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Magnetsinn: Neuronales Navigationssystem der Taube abgehört

Als Meister der Langstreckennavigation verfügen Tauben über exzellente Fähigkeiten, das Magnetfeld der Erde wahrzunehmen. Doch wie schaffen es die Vögel, aus den Signalen der Magnetfeldrezeptoren die nötigen Positions- und Lageinformationen zu berechnen? Das haben nun zwei Wissenschaftler des Baylor College of Medicine in Houston erforscht, indem sie Neurone der Navigationszentrale mit Elektroden anzapften [1].

Le-Qing Wu und David Dickman implantierten dazu haarfeine Messgeräte in einer Hirnstammregion, die auch für den Gleichgewichtssinn zuständig ist. Ihre sieben Versuchstiere platzierten sie anschließend bei völliger Dunkelheit in einer dreidimensionalen Anordnung aus Magnetspulen, was sie vom Erdmagnetfeld abschirmte und den Forschern präzise Manipulationsmöglichkeiten gab: Sie probierten nun systematisch alle Orientierungen der Magnetfeldlinien durch, während sie gleichzeitig die Reaktionen im Gehirn aufzeichneten.

Insgesamt rund 50 Stück der über 300 abgehörten Neurone gaben Antwort. Wie sich zeigte, folgen sie dabei einem in der neuronalen Informationsverarbeitung gängigen Prinzip: Jede Zelle spezialisiert sich auf eine bevorzugte Feldlinienorientierung und reagiert mit maximaler Feuerfrequenz, sobald diese wahrgenommen wird. Neigt die Taube nun beispielsweise den Kopf, ändert sich die Orientierung im Magnetfeld, und die Nervenzelle feuert seltener, während eine andere umso deutlicher antwortet. Um nun den tatsächlichen Vektor der Feldlinien zu ermitteln, würden die Tauben die Reaktionen der einzelnen Magnetfeldspezialisten noch an Ort und Stelle mit denen des Gleichgewichtssinns verrechnen und mit dem konstant nach unten weisenden Vektor der Schwerkraft abgleichen, vermuten die Autoren.

Damit ist die Taube sowohl in der Lage, die Himmelsrichtung zu bestimmen, als auch ihre geografische Breite – je nach Position auf dem Globus treten die Erdmagnetfeldlinien in einem anderen Winkel aus dem Boden. Zusätzlich könnten sie kleinräumige Schwankungen in der Magnetfeldstärke nutzen, um noch zusätzlichen Aufschluss über die eigene Position zu erhalten.

In welcher Hirnregion die Forscher ihre Elektroden platzieren mussten, ermittelte das Duo in einer früheren Studie [2]. Dazu hatten sie den Versuchstieren eine Markersubstanz injiziert, die genetische Reaktionen auf Lernvorgänge anzeigt, und dann das Magnetfeld rotieren lassen. Eine Analyse des Hirngewebes offenbarte, wo Neuronen auf den ungewohnten Reiz reagiert hatten.

Dabei erhielten sie auch einen Hinweis auf die Lage der eigentlichen Magnetfeldrezeptoren – eine Frage, die zuletzt wieder in den Blickpunkt der Forschung rückte, nachdem sie lange als weit gehend geklärt galt: Vermeintliche Magnetorezeptoren in den Schnäbeln der Tauben hatten sich bei genauerem Hinsehen als Immunzellen entpuppt, die in keinerlei Zusammenhang zur Magnetwahrnehmung stehen. Wu und Dickman hingegen entdeckten ihre aktivierte Markersubstanz nicht nur im Gehirn selbst, sondern auch in einem Teil des Innenohrs, der Lagena. Von hier bestehen direkte Nervenverbindungen zu jenem Teil des Hirnstamms, in dem sie nun die Neuronen des Magnetsinnessystems entdeckten. Die beiden Wissenschaftler gehen deshalb fest davon aus, dass die Magnetfeldrezeptoren im Innenohr zu suchen sind.

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