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Nobelpreise 2011: Physik-Nobelpreis: Das beschleunigte Universum

Physik-Nobelpreisträger
Im Jahre 1998 reichten zwei Forschergruppen Arbeiten ein, die die Kosmologie enorm beeinflusst und beflügelt haben. Die Teams um Saul Perlmutter einerseits sowie Brian P. Schmidt und Adam G. Riess andererseits hatten entdeckt, dass sich das Universums beschleunigt ausdehnt. Diese Erkenntnis erschien den Forschern anfangs so verrückt, dass sie sie selbst nicht glauben konnten. Doch bis heute haben Astrophysiker mit anderen, unabhängigen Methoden ihr Ergebnis bestätigt. Die Entscheidung des Nobelkomitees ist dennoch bemerkenswert, weil die Ursache der kosmischen Beschleunigung, nämlich die Dunkle Energie, vollkommen unverstanden ist.

Mit ihrer Entdeckung treten die drei Forscher in die Fußstapfen des wohl berühmtesten Nobelpreisträgers: Albert Einstein. Dieser hatte 1915 in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie herausgefunden, dass der uns umgebende Raum nicht starr und unveränderbar ist, sondern dass jede Form von Materie ihn verbiegt.

Als kurze Zeit später die beiden Mathematiker Georges Lemaître in Belgien und Alexander Friedmann in Russland unabhängig voneinander Einsteins Formeln auf das Universum anwandten, stießen sie auf ein unerklärliches Ergebnis: In allen nur denkbaren Fällen dehnte sich das Universum aus, oder es zog sich zusammen. Welcher Fall tatsächlich eintrat, hing von der mittleren Dichte der Materie ab, die damals unbekannt war.

Adam Riess | Der US-amerikanische Astronom Adam Riess arbeitet als Professor für Physik und Astronomie an der Johns Hopkins University in Baltimore.
Einstein konnte die Vorstellung eines sich verändernden Universums nicht akzeptieren und führte in die Formeln seiner Theorie kurzerhand eine Größe ein, die für ein statisches Universum mit unveränderlicher Ausdehnung sorgte. Die physikalische Ursache dieser Kosmologischen Konstante blieb indes unklar. Als dann in den 1930er Jahren klar wurde, dass das Universum nicht unveränderlich ist, sondern expandiert, gab sich Einstein geschlagen und bezeichnete die Einführung der Kosmologischen Konstante als größte Eselei seines Lebens. Doch jetzt ist sie wieder da – und mit ihr die alten Fragen nach ihrer Ursache.

Im Jahre 1988 initiierte Saul Perlmutter vom Lawrence Berkeley National Laboratory und University of California, Berkeley (USA), das Supernova Cosmology Project, um die Expansion des Universums genauer zu vermessen. Seine Idee war es, explodierende Sterne eines bestimmten Typs zu studieren. Eine solche Supernovae Typ Ia leuchtet unvermittelt in irgendeiner Galaxie auf, ihre Helligkeit steigt innerhalb von Tagen an und fällt dann wieder ab. Perlmutter ging davon aus, dass diese Supernovae an sich immer in etwa gleich hell sind, etwa so wie Straßenlaternen derselben Art. Aus der Helligkeit, mit der sie am Himmel erscheinen, lässt sich deshalb ihre Entfernung errechnen: Je weiter entfernt, desto lichtschwächer erscheinen sie, genau so wie Laternen entlang einer Straße. Zusätzlich maßen Perlmutter und Kollegen die Geschwindigkeiten, mit denen die Supernovae sich auf Grund der Ausdehnung des Universums von uns entfernen. Beide Informationen zusammen spiegeln die vergangene Expansion des Raumes wider.

Perlmutters Ziel war es, möglichst viele Supernovae in unterschiedlichen Entfernungen zu messen – ein schwieriges Unterfangen, weil niemand weiß, in welcher Galaxie der nächste Stern explodiert. Möglich wurde dies, indem er mit einem Teleskop jede Nacht ein großes Himmelsfeld ablichtete, in dem sich mehrere tausend Galaxien befanden. Auf diese Weise fand er bis 1994 ganze sieben Supernovae. Obwohl sich in diesen wenigen Messdaten das unglaubliche Ergebnis eines beschleunigten Universums bereits abzeichnete, blieb er auf einer Tagung noch vorsichtig und schloss fälschlicherweise: "Wir leben in einem gebremsten Universum."

Bis dahin war es eine selbstverständliche Annahme, dass die Ausdehnungsgeschwindigkeit des Universums langsam abnehmen würde. Der Grund: Den Schwung für die Expansion bekam das Universum im Urknall mit, doch seitdem bremst die Materie mit ihrer Schwerkraft die Ausdehnung. Für eine beschleunigte Expansion sah man keinerlei Ursache.

