Direkt zum Inhalt

Migration des Menschen: Fernöstliche Genverwandtschaft

Im riesigen Gebiet zwischen Ural, Indonesien, Sibirien und Tibet mischten sich Sprachen, Kulturen und Gene jahrtausendelang. Welche Völker einst von wo kamen, um ihren Teil beizutragen, ist unübersichtlich - aber enträtselbar.
Kleine Asiatin
Das "HUGO panasiatische SNP-Konsortium" hat einen großartigen Namen und einen Haufen Arbeit: Es versucht herauszufinden, auf welchen Wegen der moderne Mensch einst, von Afrika kommend, Asien besiedelte und wie es dann im Lauf der Zeit bis heute weiterging. Ein Mammutprojekt angesichts der heute schier unüberschaubaren ethnischen, sprachlichen und kulturellen Unterschiede in den Ländern der aufgehenden Sonne von Nordpolarmeer bis Indischem Ozean.

Kein Wunder, dass unter den Fachleuten der asiatischen Einwanderungshistorie eigentlich nur das erste Kapitel wirklich unumstritten ist, weil globale Genvergleiche es schon einigermaßen nachvollziehbar belegen können. Vor rund 60 000 Jahren hat sich eine Mutation in das Y-Chromosom eines werdenden Stammvaters eingeschlichen, an dem alle seine männlichen Nachkommen zu identifizieren sind. Dieser Marker "M130" findet sich noch heute unter anderem bei den Aborigines Australiens – nicht aber bei den Europäern. Ein früher Treck von M130-Trägern ist also von Afrika aus nach Australien gezogen – wahrscheinlich entlang der Küste –, ohne aber im Nahen Osten nach Europa abzubiegen.

Im Lauf generationenlangen Umherziehens sammelte das Erbgut dann von Ort zu Ort verschiedene weitere charakteristische Veränderungen, die feinere Verästelungen des Migrationswegs noch heute nachvollziehbar machen. Zum Beispiel fehlt den Uraustraliern Marker M89, der wohl erst rund 20 000 Jahre nach M130 in deutlich späteren Migrantenpopulationen im Nahen Osten entstand – in Menschen, die dann einerseits Europa besiedelten und andererseits gen Indien nachrückten. Hier entstanden zwei weitere, noch heute charakteristisch indische Marker: M20 und M69.

Unterdessen wanderten aber im Norden des Himalaja wohl längst andere Völker durch Zentralasien gen Osten, denen die beiden indischen Marker M20 und M69 fehlten: Sie zeichneten sich dafür durch die Neuerwerbung M45 aus und trugen diese in ihren Genen ostwärts. Wo sie noch heute vorkommen – aber merkwürdig verstreut.

Denn hier, im fernen Osten, mussten schließlich irgendwann alle Nachkommen jüngerer und älterer Gruppen aus Süden und Norden wieder aufeinandergetroffen sein und begonnen haben, sich wieder untereinander zu vermischen. Was spätestens dann einiges an unübersichtlichem genetischem Kuddelmuddel verursachte. Um hier noch den Überblick zu behalten, sind genauere genetische Datensätze, bessere Analysen und – wenn möglich – der Beitrag anderer Fachgebiete wie der vergleichenden Sprachwissenschaft gefragt. Genau daran hatten die Genomforscher der panasiatischen HUGO (Human Genome Organisation) seit einiger Zeit gearbeitet.

Migration durch Asien | Die wahrscheinlichen Routen der asiatischen Einwanderer. Zunächst aus Indien kommend (olivgrüne Pfeile), wanderten einige Gruppen nach Thailand und später Richtung Malaysia, Indonesien und Philippinen. Dabei muss die erste Siedlungswelle weit nach Süden vorgedrungen sein, bevor sie sich endgültig niederließ – beteiligt waren die Vorfahren der Negrito-Volksstämme Malaysias (braun) und der Philippinen (violett), die Ostindonesier und die Pioniersiedler der pazifischen Inseln (dunkelgrün). Erst später wanderten dann einige Gruppen nordwärts, mischten sich teilweise mit den wenigen dort schon ansässigen Menschen und formten schließlich die verschiedenen Populationen, die wir heute als Vertreter der Austronesier (hellgrün), Austroasiaten (rot), Tai-Kadai (dunkelblau), Hmong-Mien (hellblau) und der altaischen Sprachfamilie kennen. Genetische und linguistisch definierte Regionen überlappen noch heute im Wesentlichen.
Die Forscher hatten penibel die Gene von 1928 Individuen aus 73 asiatischen und zwei nichtasiatischen Menschenpopulationen ausgewählt und verglichen. Sie konzentrierten sich dabei auf 54 794 SNPs (single nucleotide polymorphisms), also kleine charakteristische Unterschiede analog den erwähnten M-Markern in den Y-Chromosomen. Allerdings durchforsteten sie nicht Y-Chromosomen oder Mitochondrien-DNA, sondern das viel umfangreichere "autosomale" Erbgut, den DNA-Löwenanteil des Zellkerns. Anhand der verschiedenen Unterschiede erstellten sie dann einen Abstammungsstammbaum der Asiaten und glichen ihn zusätzlich mit Informationen über Demografie, geografische Verteilung und Sprachverwandtschaft der untersuchten Ethnien ab.

Die ersten Ergebnisse erinnern an ähnliche, kaum weniger aufwändige Analysen des Erbguts aller Europäer: Fast immer verraten die Gene eines Individuums verblüffend genau, woher er tatsächlich stammt – allein anhand des Erbguts lassen sich Japaner von der Insel Okinawa und dem Festland ebenso unterscheiden wie die benachbarten malayischen Volksgruppen der Jehai und der Kensiu. Immer besiedeln die als genetisch eng verwandt identifizierten Völker auch eng benachbarte Regionen.

Und fast immer sprechen die verschiedenen Ethnien auch eine verwandte Sprache – mit zwei Ausnahmen. So haben die erwähnten Jehai und Kensiu offenbar eine austroasiatische Sprache angenommen, die weniger der ihren protomalayischen, austronesisch sprechenden Nachbarn ähnelt, sondern eher dem Idiom der Mon Thailands vom asiatischen Festland. Offenbar hat hier ein Sprachimport stattgefunden, ohne dass die Bewohner dabei von Eindringlingen verdrängt wurden.

Insgesamt, so fassen die Genomanalysten zusammen, nimmt die genetische Diversität Asiens jedenfalls von Süd nach Nord hin kontinuierlich ab. So finden sich alle typischen genetischen Varianten ostasiatischer Ethnien auch in Südostasien – weshalb die ersteren wohl von den letzteren abstammen. Demnach dürfte sich die Menschheit wohl nach ihrem Küstentrip aus dem Nahen Osten über Indien gen Südostasien langsam nach Norden gearbeitet haben.

Dabei haben die Siedler sich offenbar allmählich an immer harscheres Wetter angepasst. Und erst im Norden mischten sich dann ein paar Gene in den Pool, die von Wanderungsgruppen durch Zentralasien mitgebracht wurden. Groß, so die Forscher angesichts ihrer Gendaten, war dieser Beitrag aber wohl kaum. Genauere Untersuchungen mit mehr Sequenzen der heutigen Bewohner Zentralasiens sollen diesen Punkt bald endgültig klären.
  • Quellen
Abdulla, M. A. et al.: Mapping Human Genetic Diversity in Asia. In: Science 326, S. 1541–1545, 2009.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.