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Nanotechnologie: Rasterkraftmikroskop sieht erstmals ins Innere des Atoms

Mit einem neuartigen Messfühler in Form einer Stimmgabel ist es gelungen, eine Siliziumoberfläche mit bisher nicht erreichter Auflösung abzutasten und sogar einzelne Elektronenwolken sichtbar zu machen.


Die Nanotechnik erobert stürmisch das Terrain der einzelnen Moleküle und Atome. Rastersondenverfahren sind die Instrumente zu diesem Vorstoß in die Nanowelt. Mit ihnen lässt sich der Kosmos des Kleinen zugleich erkunden und manipulieren.

Gerd Binnig und Heinrich Rohrer entwickelten schon 1981 am IBM-Labor in Rüschlikon (Schweiz) das erste Werkzeug dieser Art: das Rastertunnelmikroskop. Dabei wird eine winzige Elektrosonde rasterartig so dicht über eine leitfähige Oberfläche geführt, dass Elektronen den Zwischenraum gleichsam überspringen können – oder "durchtunneln", wie Quantenmechaniker sagen. Da die resultierenden Tunnelströme sehr empfindlich auf den Abstand reagieren, lassen sich extrem genaue Oberflächenkarten erstellen. Schon 1983 gelang es auf diese Weise, erstmals einzelne Atome sichtbar zu machen. Nur drei Jahre später wurde die Erfindung des Rastertunnelmikroskops denn auch mit dem Nobelpreis gewürdigt.

Zur selben Zeit stellten Binnig und sein Mitarbeiter Christoph Gerber gemeinsam mit Calvin F. Quate von der Universität Stanford (Kalifornien) bereits eine Weiterentwicklung vor, die unsere Wahrnehmung der Nanowelt um eine neue Sinnesqualität bereicherte: das Rasterkraftmikroskop. Es hat den Vorteil gegenüber dem Tunnelmikroskop, dass die untersuchte Oberfläche nicht elektrisch leitend sein muss. Ansonsten funktioniert es ganz ähnlich. Mit einer extrem dünnen Spitze tastet es eine Oberfläche ab und misst dabei statt der Tunnelströme die feinen Anziehungs- und Abstoßungskräfte, die in unmittelbarer Nähe der Atome auftreten. Die Spitze befindet sich am freien Ende eines Federbalkens, der durch diese Kräfte verbogen wird. Die Verbiegung kann mit einem Laserstrahl oder piezoelektrisch gemessen werden.

Das Rasterkraftmikroskop wurde schnell zu einem unentbehrlichen Instrument in der Forschung und in der Qualitätskontrolle industriell gefertigter Oberflächen. Doch es dauerte fast ein Jahrzehnt, bis es atomare Auflösung erreichte.

Das hatte mehrere Gründe. So ist im Unterschied zum Tunnelmikroskop, bei dem der Tunnelstrom stetig zunimmt, wenn sich die Spitze der Probe nähert, beim Kraftmikroskop die Kraft zunächst anziehend, dann abstoßend. Dieser Richtungswechsel macht es sehr schwer, einen Regelkreis zu realisieren, der durch Nachführen des Abstandes die Verbiegung und damit die Kraft konstant hält.

Zudem sind die Kräfte zwischen Spitze und Probe extrem klein: Sie betragen maximal ein Nano-Newton. Da die damaligen Federbalken Federkonstanten von einigen Newton pro Meter hatten, verbogen sie sich nur um Nanometer. Solche winzigen Auslenkungen werden leicht von Störeinflüssen überlagert – etwa temperaturbedingte Längenänderungen oder Kriechen des Materials.

Außerdem wird die Spitze so dicht über die Probe geführt, dass sie diese quasi berührt. Dadurch kann sie bei weichen Materialien Oberflächenstrukturen beschädigen oder gar zerstören. Eine Schwierigkeit besteht schließlich darin, dass durch die Anziehungskräfte beim Annähern der Spitze an die Oberfläche eine Instabilität im Federbalken auftritt: der so genannte "Sprung zum Kontakt". Er lässt sich nur vermeiden, wenn der Federbalken steifer ist als die "Steifigkeit" der Anziehungskraft zwischen Spitze und Probe.

