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Klimapolitik: "Wir sollten mit dem Klimaschutz nicht warten"

Die Zeit wird knapp für ein neues Klimaabkommen. Denn nur wenn bis 2020 die Emissionen sinken, kann die Aufheizung des Planeten noch halbwegs erträglich begrenzt werden. spektrumdirekt sprach mit Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung über die neuesten Forschungsergebnisse und wie die Weltgemeinschaft darauf reagieren sollte.
Schützenswerter Planet
Herr Rahmstorf, zwei Ihrer Kollegen gehen heute als Koautoren mit einer Forschungsarbeit an die Öffentlichkeit, laut der das 2-Grad-Celsius Ziel bis zum Ende des Jahrhunderts noch erreichbar wäre – wofür die Weltgemeinschaft aber endlich größere Anstrengungen unternehmen müsste. Was bedeutet dies im Detail?

Stefan Rahmstorf: Konkret kam heraus, dass die weltweiten Emissionen schon im Jahr 2020 niedriger sein müssen als heute, wenn wir noch eine gute Chance haben wollen, die Erwärmung auf höchstens zwei Grad Celsius zu begrenzen. Gute Chance heißt in diesem Fall eine Wahrscheinlichkeit von zwei Dritteln. Man kann solche Wahrscheinlichkeitsaussagen machen, denn diese Studie analysierte eine große Zahl von Szenarien, um möglichst alle Unsicherheiten zu berücksichtigen.

Laut den von Ihren Mitarbeitern berechneten Szenarien müsste die Menge der Treibhausgasemissionen noch vor 2020 ihren Höhepunkt erreichen und anschließend kontinuierlich sinken. Ist dieses Ziel überhaupt erreichbar – schließlich wuchsen die Emissionen selbst noch während der letzten Jahre, als sich große Volkswirtschaften in der Krise befanden?

Stefan Rahmstorf | ist Professor für "Physik der Ozeane" und arbeitet am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) in Potsdam. Rahmstorf gehörte unter anderem zu den Leitautoren des Vierten Sachstandsberichts des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der Vereinten Nationen, der im Jahr 2007 veröffentlicht wurde.
Ich bin persönlich überzeugt, dass dieses Ziel erreichbar ist, wenn der politische Wille dazu da ist. Das zeigen letztlich auch diese Szenarien. Ihnen liegen ebenso ökonomische Modelle und solche des Energiesystems zu Grunde mit plausiblen Annahmen, wie rasch sich ein Umbau zu möglichst geringen Kosten erreichen lässt.

Was erwarten Sie, wenn die Weltgemeinschaft dieses Ziel verfehlt?

Selbst wenn wir die globale Erwärmung auf zwei Grad Celsius begrenzen, ergeben sich schon erhebliche Risiken für die Menschen, etwa durch Extremereignisse wie Hitzewellen, Dürren und Überschwemmungen. Wir sehen ja schon jetzt, dass diese zunehmen – nach nur 0,8 Grad Celsius globaler Erwärmung während der letzten Jahrzehnte. Wir publizieren gerade diese Woche eine neue Datenanalyse, die zeigt, dass die Häufigkeit von Hitzewellen wie jener um Moskau im Jahr 2010 und des "Jahrhundertsommers" 2003 in Westeuropa in den letzten Jahrzehnten um ein Mehrfaches zugenommen hat. Dazu kommt der Anstieg des Meeresspiegels – die kleinen Inselstaaten fürchten zu Recht, dass selbst die Begrenzung auf zwei Grad Celsius ihr Überleben nicht auf Dauer sichern wird. Je mehr man über dieses Ziel hinausschießt, desto schwerwiegender werden die Folgen.

Eine der zielführenden Maßnahmen, die nötig sein sollen, ist der Einsatz von Biomasse zur Energiegewinnung und gleichzeitiger Einlagerung von Kohlendioxid – der CO2-Abscheidung und Speicherung (CCS) –, um die entstehenden Emissionen aufzufangen. Nun haben gerade aber auch die Produktion und der Einsatz von Agrarkraftstoffen oder Biogasanlagen unter Umweltschützern einen sehr schlechten Ruf, was Nachhaltigkeit und Klimaschutz anbelangt. Müssen Sie nicht befürchten, dass entsprechende Publikationen letztendlich kontraproduktiv sind, weil Politiker auf "bequeme" Energie aus Biomasse setzen statt auf andere Technologien?

Man muss hier unterscheiden zwischen Agrartreibstoffen und anderen Formen der Nutzung von Bioenergie. Agrartreibstoffe dem Benzin beizumischen, ist nicht sinnvoll, zu diesem Schluss kam der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen der Bundesregierung bereits in einem Hauptgutachten im Jahr 2008. Biomasse – vor allem aus Reststoffen – lässt sich aber dennoch sinnvoll energetisch nutzen, etwa als Biogas oder als trockene Biomasse wie zum Beispiel Holz im Kraftwerk. Dies mit CCS zu kombinieren, ist insofern eine bestechende Idee, weil dabei netto CO2 der Atmosphäre entzogen wird – es gibt "negative Emissionen". Da jedoch die Ackerflächen begrenzt sind und zur Nahrungsproduktion benötigt werden, ist das Potenzial dafür insgesamt recht begrenzt – auf jeden Fall kann man damit den Ausbau von Wind- und Sonnenenergie nur ergänzen, aber nicht ersetzen.

Demnächst findet in Durban der nächste "Klimagipfel" statt, und nächstes Jahr ist die Präsidentenwahl in den USA, wo der Klimaschutz ein Thema ist, das Wählerstimmen kostet: Haben Sie Hoffnung, dass es überhaupt zu einem neuen Klimaabkommen kommt?

Da Sie die USA ansprechen: Ich habe die Hoffnung verloren, dass die Vereinigten Staaten auf absehbare Zeit bei einem verbindlichen Klimaabkommen mitmachen werden. Das lässt die innenpolitische Lage dort derzeit nicht zu. Wir können aber nicht abwarten, bis diese sich fundamental ändert. Daher bleibt nur, dass die anderen Länder ohne die USA vorangehen. Dabei fällt der Europäischen Union die Führungsrolle zu. Bei den allermeisten Staaten gibt es ja den Willen zu einem wirksamen Klimaschutz, auch bei China.

Was passiert, wenn die Weltgemeinschaft in Durban scheitert – welche Lösungsmöglichkeiten stehen uns dann noch offen?

Ein Scheitern wäre schlecht, denn ein internationales Abkommen ist sehr wichtig. Auf jeden Fall sollten wir mit konkreten Klimaschutzmaßnahmen nicht auf ein umfassendes Abkommen warten, sondern unabhängig vom stockenden Fortschritt der globalen Klimadiplomatie zum Beispiel die Energiewende in Deutschland und Europa entschlossen vorantreiben.

Herr Rahmstorf, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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  • Quellen
[1] Rogelj, J. et al.: Emission pathways consistent with a 2 °C global temperature limit. In: Nature Climate Change 10.1038/NCLIMATE1258, 2011.
[2] Rahmstorf, S., Coumou, D.: Increase of extreme events in a warming world. In: Proceedings of the National Academy of Sciences 10.1073/pnas.1106378108, 2011.

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