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Kosmologie: Löst Hubble Bubble den Hubble Trouble?

Eine Region geringerer Dichte könnte unterschiedliche Messergebnisse für die Expansion des Weltalls erklären - wahrscheinlich ist ein solches Szenario indes nicht.
Der kosmische Mikrowellenhintergrund im Blick von Planck

Das "kosmologische Prinzip" ist so etwas wie der Heilige Gral der modernen Kosmologie: Das Weltall, so besagt dieses Postulat, ist homogen und isotrop. Mit anderen Worten: Egal wo ein Beobachter sich im Kosmos befindet und egal in welche Richtung er blickt, der Kosmos sieht im Wesentlichen gleich aus. Ohne diese Grundannahme ließe sich aus den einsteinschen Feldgleichungen kein Weltmodell ableiten, könnten wir unser lokal gewonnenes physikalisches Wissen nicht auf ferne kosmische Regionen übertragen, wäre es kaum möglich, moderne Kosmologie zu betrieben.

Doch Physiker der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg rütteln kräftig am kosmologischen Prinzip. Vielleicht, so räsonieren die Forscher, ist das Weltall gar nicht so homogen wie angenommen, sondern enthält große Blasen, in denen die Materiedichte signifikant geringer ist als im kosmischen Durchschnitt. Der Vorstoß des Teams kommt nicht von ungefähr: Unterschiedliche Messverfahren für die Expansionsrate unseres Universums kommen zu signifikant unterschiedlichen Ergebnissen. Großräumige Inhomogenitäten im Kosmos könnten eine Erklärung für diese Diskrepanz liefern, so die Wissenschaftler.

Astronomen quantifizieren die kosmische Expansion mit der so genannten Hubble-Konstante: Ihr Zahlenwert gibt an, wie schnell sich der Kosmos auf einer Skala von einem Megaparsec – das sind 3,26 Millionen Lichtjahre – ausdehnt. Die kosmische Expansion vergrößert nicht nur die Entfernung zwischen Galaxien, sie dehnt auch das Licht auf seiner langen Reise von fernen Objekten zur Erde. Die Wellenlängen werden gestreckt, also zum roten Ende des Spektrums hin verschoben. Die Astronomen können daher aus den Rotverschiebungen der Galaxien die Expansionsrate ermitteln – soweit die Entfernungen der Galaxien bekannt sind. Da die Messung von Entfernungen ein schwieriges Unterfangen ist, funktioniert diese Methode aber nur in einem Umkreis von wenigen hundert Millionen Lichtjahren.

Messfehler oder nicht?

Ein von Entfernungsmessungen völlig unabhängiges Verfahren bietet dagegen die kosmische Hintergrundstrahlung. Das Strahlungsecho des Urknalls kommt zwar nahezu gleichmäßig aus allen Richtungen zu uns. Spannend für die Kosmologen sind jedoch gerade die winzigen Temperaturschwankungen, die dem Strahlungshintergrund aufgeprägt sind. Denn die Größenverteilung dieser Schwankungen hängt davon ab, wie unser Universum aufgebaut ist – und auch davon, wie schnell es sich ausdehnt.

Die bislang genaueste Vermessung der Hintergrundstrahlung hat der 2009 gestartete europäische Satellit Planck durchgeführt. Im März dieses Jahres veröffentlichte das Planck-Team die Ergebnisse der vier Jahre dauernden Messungen [1]. Danach hat die Hubble-Konstante einen Zahlenwert von 67,80 ± 0,77. Und hier liegt das Problem: Die Rotverschiebungsmethode liefert mit 73,8 ± 2,4 einen so stark davon abweichenden Wert – um 2,4 Sigma in der Fachsprache –, dass viele Astronomen nicht mehr an einen Messfehler glauben mögen. Die Wahrscheinlichkeit für einen statistischen Ausreißer liegt bei unter einem Prozent.

Die erste Himmelskarte der Planck-Mission | Im Juli 2010 stellte die Europäische Raumfahrtbehörde ESA diese erste Version der Himmelskarte der Planck-Mission vor. Sie wird vor allem von der Strahlung von Vordergrundobjekten innerhalb unseres Milchstraßensystems dominiert. Die Scheibe unserer Galaxis ist das horizontale Band in der Bildmitte, die bläulichen bis violetten Gebilde sind die Strahlung von Gas- und Staubwolken. Oberhalb und unterhalb der galaktischen Strahlung ist der kosmische Mikrowellenhintergund zu sehen, er hat eine in dieser Darstellung rötlich gelbe, körnige Struktur.

Die Heidelberger Forscher gehen deshalb davon aus: Nicht Messfehler verursachen die Diskrepanz, sondern ein bislang übersehener physikalischer Effekt. "Wer erwartet, dass die Messungen aus unserer kosmischen Nachbarschaft dieselben Ergebnisse ergeben wie die der Hintergrundstrahlung, der nimmt dabei implizit an, dass wir in einer typischen Region des Kosmos leben", erklärt Luca Amendola, "das muss jedoch nicht so sein." Es wäre denkbar, so argumentieren der Physiker und seine Kollegen, dass wir uns zufällig in einer Region verminderter Dichte befinden. "Die Kenntnis unserer kosmischen Nachbarschaft ist bisher zu ungenau, um feststellen zu können, ob wir uns in einer solchen Blase befinden", so Amendolas Kollege Valerio Marra.

