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Klinische Studie am Aidsvirus: Raffinierte Gentherapie hält HIV in Schach

Mit einem Enzym zerschneiden Mediziner die Eintrittskarte von HIV - und drängen so das Virus zurück. Die Behandlung zeigt bisher keine nennenswerten Nebenwirkungen.
T-Zelle

Eine neue gentherapeutische Technik kann offenbar sicher – und vor allem wirkungsvoll – gegen HIV eingesetzt werden. Das zeigte sich jetzt in einer klinischen Studie an zwölf Probanden. Dabei haben Forscher zum ersten Mal überhaupt spezielle Enzyme eingesetzt, die so genannten Zinkfingernukleasen. Mit ihnen zerstörten sie ein Gen in den Immunzellen der Patienten und erhöhten so deren Resistenz gegenüber dem Virus.

"Das ist der erste größere Fortschritt in der HIV-Gentherapie, seit Wissenschaftler erkannt haben, dass der 'Berliner Patient' Timothy Brown frei von HI-Viren war", sagt John Rossi, Molekularbiologe am City of Hope National Medical Center im kalifornischen Duarte. Im Jahr 2008 hatten Forscher berichtet, dass ihr Patient Timothy Brown eine HIV-Infektion in den Griff bekam, nachdem er eine Knochenmarkspende erhalten hatte.

T-Zelle | Solche T-Zellen sind ein zentraler Teil des Immunsystems; sie können von HIV befallen werden. Die Eintrittspforte des Virus, ein Produkt des Gens CCR5, lässt sich verschließen, indem man das Gen ausschaltet.

Der Grund: In den Zellen, die ihm damals transplantiert wurden, war das Gen CCR5 mutiert – dessen Proteinprodukt nutzen jedoch die meisten HIV-Stämme, um in die T-Zellen des Immunsystems einzudringen und sich dort zu vermehren. Menschen, die wie Browns Knochenmarkspender eine mutierte Variante von CCR5 tragen, sind daher immun gegen das Virus.

Imitation der "Berlin-Patient"-Heilung

Leider ist es nicht praktikabel, allen HIV-Positiven eine entsprechende Knochenmarkspende zukommen zu lassen wie Brown, der sie auf Grund einer Leukämie erhielt: Die Therapie wäre zu belastend, und überdies würde der Körper der Behandelten die übertragenen Zellen angreifen.

Doch ein Team um Carl June und Pablo Tebas, beides Immunologen an der University of Pennsylvania in Philadelphia, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die immunisierende CCR5-Mutation direkt in den Immunzellen von Patienten zu erzeugen – mit Hilfe gezielter Genveränderung, dem so genannten Gene-Editing. (Carl June beschrieb die Technik in diesem Beitrag für "Spektrum der Wissenschaft".)

Die Forscher suchten nach zwölf HIV-positiven Probanden, die zuvor mit antiretroviralen Medikamenten behandelt worden waren. Dabei handelt es sich um eine wirkungsvolle Standardtherapie, die das Virus zurückdrängt, jedoch nicht beseitigt. Die Patienten müssen die Substanzen ein Leben lang einnehmen.

T-Zellen außerhalb des Körpers genetisch verändert

Für ihre Studie nahm das Team um June und Tebas den Patienten zunächst Blut ab und isolierte die darin enthaltenen Immunzellen. Dann setzten sie eine kommerziell erhältliche Zinkfingernuklease (ZFN) auf das darin enthaltene CCR5-Gen an. In rund einem Viertel der kultivierten Zellen gelang es ihnen so, das Gen zu zerstören. Anschließend wurden die Zellen den Patienten wieder in die Blutbahn gespritzt. Nach dieser Prozedur wiesen alle Studienteilnehmer eine erhöhte Zahl von T-Zellen im Blutkreislauf auf. Wie erwartet war das Virus anscheinend nicht in der Lage, die Zellen zu zerstören.

Sechs der zwölf Patienten unterbrachen daraufhin unter Aufsicht ihre antiretrovirale Therapie, währenddessen protokollierten die Forscher die Auswirkungen. Bei den Probanden nahm im Schnitt die Virenlast im Blut langsamer zu als üblich, während die Menge an T-Zellen über Wochen hoch blieb. Anders gesagt: Die Anwesenheit der HI-Viren veranlasste die T-Zellen mit defektem CCR5-Gen dazu, sich im Körper auszubreiten. Das Virus konnte den veränderten Zellen nichts anhaben, vermuten die Wissenschaftler.

