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Mikrobiologie: Überall heiße Drähte

Dass irgendwelche exotischen Bakterien gelegentlich auch wirklich exotische Dinge können - etwa elektrische Drähte spannen -, daran haben sich Mikrobiologen ja schon gewöhnt. Offenbar beherrschen aber eben nicht nur Exoten das bakterielle Elektroinstallations-Handwerk.
Der Metallatmer <i>Shewanella oneidensis</i> ist gut leitend vernetzt
Vor dieser einen, überlebenswichtigen Maxime sind wir alle gleich: Das Elektron muss fließen. Ob Mensch, Maus oder Mikrobe, der Transport von Elektronen ist eine wesentliche Voraussetzung für die Energieproduktion jeder atmenden Zelle. Energie durch Atmung entsteht schließlich allein deswegen, weil Elektronen gezielt von einem Spendermolekül (nehmen wir etwa einen Zucker aus der Nahrung) schrittweise auf ein Akzeptormolekül geleitet werden (bei uns Menschen gerne Sauerstoff). Der Elektronen-Absatzmarkt – also etwa O2 als Akzeptor – muss dafür allerdings natürlich ebenso vorhanden sein wie der freiwillige Spender der Elektronen. Fehlt einer der Mitspieler, dann brechen Elektronenfluss und gesamte Energieproduktion zusammen – die Zelle verhungert oder erstickt.

Und in dieser Hinsicht unterscheiden sich, vom Stoffwechselstandpunkt aus gesehen, Organismen wie ein groß gewachsener Homo sapiens und ein winziger Keim wie Shewanella oneidensis nicht wesentlich. Zugegeben, Shewanella ist ein so genannter "dissimilatorischer Metallreduzierer", kein Sauerstoffatmer wie wir. Das bedeutet aber nur, dass der Winzling Elektronen eben auf Metalloxide statt O2 überträgt, diese dabei reduziert und so auf seine Kosten kommt.

Einziges Problem dabei: Ein Metall ist alles andere als mobil-gasförmig oder flüssig, sondern liegt meist einfach so in der Gegend rum – es in die Zelle aufzunehmen, ist schwer bis unmöglich. Demnach bringen Shewanella und Konsorten nicht den Elektronenakzeptor Metall zum Elektron, sondern Elektronen zum extrazellulär abgelagerten Metall, wie Forscher vor gut einem Jahr herausgefunden haben.

Shewanella oneidensis bildet leitende Nanodrähte | Shewanella oneidensis, hier ein bestimmter Mutant aus dem Labor von Gorby und Kollegen, bildet elektronenleitende Pili aus.
Dafür benutzen die Bakterien kleine, fadenförmige, leitende Körperanhang-Drähte, die Mikrobiologen schon lange als "Pili" kannten: damit flugs die Elektronen zum Metall geleitet, dort etwa ein Eisen-III-Oxid zum Eisen-II-Oxid reduziert – und die anfallende Energie im bakteriellen Sparstrumpf eingesackt. Praktisch ist eine solche Eisen-Veratmung besonders dann, wenn kein Sauerstoff zur Verfügung steht. Theoretisch sehr praktisch könnte das auch für um ihre Umwelt Besorgte menschliche Bodensanierer werden – im Prinzip könnten metallatmende Bakterien der Shewanella-Sippschaft auch giftige Uranoxide aus verunreinigten Böden einfach in schwerlösliche Verbindungen umatmen, um das Grundwasser vor ihnen zu schützen.

Die erstaunliche Ausleitfähigkeit per Pili hatte die Forscher ziemlich kalt erwischt – derartige elektrotechnische Raffinesse war Shewanella und Co nicht zugetraut worden. Dabei ist die Lösung der Keime konzeptionell extrem schlüssig, und so vermuteten Bakteriologen nach der ersten Überraschung ganz ähnliche Fähigkeiten auch bei vielen anderen Bakterien. Erste neue Erkenntnisse liefern nun etwa Yuri Gorby vom Pacific Northwest National Laboratory in den USA und seine Kollegen. Elektronen leitende Pili, so die Forscher, sind derart vielfältig praktisch, dass wahrscheinlich sehr viele bakterielle Lebensformen sie im Fall eines Falles gezielt einsetzen.

