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Neurowissenschaft: Wie schlau können wir noch werden? – Die Grenzen unseres Gehirns

Gehirntraining und Ratgeber zur Verbesserung der geistigen Fitness haben schon seit Jahren Hochkonjunktur. Biologisch betrachtet scheint die menschliche Intelligenz hingegen bereits nahe an ihrem evolutionär möglichen Maximum zu liegen. Das zeigen aktuelle Forschungsergebnisse, die "Spektrum der Wissenschaft" in der Titelgeschichte seiner Maiausgabe zusammenfasst.
Die Grenzen des Gehirns

Welche Möglichkeiten gibt es überhaupt für die Evolution, die Hirnleistung zu verbessern? Die nahe liegendste ist wohl die der schlichten Vergrößerung des Gehirns. Doch funktioniert das nicht unbegrenzt, denn hier käme bald das berühmte "Law of diminishing returns" (Gesetz der abnehmenden Erträge) zum Tragen: Der Energieverbrauch würde bei einer weiteren Zunahme der Anzahl von Nervenzellen rasch auf nicht mehr tragbare Werte ansteigen – schon heute beansprucht das Gehirn 20 Prozent aller Kalorien, die der Körper in Ruhe benötigt.

Zudem würden sich bei einer deutlichen Gehirnvergrößerung die neuronalen Prozesse verlangsamen, da bei der Signalweiterleitung im Gehirn größere Strecken zu überwinden wären. Um dies auszugleichen, müssten die Verbindungen („Axone“) zwischen den Nervenzellen wesentlich dicker werden (dann leiten sie schneller), doch das würde das Gehirn weiter vergrößern und den Energieverbrauch zusätzlich hochtreiben – ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen gibt.

Theoretisch ließ sich das Problem durch die Entwicklung kleinerer, dichter gepackter Nervenzellen sowie dünnerer Axone mit trotzdem gleichbleibenden Leitungseigenschaften lösen. Doch vor allem letzterem stehen dieselben thermodynamischen Gesetze entgegen, die auch die Verkleinerung der Schaltelemente in Computerchips begrenzen: Unterhalb einer bestimmten Größe nimmt das zufällige Signalrauschen überhand und verhindert eine effektive Informationsübermittlung. Tatsächlich erzeugen die dünnsten Nervenverbindungen im menschlichen Gehirn bereits etwa sechs zufällige Signale („Aktionspotenziale“) pro Sekunde, die den Informationsfluss quasi verschmutzen. Eine nur geringfügige weitere Verkleinerung würde schnell zu mehr als 100 solchen Zufallspotenzialen pro Sekunde führen. Die Axone unserer Hirnrinde arbeiten also bereits sehr nahe am Limit.

Offenbar kann das menschliche Gehirn seine Leistungsfähigkeit also nur noch auf nichtbiologischem Weg steigern. So etwa beim Kooperieren mit anderen, bei dem sich die intellektuellen Fähigkeiten der Einzelnen sinnvoll ergänzen. Oder durch technologischen Fortschritt: Bereits seit Jahrtausenden erlaubt uns das geschriebene Wort, Informationen zu speichern, die unser Gedächtnis überfordern würden. Manche betrachten heute das Internet als bislang letzten Schritt zur Erweiterung der Intelligenz außerhalb des menschlichen Körpers.

Allerdings könnte das WorldWideWeb uns in gewissem Sinne auch dümmer machen: Möglicherweise verringert kollektive menschliche Intelligenz – sei es als Kultur oder als Computernetzwerk – den Evolutionsdruck, größere individuelle Intelligenz zu entwickeln. Die Zukunft wird es zeigen.

Abdruck honorarfrei bei Quellenangabe: Spektrum der Wissenschaft, Mai 2012
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