Direkt zum Inhalt

Magnetismus: Symmetrie gewahrt

Nord- und Südpol eines Magneten dürfen nie einzeln auftreten, so die Lehrmeinung. In Festkörpern stießen Physiker nach langer Suche dann aber doch auf magnetische Monopole. Nun haben sie sogar deren Ladung gemessen.
Magnetische Monopole
Magnetismus und Elektrizität haben viel miteinander gemein. So erzeugen bewegte elektrische Ladungen Magnetfelder, und Magnetfelder induzieren wiederum elektrische Ströme. Aber es gibt auch einen gravierenden Unterschied: Elektronen, die Träger der elektrischen Ladung, haben kein magnetisches Pendant. Schließlich sind Magnete stets mit Nord- und Südpol ausgestattet. Das macht leider auch die vier mathematischen Gleichungen, die magnetische und elektrische Phänomene miteinander vereinen, unschön unsymmetrisch. Physiker lieben aber nun einmal Symmetrie, und die Natur scheint sie ebenfalls zu bevorzugen.

Magnetfeldlinien | Nord- und Südpol sollten stets zusammen auftreten, so das klassische Bild. Zwischen ihnen verlaufen die magnetischen Feldlinien. Auf diesem Bild sind diese durch Eisenspäne sichtbar gemacht worden, die über einem Stabmagneten auf einem Blatt Papier liegen und sich nach den Feldlinien ausrichten.
Was läge also näher, als einfach magnetische Monopole – also magnetische Ladungen, die sich wie ein isolierter Nord- oder Südpol eines Stabmagneten verhalten – anzunehmen. Der Physiker Paul Dirac tat genau das vor fast 80 Jahren. Er fand auch noch andere gute Gründe für seine Hypothese. Denn nebenbei würde sich aus der Existenz von Monopolen, verquickt mit einigen Gesetzen der Quantenphysik, ganz natürlich ableiten lassen, warum die elektrische Ladung stets als ganzzahliges Vielfaches der Elementarladung auftritt. Seither haben sich die Physiker dann auch wirklich bemüht, die magnetischen Monopole zu finden – beispielsweise in der kosmischer Strahlung oder in Teilchenbeschleunigern. Bis jetzt aber erfolglos. Magnete im Miniaturformat

Unterstützt werden sie von neuen physikalischen Theorien, die auf deren Existenz hinweisen. Und auch experimentelle Teilerfolge ließen sich kürzlich verbuchen: Im September 2009 konnten zwei Forscherteams tatsächlich magnetische Monopole nachweisen. Zwar zeigten sich diese nicht als frei umherschwirrende Elementarteilchen, aber immerhin als ernst zu nehmendes Äquivalent in einem Festkörper. Etwa in Dysprosiumtitanoxid, das aus seltenen Elementen zusammengesetzt und auf wenige Grad über dem absoluten Nullpunkt abgekühlt ist. Dy2Ti2O7 besitzt ein Kristallgitter, das sich aus lauter Tetraedern zusammensetzt. Auf das Zentrum eines jedes dieser Tetraeder zeigen nun genau vier Miniaturmagnete, so genannte magnetische Momente. Hervorgerufen werden diese durch die Spins der Dysprosiumionen.

Genau wie bei den großen Verwandten ziehen sich entgegengesetzte Pole an, während sich gleichnamige abstoßen. Da sich die Pole im Dysprosiumtitanoxid im Mittel aber gegenseitig ausgleichen, ist das Material auf makroskopischer Ebene unmagnetisch. Um das zu gewährleisten, befolgt es einen einfachen Grundsatz: Jeweils zwei Nord- und zwei Südpole müssen in jeden Tetraeder zeigen. Da diese Regel auch für die elektrischen Dipolmomente – die elektrischen Gegenstücke zum magnetischen Moment – in gefrorenem Wasser gilt, bezeichnen Physiker das Material auch als Spin-Eis.

Pyrochlor-Gitter | In einer solchen Tetraeder-Kristallstruktur sind die Dysprosiumionen in Dy2Ti2O7 angeordnet. Im Idealfall weisen immer zwei Spins in einen Tetraeder hinein, zwei hinaus.
Auf mikroskopischer Ebene versagt das Prinzip allerdings mancherorts: Hier und dort richtet sich einer der winzigen Stabmagnete entgegen der allgemeinen magnetischen Ordnung falsch aus. Infolgedessen treffen in einem Tetraeder nun drei Südpole auf einen Nordpol und in einem anderen geht es genau umgekehrt zu. An beiden Enden überwiegt also die eine oder andere Polung. Und damit nicht genug: Diese Störstellen sind nicht einmal an das verursachende magnetische Moment gebunden. Sie können durch das gesamte Spin-Eis wandern, indem angrenzende Miniaturmagnete jeweils entsprechend umgeklappt werden. Und damit stellen sie isolierte magnetische Ladungen dar oder kurz: magnetische Monopole.

Frei umherschwirrende Elementarteilchen – wie etwa Elektronen – sind sie deshalb aber noch lange nicht. Denn sie ergeben sich erst durch das Zusammenwirken vieler Teilchen und können daher ausschließlich im Inneren des Materials bestehen. Wäre es dennoch möglich, ihre Ladung und den damit verbundenen Strom zu messen? Genau diese Frage haben sich Steven Bramwell vom University College London und seine Kollegen gestellt – und beantwortet.

