Direkt zum Inhalt

Kunstfleisch: Kein Schnitzel namens Babe

Fast acht Prozent aller Deutschen ernähren sich vegetarisch. Aber auch immer mehr Fleischesser wünschen sich moralisch vertretbare Nahrung auf ihren Tellern, ohne dabei ganz auf Kotelett oder Aufschnitt verzichten zu müssen. Derzeit arbeiten Wissenschaftler an verschiedenen Auswegen aus dem Dilemma - die aber womöglich nicht jedem schmecken werden.
Der Verbrauch an Fleisch- und Wurstwaren liegt in Deutschland momentan bei etwa 68 Kilogramm pro Kopf und Jahr – Tendenz steigend, so die Bundeshandwerkskammer. Zudem liege der tatsächliche Bedarf mit über 103 Kilogramm nochmals deutlich höher, da bei der Herstellung von genießbarem Fleisch wie Schnitzel oder Filet immer auch Abfallprodukte wie Knochen oder Haut anfallen.

Und während die Nachfrage weiter steigt, sinken die Preise für Bratwurst und Co stetig. Dass sich der Preisdruck auf die Lebensbedingungen der Schlachttiere auswirkt, steht außer Frage. Längst beeinflusst dies aber auch die Wahl des Konsumenten: Das Leid der Tiere – für überzeugte Vegetarier einer der meist genannten Gründe, bewusst zu in Steak- oder Putenfiletform gepressten Sojabohnen statt dem fleischigen Vorbild zu greifen – ist auch vielen Liebhabern saftiger Schnitzel schon lange nicht mehr egal. Aber bieten sich Freunden ethisch korrekter "Fleischeslust" überhaupt echte Alternativen zum totalen Verzicht?

Fleisch ohne Leid

Auf verschiedenen Wegen glauben Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen, solche Alternativen anbieten zu können. Den wohl radikalsten liefert der US-amerikanischen Philosoph Adam Shriver. In einem im April 2009 erschienenen Aufsatz schlägt er vor, herkömmliche Masttiere gegen schmerzunempfindliche Züchtungen zu ersetzen. Das Leid der Tiere sieht Shriver als beendet an, sobald ihre physische Schmerzempfindlichkeit verschwindet.

"Schmerzen wegzüchten? Das klingt wie ein schlechter Scherz"
(Lars Hollerbach)
Und das, so Shriver, könnte erreicht werden, indem ein kompletter Hirnbereichs ausgeschaltet wird: Durch Genmanipulation soll die Bildung des anterioren cingulären Kortex und des Inselkortex verhindert werden. Am Ende sollen die Tiere weder zu physischem noch emotionalen Leiden fähig sein.

Die Idee ist nicht ausschließlich Science Fiction: Bereits seit 2002 suchen Genetiker und Molekularbiologen tatsächlich mit einigem Erfolg auch nach den Schlüsseln zur Schmerzfreiheit. Forschern um Josef Penninger, Leiter des Instituts für Molekulare Biotechnologie der Akademie der Wissenschaften (IMBA) in Wien, gelang es bereits bestimmte, mit der Schmerzweiterleitung verbundene Gene bei Mäusen auszuschalten. Die dann deutlich schmerzunempfindlicheren Tiere unterscheiden sich in ihrem Verhalten und ihren geistigen Fähigkeiten sonst kaum von unveränderten Artgenossen, wie Neurologen um Ángel Manuel Carrión von der Universität Pablo de Olivade in Sevilla belegt haben wollen.

Penninger und seine Kollegen hoffen mit diesem Wissen Schmerzpatienten wieder ein normales Leben ermöglichen zu können. Immerhin denkbar wäre aber auch ein Einsatz in der Tierzucht, ähnlich wie es Adam Shriver postuliert.