So zum Beispiel das Cyanobakterium Synechocystis. Eigentlich sollte es als überlegen Sauerstoff atmendes, zur Fotosynthese befähigtes Wesen nie in die Verlegenheit kommen, überschüssige Elektronen wie Shewanella einmal per Pilidraht nach außen auf irgendein mühsam-ersatzweise zu veratmendes Metall leiten zu müssen. Außer, spekulierten die Forscher, vielleicht bei einem massiven Mangel an dem normalen Elektronenakzeptor Kohlendioxid? Denn zumindest ein wenig CO2 ist bei den Fotosynthetikern immer nötig, um die Elektronen einzuverleiben, wobei dann etwa Kohlenhydrate entstehen. Tatsächlich: Als die Forscher Synechocystis im Experiment sämtliches Kohlendioxid raubten, litt es bald offenbar unter einem massiven Elektronenüberschuss – und bildete als Ausweg flugs die typischen, in die extrazelluläre Pampa Elektronen ableitenden Pili aus, die für Shewanella und Kollegen typisch sind.

Shewanella-Kolonien sind gut vernetzt | Eine Kolonie von Shewanella oneidensis kann mit Hilfe der Pili extrem gut vernetzt sein. Die einzelnen Zellen können auch Elektronen untereinander austauschen.
Ein weiteres Beispiel, wieder aus einer ganz anderen Ecke: Pelotomaculum thermopropionicum. Stoffwechsel und Lebenswandel des Hitze liebenden Gesellen sind anpassungsfähig – er kann etwa zur Not auf organische Substanzen wie Fumarsäure Elektronen übertragen, um ein wenig Extraenergiegewinn herauszuwirtschaften. Oft lebt er in inniger Gemeinschaft und Kooperation mit artfremden Genossen – etwa Methanobacterium thermoautotrophicus. Genau diese Keim-WG bastelte sich nun auch Gorbys Team im Labor zusammen, stellte ihr aber nur Proprionat als Veratmungsmaterial zur Verfügung. Reaktion von Pelotomaculum: vermehrte Pilibildung und Elektronenabtransport zwischen den Mitbewohnern.

Auch das macht in freier Wildbahn Sinn: Beide Keime bilden oft eine so genannte syntrophische methanogene Kokultur, bei der ein Austausch von Elektronen und Wasserstoffen beiden Partnern zugute kommt. Obwohl Pelotomaculum und Methanobacterium eher exotische Nischen besiedeln – sie seien sicherlich nur ein Beispiel enger bakterieller Kooperation unter vielen, sind sich Gorby und Kollegen sicher. Leitende Pili kann wahrscheinlich fast jeder bauen – und gerade in eng verzahnten Gemeinschaften wie den Biofilmen, die viele Bakterien bilden, könnten stoffwechselaktivere Mitglieder den weniger Begünstigten im Falle eines Falles mit piligelieferten Elektronen aushelfen.

Am Beispiel Shewanella oneidensis, mit dem die Forscher ihre Untersuchungen begonnen hatten, konnten sie nun auch näher aufklären, wie der Elektronentransport überhaupt vonstatten geht: Die Bakterien verwenden dazu Cytochrome. Mutante Stämme, die eine bestimmte Cytochrom-Combo nicht länger funktionsfähig bekamen, konnten jedenfalls selbst mit ausreichender Elektronenakzeptor-Versorgung und genügend Pili Elektronen nicht länger ableiten. Genaueres wollen die Forscher demnächst erst herausfinden, werben aber um die arbeitsteilige Unterstützung anderer Kollegen. Sie werden sie nötig haben – jetzt, wo klar ist, dass stromleitende Pili im Prinzip überall sein können.

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