Messung mit schwingender Spitze


Ein Team um Tom Albrecht vom IBM-Labor Almaden (Kalifornien) fand 1991 eine Möglichkeit, einige dieser Probleme zu umgehen. Dazu versetzte es den Federbalken in Resonanzschwingung. Deren Frequenz hängt normalerweise nur von der Masse und Federkonstante des Federbalkens ab. Sie ändert sich aber beim Annähern an die Probe: Anziehungskräfte verringern, Abstoßungskräfte erhöhen sie. Als ich 1994 bei der Firma Park Scientific Instruments in Sunnyvale (Kalifornien) in diesem dynamischen Modus Siliziumoberflächen untersuchte, erreichte ich erstmals mit einem Rasterkraftmikroskop atomare Auflösung. Die Federkonstante des Federbalkens betrug damals 17 Newton pro Meter, die konstant geregelte Schwingungsamplitude 34 Nanometer.

Dies waren reine Erfahrungswerte, und es stand keineswegs fest, dass sie optimale Auflösung garantierten. Deshalb packten 1996 Jochen Mannhart, Hartmut Bielefeldt, Stefan Hembacher und ich am Lehrstuhl Experimentalphysik VI der Universität Augsburg das Problem zunächst von der theoretischen Seite an. Das Resultat war überraschend: Optimale Auflösung sollte man mit Schwingungsamplituden von Bruchteilen eines Nanometers erreichen! Das wiederum erfordert erheblich steifere Federbalken mit einer Federkonstanten von einigen hundert Newton pro Meter.

Das Ergebnis ermutigte uns zu einem kühnen Schritt. Wir bauten unsere eigenen Kraftsonden auf der Grundlage eines alltäglichen Massenprodukts: Quarzstimmgabeln. Sie werden als Zeitgeber für Quarzuhren in Milliardenstückzahlen pro Jahr hergestellt. Die Anforderungen, denen sie dabei genügen müssen, machen sie auch zu idealen Sensoren für die Kraftmikroskopie: Wenig Energieverbrauch bei der Uhr entspricht einer sehr geringen Schwingungsdämpfung, und eine hohe Ganggenauigkeit verheißt eine äußerst konstante Frequenz. Zudem liefern piezoelektrische Quarzstimmgabeln ein Wechselstromsignal, das über ihren momentanen Schwingungszustand informiert. Dadurch erübrigt sich die aufwendige Kombination mit einer optischen Methode.

Natürlich waren andere Physiker schon vor uns auf die Idee gekommen, Quarzstimmgabeln für Rastersondenverfahren umzuwidmen. Doch sie montierten sie ähnlich wie in einer Quarzuhr, in der beide Zinken schwingen. Wirkt nun auf eine davon eine Kraft, so geraten sie aus dem Takt, und die Schwingung wird gedämpft. Um das zu verhindern, fixierten wir eine Zinke auf einer Unterlage und montierten auf der anderen die Messspitze. Diese neuartige Kraftsonde nannten wir den qPlus-Sensor. Er hat eine Federkonstante von 1800 Newton pro Meter und erlaubt stabile Schwingungen mit winzigen Amplituden von 0,3 bis 1,0 Nanometern. Jetzt hatten wir ein Kraftmikroskop mit optimaler Auflösung – falls unsere Theorie stimmte.

Als Untersuchungsobjekt wählten wir die Oberfläche eines Siliziumkristalls. Sie ist für die Chip- und Halbleiterindustrie das Objekt der Begierde und wegen ihrer Komplexität zugleich eine Herausforderung. Erst das Rastertunnelmikroskop konnte ihren atomaren Bau enthüllen. Dabei zeigte sich, dass die Atome an der Oberfläche anders angeordnet sind als im Kristallinnern. Die Anzahl der unabgesättigten Bindungen wird durch eine besondere Struktur minimiert, die Fachleute die 7x7-Rekonstruktion der Silizium(111)-Oberfläche nennen. Sie hat eine siebenmal größere Elementarzelle als der Kristall im Inneren.

Als wir mit unserem neuen Kraftmikroskop diese atomare Landschaft abtasteten, erhielten wir Bilder von zuvor unerreichter Präzision. Aus Modellrechnungen wussten wir, dass die Oberflächenatome der erweiterten Elementarzelle nicht in einer Ebene liegen, sondern in verschiedenen Höhen. Tatsächlich konnten wir die erwarteten Höhenunterschiede in der Größenordnung von nur einem hundertstel Nanometer nachweisen.

Doch damit nicht genug – die Rasterbilder bargen für uns eine besondere Überraschung: Wir sahen die Siliziumatome nicht als einheitliche Gebilde, sondern mit inneren Strukturen; ein jedes Atom zeigte zwei Höcker ungleicher Größe und Höhe.

