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Kognitionspsychologie: Drüber schlafen nützt nichts

Es ist momentan in Mode, die Macht des Unbewussten zu preisen. Wie ein Supercomputer soll es angeblich schneller und präziser komplexe Probleme lösen als bewusstes Nachdenken. Australische Forscher enttarnen jetzt diese Vormachtstellung als Humbug - jedenfalls ihrer Meinung nach.
"Schlaf nochmal drüber", wird vor einer schwierigen Entscheidung gerne empfohlen. Im Schlaf, so die Hoffnung, wird das Unbewusste die Lösung schon finden. Und am Morgen wird alles klar sein, ganz ohne Kopfzerbrechen.

Diese landläufige Meinung wird von einer 2006 von Ap Dijksterhuis von der Universität Amsterdam erschienenen Studie gestützt. Die Kognitionspsychologen zeigten dort, dass das Unbewusste nicht nur für einfache automatisierte Prozesse im Alltag nützlich sein kann. Ganz im Gegenteil schreiben die Forscher ihm weitreichendere und geradezu überragende Fähigkeiten zu. So soll es sogar besser als das Bewusstsein komplexe Entscheidungen treffen können.

Während beim bewussten Nachdenken nur wenige Pro- und Contra-Argumente gleichzeitig abgewägt werden können, bearbeitet das Unbewusste große Informationsmengen mit hoher Geschwindigkeit, bewertet sie und gelangt zu einer Entscheidung, ohne dass wir den Prozess nachvollziehen könnten. Das Resultat erfahren wir erst ganz zuletzt – so die Vertreter dieser Theorie.

Ein Experiment widerspricht gängiger Meinung

Australische Forscher um Ben Newell zweifeln jedoch an dieser überlegenen Fähigkeit des Unbewussten. In ihrer an der University of New South Wales durchgeführten Studie hatten 71 Versuchsteilnehmer eine ideale Wohnung auszuwählen. Sie sollte in der Nähe der Universität liegen und dennoch nah am Kneipenviertel, außerdem nicht zu teuer und groß genug sein – schlichtweg die studentische Traumwohnung also.

Den Teilnehmern wurden am Computerbildschirm viele kurze Beschreibungen von vier Wahlwohnungen in zufälliger Reihenfolge angezeigt. Die Probanden mussten sich diese Informationen merken und sich am Ende für das beste Angebot entscheiden.

Nur eines der vier Angebote war auch objektiv das Beste: Die Forscher hatten dazu eine Umfrage unter Studenten der University of New South Wales durchgeführt und eine Topwohnung ermittelt – "Wohnung B". Ferner errechneten die Forscher für jeden Probanden dessen persönliche Traumwohnung – aus zuvor aufgenommenen persönlichen Wohnpräferenzen.

Drei Entscheidungsstrategien treten an

Die Wissenschaftler teilten die Versuchsteilnehmer nun in drei Gruppen ein, von denen Unterschiedliches erwartet wurde: sich spontan zu entscheiden, vier Minuten intensiv nachzudenken oder nach dem Experiment zuerst noch einen ablenkenden Test zu machen und sich danach spontan für eine Wohnung zu entscheiden. Die dritte Gruppe der "Unbewussten" sollte wegen der zwischenzeitlichen Ablenkung nur Zeit haben, ohne bewusstes Nachdenken eine optimale Lösung zu finden.

Wenn Dijksterhuis These, interpretiert durch Newell, stimmte und das Unbewusste tatsächlich wie ein "Supercomputer" arbeitet, dann sollte diese Gruppe drei am häufigsten die beste Wahl treffen: sich also insgesamt öfter für Wohnung B oder die persönliche, zuvor umschriebene Traumwohnung entscheiden. Dann hätte das Unbewusste aus den vielen Informationen tatsächlich exakter zur besten Entscheidung gefunden.

Die Auswertung ergab jedoch, dass alle drei Gruppen – Spontane, Langdenker und Unbewusste – hauptsächlich die persönliche Lieblingswohnung wählten. Alle drei Entscheidungsstrategien führten außerdem gleich oft zu Wohnung B.

Führt bewusstes Nachdenken zur besten Lösung?

Newell und seine Kollegen schließen daraus, dass das Unbewusste kein überlegener Entscheider ist. Wenn überhaupt, so Newell, zeige ihre Studie eine leichte Überlegenheit der Langdenker: diese wählten tendenziell häufiger Wohnung B.

Es scheint also, als würde sich in komplizierten Situationen intensives Grübeln doch bewähren. Das Unbewusste erwies sich somit nicht als überlegen gegenüber dem bewussten Abwägen von Fakten.

Vielleicht aber finden wir hier einfach eine typische Forschungssituation vor: Ein neu erkanntes Phänomen – hier die Macht des Unbewussten – wird zuerst überbewertet und später von anderen Wissenschaftlern nach und nach in seiner Reichweite eingegrenzt.

Dass das Unbewusste aber trotzdem in mancher Hinsicht unserem bewussten Nachdenken bei der Entscheidungsfindung überlegen sein könnte – vielleicht gerade, wenn es um kompliziertere emotionale Entscheidungen geht – ist mit Newells Studie keineswegs ausgeschlossen. Man unterschätze nie die Entscheidungen unseres Unbewussten, das manchmal trotz allen Grübelns einfach besser weiß, was für uns gut ist. "Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt", schrieb darüber bereits Blaise Pascal.

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  • Quellen
Newell, R. et al.: Think, blink or sleep on it? The impact of modes of thought on complex decision making. In: The Quarterly Journal of Experimental Psychology 10.1080/17470210802215202, 2008.

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