutschland, sieben davon arbeiten an den fünf genannten deutschen Spitzeninstituten der Klimaforschung. Von den oben genannten Spitzenforschern waren Stefan Rahmstorf und Mojib Latif Leitautoren des vierten Sachstandberichts (2007); Latif und Colin Prentice Autoren des dritten IPCC-Berichts (2001). Prentice, der mittlerweile am Imperial College in London forscht, sowie Rahmstorf waren außerdem Gutachter des aktuellen Berichts

Klassischerweise soll wissenschaftliche Politikberatung angesichts der stark wachsenden Komplexität wissenschaftliches Wissen als Entscheidungshilfe für die Politiker zur Verfügung zu stellen. Diese Funktion kann sie am ehesten erfüllen, wenn die Politik wissenschaftliche Expertise einholt, die den Kriterien des Wissenschaftssystems entsprechend exzellent ist. Dies gilt für die Mehrheit der am IPCC beteiligten Forscherinnen und Forscher aus Deutschland auf alle Fälle.

Wer also – wie dies die so genannten Klimaskeptiker tun – die wissenschaftliche Expertise der an den IPCC-Berichten beteiligten Autoren grundsätzlich anzweifelt, stellt auch das gesamte System zu Beurteilung der naturwissenschaftlichen Forschung in Frage. Oder er bewegt sich empirisch auf ziemlich dünnen Eis.

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