"Sie haben das HIV dazu gebracht, sich an seinem eigenen Untergang zu beteiligen", sagt Paula Cannon, Gentherapieexpertin von der University of Southern California in Los Angeles, "ihm die Zellen vor die Nase geworfen und gesagt: 'So, was machst du jetzt?'"

Bislang ohne Nebenwirkungen

In diesem – vom Umfang her freilich noch sehr begrenzten – Versuch hat sich die Genveränderung als sehr sicher erwiesen. Wie Tebas erklärt, war die schlimmste Nebenwirkung ein unangenehmer Körpergeruch, unter dem die Patienten einige Tage zu leiden hatten. Auslöser hierfür war eine Substanz, die die Forscher als Hilfsmittel einsetzten.

"Das war zwar noch nicht das Endspiel", sagt Anthony Fauci, der Direktor des US National Institute of Allergy and Infectious Diseases in Bethesda, Maryland, "aber ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung bei dieser Forschung." Das Verfahren sei praktikabler und leichter anzuwenden als eine Stammzelltransplantation – dabei würden genetisch veränderte Vorläufer der T-Zellen den Patienten verabreicht. Ob sie allerdings auch genauso effektiv sei, bleibe abzuwarten, meint Fauci.

Manche Patienten dürften besonders profitieren

Tebas erklärt, das ultimative Ziel seines Teams sei es, dass wenigstens einige Patienten ihre antiretroviralen Medikamente vollständig absetzen könnten. Ein Teilnehmer der Studie habe ihn und seinen Kollegen Carl June besonders begeistert. Bei diesem war das Virus während der gesamten zwölfwöchigen Erprobungsphase nicht mehr zurückgekehrt – obwohl er auf die HIV-Medikamente verzichtete.

"Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich an diese Technologie denke"Paula Cannon

Als sie daraufhin sein Erbgut untersuchten, entdeckten die Forscher, dass er bereits eine mutierte Kopie von CCR5 trug. "Die Natur hatte schon die halbe Arbeit erledigt", meint Tebas. Nachdem sie ihm dann die zusätzlichen genveränderten Zellen injizierten, waren deutlich über die Hälfte der T-Zellen in seinem Körper resistent gegen HIV. Patienten mit nur einer intakten Kopie von CCR5 könnten also besonders von dieser Behandlung profitieren. Eine Nachfolgestudie, speziell auf diese Patientengruppe zugeschnitten, sei bereits in Arbeit. Auch wie sich die Wirksamkeit der ZFNs bei der Genveränderung erhöhen lassen könnte, wird laut June bereits untersucht, und ebenso, wie sich die Verbreitung der injizierten Zellen verbessern lässt.

Neue Gene-Editing-Werkzeuge noch vielversprechender

Der Forscher geht davon aus, dass das Feld der Gentherapie weiter wachsen wird: Neue Enzyme sind wesentlich zielgenauer und überdies in der Lage, Gene nicht nur zu zerstören, sondern auch durch neue DNA-Abschnitte zu ersetzen. Die TALENs (die "Transcription Activator-like Effector Nucleases") und die CRISPRs ("Clustered Regularly Interspaced Palindromic Repeats") zählen zu den vielversprechendsten Werkzeugen.

Bis sie in der Klinik zum Alltag werden, dürften aber wohl noch einige Jahre vergehen, meint June, zunächst stünde ihre Erprobung bei Krankheiten an, die auf die Mutation eines einzelnen Gens zurückgehen, wie etwa der Sichelzellanämie, einigen Krebsarten und sogar Stoffwechselerkrankungen des Gehirns.

"Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich an diese Technologie denke", sagt Paula Cannon. Mit ihrer eigenen Gruppe erforscht sie, wie sich das CCR5 mit Hilfe von ZFNs in hämatopoietischen Stammzellen ausschalten lässt. Weil sich aus diesem Zelltyp verschiedene Arten von Immunzellen bilden, könnte das den Patienten die Möglichkeit geben, ihre eigenen resistenten T-Zellen herzustellen. Wenn alles nach Plan geht, wollen Cannon und Kollegen noch in diesem Jahr mit einer Studie dazu beginnen.

© Spektrum der Wissenschaft
Eingriff ins Genom
Schon 2011 feierte die Fachzeitschrift Nature Methods die Möglichkeiten von TALENs und ZFN.

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