Ein derart radikaler Ansatz muss sich jedoch zweifelsohne der Kritik von Tierfreunden und Philosophen stellen, die in dieser Idee das Lebewesen zu einer Sache verkommen sehen. So meint etwa Kirsten Schmidt vom Lehrstuhl für angewandte Ethik an der Ruhr-Universität Bochum, dass durch eine solche Veränderung die Integrität der Tiere verletzt werde. "Außerdem ist Schmerz nicht nur eine unangenehme Empfindung, sondern auch ein wichtiger Detektor für potentielle Schädigungen des tierlichen Organismus. Der Verlust dieser Fähigkeit führt fast zwangsläufig zu einer Einschränkung des Wohlergehens: Das Tier ist nicht mehr in der Lage, auf schädliche Einflüsse außerhalb oder innerhalb des Körpers angemessen reintegrierend zu reagieren." Tiere genetisch von potentiellen Leiden zu befreien sei, "nur ein Herumdoktern an den Symptomen der Massentierhaltung.", assistiert der Ernährungsexperte Lars Hollerbach von der Tierrechtsorganisation Peta.

Fleisch aus dem Labor

Eine andere Antwort auf den Wunsch nach ethisch vertretbarer Nahrung wächst derzeit als unscheinbarer Zellhaufen in der Petrischale heran: Hinter dem Namen "Gewebekulturfleisch" verbirgt sich tierisches Fleisch, das nicht am Tier sondern im Labor entsteht. "Das Ziel des Konzepts von Gewebe aus der Petrischale ist es jedoch nicht, ein natürlich aussehendes Steak zu züchten, wie es immer wieder fälschlich angenommen wird." warnt Vladimir Mironov von der Medical University of South Carolina in Charleston, der an der Entwicklung des ersten Laborfleisches forscht. "Vielmehr wollen wir Skelettmuskelgewebe ähnlich wie in einer Hydrokultur herstellen, das dann in der Produktion von Würstchen, Nuggets und anderen Fleischsnack eingesetzt werden kann." Der Geschmack der keimfrei gewachsenen Fleischvarianten soll dabei nicht von dem einer Salami oder eines Hamburgers, der irgendwann mal im Stall stand, zu unterscheiden sein.

Auch die Biologin und Philosophin Kirsten Schmidt begrüßt diese "unblutige Fleischgewinnung". Wenn die dafür verwendeten Stammzellen pluripotent sind, sich also zwar zu unterschiedlichen Gewebetypen, aber nicht zu einem lebensfähigen Wesen entwickeln können, dann würde ich die Zucht von dieser Art Gewebe nicht als ein tierethisches Problem betrachten. Einen moralischen Status kann man den Zellen selbst daher meiner Meinung nach nicht zuschreiben."

Immer mehr Forscher befassen sich mit dieser Art der Gewebeproduktion, 2008 tagte erstmals ein Symposium zum Thema In-Vitro-Fleisch. Wissenschaftler hegen die Hoffnung, dass die Häufchen unförmigen Gewebes im Glasschälchen in fünf bis zehn Jahren wirklich zur Basis für eine stattliche Bratwurst heranwachsen könnten. Dieses Fleisch wäre nach beendeter Forschung zudem preisgünstiger als herkömmliche tierische Produkte, kommentiert Mironov zuversichtlich den aktuellen Forschungsstand.

Die Tierrechtsorganisation Peta unterstützt: Sie hat in den USA 2008 einen Wettbewerb ins Leben gerufen, der dem Forscherteam eine Million Dollar verspricht, das als erstes ein marktfähiges In-Vitro-Fleisch produziert. Lars Hollerbach von Peta Deutschland sieht in dieser Produktionsform, wie seine amerikanischen Kollegen, eine echte Alternative. Wermutstropfen allerdings: Bislang ging bei den amerikanischen Tierschützern noch kein preisverdächtiges Gewebe ein.

Kleine Zellen – große Wirkung?