Die Wissenschaftler adaptieren dafür eine Theorie, die ursprünglich entwickelt worden war, um das Verhalten von elektrischen Ladungen in einer Flüssigkeit zu beschreiben. Genauer: die Leitfähigkeit eines Elektrolyts bei starken elektrischen Feldern. Erstere sollte mit wachsender Feldstärke stetig ansteigen, da immer mehr Moleküle in Ionen auseinanderbrechen und so immer mehr Ladungsträger zur Verfügung stehen. Aus dem experimentell bestimmten Kurvenverlauf lässt sich dann auf die Ladung der beteiligten Ionen schließen.

Getauschte Rollen

Angenommen, Elektrizität und Magnetismus wären tatsächlich äquivalent, dann sollte sich diese Methode auch auf magnetische Monopole übertragen lassen. Bramwell und sein Team tauschten in den Gleichungen also einfach die elektrischen gegen magnetische Ladungen und die Flüssigkeit gegen das Spin-Eis-Gitter aus. Und an Stelle des elektrischen trat natürlich ein magnetisches Feld.

Der abgewandelten Theorie zufolge sollten die magnetischen Dipole bei starken Magnetfeldern vermehrt in magnetische Monopole auseinanderbrechen, und die magnetische Leitfähigkeit würde steigen. Und könnten sie diesen Zusammenhang tatsächlich messen, würde sich daraus direkt die magnetische Ladung ableiten lassen. Der Haken an der Sache: Es existiert noch kein "Amperemeter", um magnetische Stromflüsse und damit die magnetische Leitfähigkeit zu bestimmen. Also mussten die Physiker einen Umweg nehmen, um ihr Ziel zu erreichen.

Magnetische Monopole | Atomgroße Nord- und Südpole im Spin-Eis driften in entgegengesetzte Richtungen, wenn ein Magnetfeld angelegt wird.
Und dieser führte über Schwankungen in der Monopoldichte im Spin-Eis, aus denen sich indirekt auf die Leitfähigkeit schließen lässt. Aber einfach ist auch dieser Weg nicht: Die Wissenschaftler messen die Monopoldichteschwankungen nämlich ebenfalls nicht direkt, sondern die Fluktuationen der Magnetfelder im Spin-Eis, die mit diesen einhergehen. Dazu pflanzten sie Myonen – die kurzlebigen Verwandten von Elektronen – in das Dysprosiumtitanoxid, deren Spins allesamt in dieselbe Richtung zeigten. Nach Bruchteilen einer Sekunde zerfallen die Myonen in subatomare Teilchen, die Informationen über das seinerzeit herrschende Magnetfeld im Inneren des Spin-Eises mit sich tragen und in einem Detektor preisgeben.

Und der Plan ging auf: Aus den Daten schließen die Wissenschaftler, dass sich die Monopole tatsächlich durch das Spin-Eis bewegen, es also einen magnetischen Strom gibt. Die magnetischen Ladungen wechselwirken gemäß dem coulombschen Gesetz miteinander und werden in dem angelegten Magnetfeld beschleunigt – genau wie Elektronen in einem elektrischen Feld.

Aus den gemessenen Zusammenhängen konnten Bramwell und seine Kollegen dann schließlich auch die Monopolladung ableiten: Sie beträgt rund 5 bohrsche Magnetons pro Ångström, die Theorie sagt einen Wert von 4,6 vorher – eine überraschend gute Übereinstimmung also. Anders als die elektrische Elementarladung, die konstant ist, hängt die magnetische Ladung von der Temperatur und anderen physikalischen Eigenschaften des Spin-Eises ab. Auf dem Weg zur Magnetronik

Shivaji Sondhi von der Princeton University in New Jersey findet das Experiment und die daraus abgeleiteten Ergebnisse bemerkenswert. Zweifelsohne gäbe es aber noch viel Raum für erkenntnisreiche Experimente in diesem Gebiet, schreibt der Physiker in einem begleitenden Artikel. Nachdem die den Monopolen zu Grunde liegende Physik erforscht sei, wäre es zum Beispiel interessant zu sehen, ob sich die magnetischen Ladungen auch gezielt manipulieren lassen. Und ob es neben Spin-Eis noch andere Materialien gibt, in denen magnetische Monopole realisiert werden können.

Vielleicht münden die Ergebnisse in ferner Zukunft sogar in einer "Magnetronik", spekulieren Bramwell und sein Team. Etwa in nanogroßen Computerspeichern, die Informationen mit Hilfe von magnetischen Monopolen speichern. Heute werden dazu winzige Bereiche auf der Festplatte unterschiedlich magnetisiert, Monopole besitzen dagegen nur die Größe eines Atoms – sind also wesentlich kompakter.

Doch auch jetzt können sich Physiker schon freuen, denn immerhin zeigt das Experiment eine perfekte Symmetrie zwischen Elektrizität und Magnetismus – zumindest schon einmal im Spin-Eis.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.