"Wer erwartet, dass die Messungen aus unserer kosmischen Nachbarschaft dieselben Ergebnisse ergeben wie die der Hintergrundstrahlung, der nimmt dabei implizit an, dass wir in einer typischen Region des Kosmos leben"
Luca Amendola

"Hubble Bubble" nennen die Wissenschaftler eine solche Region, denn in ihr hat die Hubble-Konstante einen höheren Wert. Anschaulich lässt sich das so erklären: Da es um die Blase herum im Mittel mehr Materie gibt als im Inneren der Blase, zieht diese zusätzliche Materie mit ihrer Schwerkraft die Galaxien in der Blase nach außen, bewirkt also eine schnellere Expansion der Region. Auf diese Weise könnte also eine "Hubble Bubble" den "Hubble Trouble", den Ärger mit der Hubble-Konstanten, lösen. Marra, Amendola und ihre Kollegen haben mit Hilfe statistischer Methoden untersucht, wie wahrscheinlich es ist, dass sich die Milchstraße in einer Hubble-Blase befindet, die zu der beobachteten Diskrepanz führt. "Es erfordert eine sehr seltene, großräumige Struktur, um die Unterschiede bei der Hubble-Konstanten zu erklären", stellt das Team ernüchtert fest. Tatsächlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Milchstraße sich in einer Region ausreichend geringer Dichte befindet, erheblich geringer als ein Prozent.

Leben wir in einer Blase?

Die Idee, wir leben nicht in einer typischen Region des Kosmos, sondern in einer Hubble-Blase, ist nicht neu. Bereits 2006 zeigten Beobachtungen von Supernovae: Die Hubble-Konstante für Galaxien bis zu einer Entfernung von 240 Millionen Lichtjahren ist 6,5 Prozent höher als für weiter entfernte Objekte. Auch für dieses Phänomen wurde eine lokal geringere Materiedichte als mögliche Ursache diskutiert. Mehr noch: In den 1990er Jahren stießen Astronomen darauf, dass sich die Expansion des Kosmos – im Gegensatz zu früheren Annahmen – nicht verlangsamt, sondern beschleunigt. Als Erklärungsansatz für die Beschleunigung führten die Forscher die Dunkle Energie ein, eine Energiedichte des Vakuums, die wie eine Art innerer Spannung wirkt und den Weltraum auseinandertreibt. Doch auch hier bietet sich eine Hubble-Blase als Alternative an, nämlich, wenn der gesamte sichtbare Kosmos sich innerhalb einer solchen Region befindet. Die zusätzlichen Anziehungskräfte von außen erzeugen dann den Eindruck einer beschleunigten Expansion im Inneren.

Doch es ist schwierig, ein solches Modell in Einklang mit den Messdaten zu bringen. Wie Adam Moss, James Zibin und Soglas Scott 2010 zeigten [2], führt das Blasenmodell zu Vorhersagen für die Elemententstehung beim Urknall und für die Strukturentwicklung im Kosmos, die erheblich von der Wirklichkeit abweichen. Zudem müssten wir uns nahezu im Zentrum der Blase befinden, damit die Hintergrundstrahlung so gleichmäßig zu uns kommt, wie wir es beobachten. Abseits des Blasenmittelpunkts bekäme die Hintergrundstrahlung eine auffällige Schlagseite, ein so genanntes Dipolmoment. Und ist schon allein die Existenz einer derart großen Region geringerer Dichte unwahrscheinlich, so ist es eine Position nahezu im Mittelpunkt dieser Region noch umso mehr. Die grundlegende Idee, dass wir typische Beobachter des Kosmos seien, geht damit vollständig über Bord – und damit auch das kosmologische Prinzip.

"Es ist jedoch nur eine vereinfachende Annahme, dass die Blase sphärisch ist"
Valerio Marra

Bei weiteren Untersuchungen will das Heidelberger Team deshalb die bislang vorausgesetzte Kugelsymmetrie für die Hubble-Blase fallen lassen. Die Forscher hoffen, dass sich so ein noch größerer Unterschied zwischen lokaler und mittlerer Hubble-Konstante produzieren lässt. Es sei in jedem Fall "von grundlegender Bedeutung, die Ursache der Differenz bei der Hubble-Konstanten zu verstehen", so die Forscher. Die lokalen Messungen schlicht als fehlerbehaftet zu ignorieren, könne sich als schwer wiegender Fehler erweisen: "Damit könnten wir einen wichtigen Hinweis auf eine Kosmologie jenseits des derzeitigen Standardmodells übersehen."

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  • Quellen
[1] Planck Collaboration: Planck 2013 results. I. Overview of products and scientific results. In: arXiv:1303.5062v1, 2013
[2] Moss, A. et al.: Precision cosmology defeats void models for acceleration. In: Physical Review D 83, 103515, 2011.

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