Das Geheimnis der zwei Höcker


Zunächst dachten wir, dass unsere Sondenspitze nicht einatomig wäre, sondern an ihrem Ende zwei Siliziumatome trüge. Dann wären ebenfalls zwei Höcker zu sehen; doch die Lücke dazwischen müsste sehr viel größer sein. Zeigte das Rasterbild also subatomare Strukturen? Sorgsam prüften wir unsere Messergebnisse. Doch schließlich blieb uns nur die Erklärung, dass wir wirklich die Elektronenwolken von Silizium enthüllt hatten.

In Gegenwart möglicher Bindungspartner verteilen sich die Außenelektronen von Siliziumatomen auf vier so genannte sp3-Hybridorbitale. Das sind energetisch günstige Mischzustände. Sie haben Keulenform und weisen in die vier Ecken eines Tetraeders. Sitzen die Siliziumatome an der Oberfläche eines Kristalls, so strecken sie eine unabgesättigte Elektronenkeule senkrecht aus ihr heraus. Demnach erscheinen sie von außen betrachtet als rotationssymmetrische Einheiten. Wenn dagegen ein einzelnes Siliziumatom eine Kristall-Ecke bildet, ragen zwei Elektronenkeulen nach außen.

Nun hatten wir die Spitze der Kraftsonde so präpariert, dass sie wahrscheinlich in ein einzelnes Siliziumatom mündete. Dieses streckte folglich den Oberflächenatomen zwei Elektronenkeulen entgegen. Und das war auch des Rätsels Lösung: Wir hatten eine einatomige Sondenspitze mit zwei subatomaren Messfühlern.

Bei der Rasterbewegung begegnet zuerst die eine, dann die andere Elektronenkeule dem gleichen Oberflächenatom. Das Mikroskop erspürt also pro Atom zwei Kraftmaxima: das ungleiche Höckerpaar des Rasterbildes. Diese Deutung stimmt gut mit den Abmessungen der Höcker überein. Ihre ungleiche Größe und Höhe lässt sich durch eine leichte Schräglage der Spitze erklären.

Von diesem Ergebnis waren wir selbst überrascht. Das neue Rasterkraftmikroskop hat eine Auflösung jenseits der atomaren Dimension erreicht. Es hat ein Fenster ins Subatomare aufgestoßen und Atomorbitale sichtbar gemacht.

Schon 1999 präsentierte zwar ein Team um Jian-Min Zuo von der Arizona State University in Tempe eine Aufnahme von Atomorbitalen, nachdem es einen Kupferoxid-Kristall einer trickreichen Mischung aus Elektronen- und Röntgenbeugung unterworfen hatte. Doch die Stichworte Kristall und Beugung sagen es bereits: Die sensationelle Aufnahme bedurfte der periodischen Anordnung vieler Atome und der komplizierten Analyse eines Beugungsmusters – einzelne Atome oder Moleküle lassen sich damit nicht beobachten.

Diese Vorgehensweise hat weiterhin ihre Berechtigung. Doch ihr entgehen die Atome, die aus der Reihe tanzen, die Störstellen in Kristallen und die zufällig verteilten Fremdatome. Diese individuellen Details, die Materialeigenschaften entscheidend beeinflussen, kann das Rasterkraftmikroskop sichtbar machen. Und künftig werden wir lernen, die chemische Natur und Position des Spitzenatoms der Kraftsonde genau zu kontrollieren. Dann wird es gelingen, mit noch kleineren Messfühlern in Gestalt definierter Atomorbitale Oberflächen noch feiner abzutasten. Damit stehen wir in der Oberflächenanalyse im doppelten Wortsinn vor einem Quantensprung.


Von der Stimmgabel zur Rastersondenspitze


Mit einem neuartigen "qPlus-Sensor", wie ihn die Autoren genannt haben, erreicht die Rasterkraftmikroskopie erstmals Auflösungen bis in den subatomaren Bereich. Der Messfühler besteht aus einer Quarzstimmgabel, deren eine Zinke auf einem Substrat befestigt ist, während die andere eine extrem feine Spitze zum Abtasten der abzubildenden Oberfläche enthält. Die Stimmgabel wird in Schwingung versetzt und dicht über die Oberfläche geführt. Da Quarz piezoelektrisch ist, fließen Ladungen, wenn sich die freie Zinke verbiegt. Diese werden von den goldenen Kontaktflächen aufgenommen und weitergeleitet. Bei Annäherung der Spitze an die Oberfläche treten je nach Abstand zuerst Anziehungs- und dann Abstoßungskräfte auf, durch die sich die Schwingungsfrequenz erniedrigt beziehungsweise erhöht. Indem man die Frequenz als Stellglied eines Regelkreises verwendet, kann man die Spitze also in einem konstanten Abstand über die Oberfläche führen und diese so abtasten.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2001, Seite 12
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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