"Der Fortschritt des Menschen hängt von seiner Fähigkeit ab, seine Nahrungsvorräte zu sichern"
(Vladimir Mironov)
Jenseits einer Entlastung des Gewissens böte die Entwicklung von gezielt im Labor gezüchtetem Nutzfleisch wirtschaftliche und ökologische Vorzüge. Insbesondere für die Lage der Welternährung wäre das In-Vitro-Fleisch ein Hoffnungsschimmer: Derzeit werden etwa dreizehn Prozent der weltweiten Getreideerträge an Tiere verfüttert. Das daraus resultierende Problem besteht für Karl von Koerber vom Beratungsbüro für Ernährungsökologie in München darin, dass je mehr Fläche für eben diese Futtermittel verwendet werde, entsprechend weniger Raum für die eigene Versorgung bliebe. Das sei vor allem für die Ernährungssituation in ärmeren Ländern äußerst problematisch, so von Koerber.

Vladimir Mironovs Motivation für die Arbeit am Laborfleisch erinnert dementsprechend an Kernaussagen des Sozialphilosophen Robert Malthus, der bereits im 18. Jahrhundert Überbevölkerung als zentrale Herausforderung beschrieben hatte. Mit dem derzeitigen Bevölkerungswachstum auf diesem Planeten, so Mironov, "kann die traditionelle landwirtschaftliche Fleischproduktion nicht mehr Schritt halten – weder ökologisch noch ökonomisch." Sein Gewebekulturfleisch soll eine potentielle Lösung für die ernährungsökonomischen Folgen einer übermäßigen Tierproduktion darstellen.

Auch Morris Benjaminson vom Touro College School of Health Sciences in New York hatte mit seinen Kollegen schon 2002 begonnen, In-Vitro-Muskelgewebe zu züchten. Nun forschen die Wissenschaftler nach einem Weg, eine Nährlösung auf veganer Grundlage herzustellen. "Wir suchen derzeit nach einem Wachstumsmedium, das kein fetales Rinderserum erfordert. Wir sind im Begriff einen Ersatz zu entwickeln, der, wie wir glauben, vom Konsumenten eher angenommen werden wird und zudem ökonomischer ist."

"Neue Technologien ungesehen abzulehnen, zeigt nur, dass ein Mensch zu wenig nachdenkt"
(Vladimir Mironov)
In den Niederlanden arbeiten Wissenschaftler derzeit an einer Methode, um Laborgewebe zu Muskelkontraktionen zu bewegen. Auf diese Weise würde der letzte Unterschied zum herkömmlichen Stück Fleisch verschwinden. Geschmacklich, so versichern alle In-Vitro-Fleisch-Forscher, werde man beide Gewebetypen ohnehin kaum auseinander halten können, allein schon aufgrund ihrer zellulär identischen Basis. "Wenn man also sichere und zukunftsfähige Nahrung möchte, ohne dafür Tiere zu töten, Menschen hungern zu lassen, oder Krankheiten wie BSE zu riskieren, und die zudem noch frei von Gentechnik ist, dann ist industriell produziertes In-Vitro-Fleisch eine realistische Lösung.", preist Mironov das Ziel seiner Forschung an. "Leider ist der Nahrungskonsum und die Wahl des Essens immer noch sehr konservativ und ein kulturell gebundenes Phänomen."

Und so hofft auch Hollerbach, dass immer mehr Menschen sich bewusst machen, wo die fröhlich lachende Kinderwurst auf unseren Broten wirklich herkommt. Die steigenden Verkaufszahlen von Biofleisch und Freilandeiern sprechen in der Tat für ein wachsendes Bewusstsein der Konsumenten. Ob das In-Vitro-Fleisch diesem Trend eine neue Wende beschert, wird sich noch zeigen. Doch vielleicht wird die Entscheidung zwischen Laborwurst und ein paar echten Nürnbergern schon bald eher eine Frage der Ideologie als des guten Geschmacks sein.

Schreiben Sie uns!

2 Beiträge anzeigen

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.