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Nomenklatur: Boris und die Meeresschnecke

Ob wir nun Müller, Meier oder Schulze auf der Klingel stehen haben - im wissenschaftlichen Jargon heißen wir alle gleich: Homo sapiens. Einen solchen Vor- und Nachnamen tragen auch alle Tiere und Pflanzen, die irgendwann einmal beschrieben wurden. Und wie unter uns Menschen auch, gibt es hier sehr merkwürdige Benennungen.
Darwinfrosch
49 Turniere hat Boris Becker im Lauf seiner Karriere gewonnen, darunter sechs aus der Grandslam-Kategorie. Seine offensives Serve-and-Volley-Spiel prägte den Sprachgebrauch: Als "Beckerrolle" bezeichnet man etwa jenen Hechtsprung, mit dem der deutsche Tennisprofi hart geschlagene Passierbälle parierte. "Beckerblocker" wiederum hieß sein ansatzlos geschlagener Rückhandreturn – und die markante Jubelpose ging als "Beckerfaust" in die Geschichte ein (beziehungsweise als "Beckersäge", sofern parallel zum Oberschenkel geführt).

Was das mit Wissenschaft zu tun hat? Nun ja, es gibt einen Forscher, der den dergestalt inspirierten Wortschöpfungen offenbar noch eine hinzufügen wollte. Im Jahr 1996 stellte der Münchner Biologe Manfred Parth eine bislang unbekannte Meersschnecke im Fachjournal Spixiana vor [1]. Ihr Name: Bufonaria borisbeckeri. "Ich widme die neue Art Boris Becker, dem meines Erachtens größten deutschen Einzelsportler aller Zeiten", schrieb Parth in seiner Publikation. Das genügt, schließlich obliegt es dem Entdecker, einen Namen für den Neuankömmling in der Buchhaltung der Natur zu finden.

Darwinfrosch | Der Darwinfrosch (Rhinoderma darwinii) kann sich im Laufe von zwei bis drei Monaten neu einfärben. Im chilenischen Nationalpark Villarrica stieß der Tübinger Herpetologe Mirco Solé auf eine ganze Gruppe der inzwischen sehr seltenen Nasenfrösche.
Ein Einzelfall? Nicht unbedingt. Schon früher verliehen Naturforscher ihrer Verehrung Ausdruck, indem sie Tiere oder Pflanzen nach anderen Personen benannten. Zugegeben, bis vor Kurzem waren keine Tennisspieler dabei, sondern eher Berühmtheiten wie Charles Darwin und Jean Bapstiste de Lamarck, etwa beim Darwinfrosch (Rhinoderma darwinii), der Berberitze (Berberis darwinii) und der Kupfer-Felsenbirne (Amelanchier lamarckii). Durchaus gern gesehen waren längste Zeit auch Bezugnahmen zur Literatur und zur klassischen Musik. Goetheana shakespearei und Mozartella beethoveni etwa, zwei Wespenarten, huldigen dem humanistischen Bildungsgut gleich im Doppelpack, die Spinne Draculoides bramstokeri wiederum vereinigt Autor und Hauptwerk in einem Artnamen.

Schwammkugelkäfer
Nun wäre die Taxonomie allerdings nicht in der Gegenwart angekommen, wenn nicht auch die Popkultur vertreten wäre. Schönes Beispiel hierfür: Der Käfer Agra schwarzeneggeri, dessen Statur bei seinem Entdecker, Terry L. Erwin, folgende Assoziationen weckte: "Der Familienname des Schauspielers Arnold Schwarzenegger ist eine Anspielung auf das außergewöhnlich entwickelte (Bizeps-artige) mittlere Schenkelglied der Männchen dieser Art" [2]. Aha ha, sagt man angesichts solch geballter Athletik – was im Übrigen ebenfalls der Name eines Tieres ist, einer Grabwespe nämlich. Einige weitere Kostproben aus der Abteilung Pop: Godzillius robustus, die Zikaden Baeturia laureli und Baeturia hardyi, sowie der im Fiordland-Nationalpark lebende Fisch Fiordichthys slartibartfasti – wer "Per Anhalter durch die Galaxis" von Douglas Adams gelesen hat, weiß, wer gemeint ist.

Klein, blind und braun: Hitlerkäfer | Klein, blind und braun: Der nach Adolf Hitler benannte Käfer Anophtalmus hitleri wird mittlerweile stark von Sammlern nachgefragt.
Freilich hat Patenschaft nicht immer etwas mit Verehrung zu tun. Drei Schleimpilze fressende Schwammkugelkäfer beispielsweise wurden 2005 nach dem derzeitigen US-Präsidenten und seinen engsten Mitarbeitern benannt. Zwar betonten die beiden verantwortlichen Insektenforscher in einer Aussendung, Agathidium bushi, A. cheneyi und A. rumsfeldi seien keine Beleidigung, ganz im Gegenteil: "Wir bewundern diese Führungspersönlichkeiten als Mitbürger, die den Mut zu ihrer Überzeugung haben und bereit sind, Prinzipien von Freiheit und Demokratie zu folgen, obwohl das sehr oft schwer und unpopulär ist, anstatt das Naheliegende und Populäre hinzunehmen." Aber das war wohl ironisch gemeint.

Der Mann, dem wir die binäre Nomenklatur in dieser Form verdanken, heißt bekanntlich Carl von Linné. Er war der erste, der den zweiteiligen Artnamen konsequent verwendete. Das ist keine geringe Leistung, wenn man bedenkt, dass er auf diese Weise tausende Tier- und Pflanzenarten beschrieben und damit endlich Ordnung in das Chaos (übrigens auch ein Gattungsname) gebracht hat. Dieser Einschätzung hätte sich wohl auch der große Schwede angeschlossen, der, seines Zeichens Verfasser dreier Autobiografien, grundsätzlich eher wenig von Selbstzweifeln geplagt wurde. Als "größten Botaniker aller Zeiten" bezeichnete er sich einmal, ließ jedoch in seiner persönlichen Rangliste immerhin einem den Vortritt: "Deus creavit, Linnaeus disposuit." ("Gott hat die Welt geschaffen, aber Linné hat sie geordnet.")

Wer es den Profis gleichtun will und sich oder andere in der biologischen Taxonomie verewigen möchte, kann das jedenfalls tun und muss dafür nicht einmal auf Expedition gehen. So vergibt der Verein "Biopat" für neu entdeckte Arten Namenspatenschaften. 3000 Euro kostet das Ganze, in besonders spektakulären Fällen (bei bunten Schmetterlinge etwa) sogar ein bisschen mehr, sagt der Direktor der Zoologischen Staatssammlung München, Gerhard Haszprunar. Das ist zwar nicht ganz billig, dient aber einem guten Zweck: Mit dem Geld werden Naturschutzprojekte in den zumeist asiatischen und südamerikanischen Ursprungsländern gefördert. Neue Arten aus Mitteleuropa sind hingegen ziemlich rar – da hat schon Linné das Meiste abgeräumt.

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