Saul Perlmutter | Der US-amerikanische Astronom ist seit 1983 Wissenschaftler am Lawrence Berkeley National Laboratory und leitet das Supernova Cosmology Project, eines der beiden Teams, die Ende der 1990er Jahre aus der Messung der Helligkeit ferner Supernovae des Typs Ia auf eine Beschleunigung der kosmischen Expansion schlossen.
Perlmutters Verfahren funktionierte sehr gut, so dass 1994 Brian Schmidt, von der Australian National University in Weston Creek (Australien) und Adam Riess von der Johns Hopkins University und Space Telescope Science Institute in Baltimore (USA) ein ähnliches Projekt mit dem Namen High-Redshift Supernova Search starteten. Nach weiteren vier Jahren berichteten die beiden Gruppen auf Tagungen von Ergebnissen, die sie anfangs selbst nicht glauben konnten. Doch im Frühjahr 1998 reichte die Gruppe um Riess und Schmidt eine Veröffentlichung auf der Basis von 16 Supernovae ein, Perlmutters Team folgte im September desselben Jahres mit 42 Supernovae. Beide Gruppen waren zum selben Ergebnis gekommen: Bis etwa zur Hälfte des heutigen Weltalters hat die Materie tatsächlich wie bis dahin angenommen die Ausdehnung des Raumes gebremst, doch dann setzte eine Beschleunigung ein, und seitdem dehnt sich das Universum mit wachsender Geschwindigkeit aus.

Brian Schmidt | Der gebürtige US-Amerikaner Brian Schmidt lehrt und forscht heute an der Australian National University in Canberra Astronomie. Er leitet das High-z Supernova Search Team, das andere der beiden Teams, die Ende der 1990er Jahre aus der Messung der Helligkeit ferner Supernovae des Typs Ia feststellten, dass die Expansion des Universums sich beschleunigt.
Ursache für dieses Verhalten ist die Dunkle Energie. Wie Wasserdampf in einem Druckkochtopf treibt sie das Universum auseinander. In einem Telefoninterview mit dem Nobelkomitee erinnerte sich Schmidt. "Wir waren anfangs sehr erschrocken über dieses Ergebnis und fanden es zu verrückt, um wahr zu sein." Der Astrophysiker Bruno Leibundgut von der Europäischen Südsternwarte ESO fand das zwar auch, widmet sich aber seitdem der Dunklen Energie. "Bis heute haben wir mehr als tausend Supernovae vermessen, und alle bestätigen das ursprüngliche Ergebnis", fasst er den derzeitigen Stand zusammen. Darüber hinaus haben andere Beobachtungen, die nicht auf Supernovae beruhen, zu demselben Ergebnis geführt. Dazu zählt die Untersuchung der Kosmischen Hintergrundstrahlung mit dem amerikanischen Weltraumteleskope WMAP und die Entwicklung von Galaxienhaufen. "Diese Ergebnisse haben unsere Schlussfolgerungen aus den Supernova-Beobachtungen entscheidend unterstützt", sagt Leibundgut.

Aus physikalischer Sicht entspricht die Dunkle Energie Einsteins Kosmologischer Konstante, aber sie ist größer und treibt deshalb das Universum auseinander. Manche Physiker führen sie auf eine Eigenschaft des Vakuums zurück. Dass das Vakuum mehr als Nichts ist, ist eine Vorhersage der Quantentheorie. Demnach entstehen auch im leeren Raum unablässig Teilchen und verschwinden nach Bruchteilen einer Sekunde wieder. Dieser "See virtueller" Teilchen stellt eine Energie dar. Allerdings führen Abschätzungen der Vakuumenergie zu einem Wert, der um etwa hundert Zehnerpotenzen über der tatsächlichen Größe der Dunklen Energie liegt. Das dürfte wohl die größte bekannte Unstimmigkeit in der gesamten Physik sein.

Überrest einer Supernova | 1006 n. Chr. leuchtete ein neuer Stern am Erdhimmel auf: die Überreste der Supernova SN 1006 im Sternbild Wolf. Sie war womöglich die hellste Supernova, von der die Menschen bisher Notiz nahmen. Mit Hilfe von derartigen Sterndaten berechneten die drei Laureaten des Jahres 2011 die Expansionsgeschwindigkeit des Universums.
Manche Theoretiker machen auch mögliche Energiefelder verantwortlich, die Bruchteile von Sekunden nach dem Urknall in der Phase der Inflationären Expansion entstanden sein könnten. "Überzeugend sind die aber alle nicht", sagt der emeritierte Professor für Theoretische Physik der Universität Zürich und profunde Kenner der Relativitätstheorie Norbert Straumann und stellt fest: "Die Dunkle Energie ist eines der grundlegenden Probleme der modernen Physik." Das wollen verstärkt auch Europas Astrophysiker lösen: Wenige Stunden nach der Nobelpreis-Verkündung empfahl das Wissenschaftskomitee der Europäischen Weltraumorganisation ESA den Bau eines Weltraumteleskops namens Euclid, das ausschließlich der Erforschung der Dunklen Energie dienen soll. Der Start soll 2019 erfolgen.

Nach heutigem Kenntnisstand wird das Universum wegen der Dunklen Energie bis in alle Ewigkeit mit immer größerer Geschwindigkeit expandieren. Irgendwann wird diese Ausdehnung jede Art von Materiezusammenballung verhindern, womit auch keine neuen Sterne mehr entstehen können. Das Universum endet dann als dunkler, kalter und toter Raum.

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