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Physik: Wann kommt die Quantengravitation?

Sie ist die letzte große Lücke im Gebäude der Physik: eine Theorie, die Quantenphysik mit Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie vereint. Claus Kiefer von der Universität Köln zeigt in der April-Ausgabe von Spektrum der Wisenschaft, wie Forscher das Problem lösen wollen, die Mikrowelt mit der Schwerkraft zu verschmelzen.
Auf dem Weg zur Quantengravitation

Im Januar 1957 trafen sich Forscher an der University of North Carolina in Chapel Hill zu einer aufregenden Konferenz. Fast alle bedeutenden Gravitationsphysiker jener Zeit hatten sich versammelt. Die eine Hälfte der Tagung befasste sich mit Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie, der modernen Theorie der Gravitation, die darin als Geometrie von Raum und Zeit gedeutet wird. Sie beschreibt das Große und Ganze: von unserer direkten Umgebung über Sonnensystem, Sterne und Galaxien bis hin zum Universum.

Die zweite Hälfte der Tagung befasste sich mit Verallgemeinerungen von Einsteins Theoriegebäude unter Einbezug der Quantentheorie. Eine solche erweiterte Theorie nennen Fachleute Quantengravitation. Sie vereinigt Mikro- und Makrokosmos, da die Quantentheorie hauptsächlich für die Beschreibung von Molekülen, Atomen und Elementarteilchen zuständig ist. Wie der Kölner Physikprofessor Claus Kiefer in der April-Ausgabe von Spektrum der Wissenschaft berichtet, konnte bisher trotz jahrzehntelanger Bemühungen noch keine allgemein anerkannte Theorie der Quantengravitation entwickelt worden. Allerdings existiert dafür eine Reihe mehr oder weniger aussichtsreicher Kandidaten.

Zu den direkten Quantenversionen von Einsteins Theorie zählen die Quantengeometrodynamik, die Schleifentheorie, außerdem die so genannte dynamische Triangulierung. Als vierter Wettbewerber versucht die Stringtheorie, alle Wechselwirkungen in einer Quantentheorie zu vereinen. Eine experimentelle Prüfung all dieser Theorien erscheint noch in weiter Ferne zu liegen.

Das Problem, mit dem alle Forscher dabei ringen, liegt in den mathematischen Schwierigkeiten, die ihre Theorien aufwerfen. Das Problem der Quantengravitation treibt die Physiker schon seit dem Ende der 1920er Jahre um. Nachdem die Pioniere der Quantentheorie Werner Heisenberg und Wolfgang Pauli erste Schritte zu einer Quantentheorie des elektromagnetischen Felds unternommen hatten, beauftragte Pauli seinen Assistenten Léon Rosenfeld, eine solche auch für die Gravitation zu konstruieren. „Mit der Quantelung [des Gravitationsfelds] ist Rosenfeld zur Zeit hier beschäftigt. Leider sind noch mathematische Schwierigkeiten ungelöst ... Wir hoffen aber damit noch fertig zu werden“, schreibt Pauli Ende 1929 in einem Brief an seinen Kollegen Pascual Jordan, der damals gerade an die Universität Rostock berufen worden war. Fertig geworden sind die Theoretiker mit diesem Problem bis heute nicht. Warum ist Quantengravitation so schwierig?

Einstein hatte mit seiner Allgemeinen Relativitätstheorie unsere Vorstellungen von Raum und Zeit grundlegend verändert. Bildeten beide seit Newton einen starren Rahmen für die Dynamik von Teilchen und Feldern, so sind sie hier in ihrer Vereinigung zur vierdimensionalen „Raumzeit“ selbst Akteure im Geschehen geworden. Das neue Konstrukt beschreibt Geometrie und Gravitation gleichzeitig und ist deshalb ein eigenes dynamisches Gebilde.

Eine Quantentheorie der Gravitation wäre dann konsequenterweise auch eine Quantentheorie der Raumzeit, da Gravitation und Raumzeitgeometrie in diesem Rahmen ein und dasselbe sind. Bei den Quantentheorien der anderen Wechselwirkungen (etwa des Elektromagnetismus) konnten die Forscher immer davon ausgehen, dass die Quantenfelder „auf“ einer vorgegebenen Raumzeit definiert sind. Diese fungiert mit ihren festen räumlichen und zeitlichen Dimensionen quasi als fester Hintergrund, der für die Formulierung dieser Theorien sogar mathematisch zwingend erforderlich war. Im Gegensatz dazu muss aber eine Quantentheorie der Gravitation „hintergrundunabhängig“ sein. Das bedeutet eine große mathematische Herausforderung, die zum Teil neue Methoden für die Entwicklung einer solchen Theorie benötigt.

Die Suche nach der Quantengravitation zählt somit zu den Hauptproblemen der Theoretischen Physik. Erschwert wird sie durch das Fehlen eindeutiger experimenteller Hinweise. Doch auf welcher Größenordnung sollte man Effekte einer solchen Theorie überhaupt erwarten? Max Planck (1858 – 1947) hat 1899 die später nach ihm benannten Einheiten vorgestellt, die heute als Skala der Quantengravitation gelten. Die Planck-Länge kann mit heutigen Methoden nicht direkt gemessen werden. Das gleiche gilt für die Planck-Zeit. Um ein Teilchen mit der Planck-Masse an einem herkömmlichen Beschleuniger wie dem Large Hadron Collider zu erzeugen, müsste dieser die wenig realistische Größe unserer Milchstraße haben. Die Planckschen Skalen liegen also weitab jeder technischen Erreichbarkeit.

Vielleicht lässt sich die Quantengravitation aber über Umwege dennoch testen, nämlich über die genannten Schwarzen Löcher. Diese seltsamen Objekte sind, wie Stephen Hawking 1974 verkündete, nicht vollkommen schwarz, sondern geben Wärmestrahlung ab. Insbesondere werden die Gebilde durch Abstrahlung immer heißer. Daher erwartet man am Ende seiner Verdampfung eine gewaltige Explosion mit hochenergetischer Gammastrahlung. Die Gesetze der Quantenphysik, die Hawking benutzt, haben andere Forscher darauf gebracht, hier auch nach Hinweisen zu suchen, die für eine Quantengravitation wichtig sein könnten.

Einen weiteren Prüfstein für jede Quantentheorie und ihren Sonderzweig, die Quantenkosmologie, liefert die kosmische Hintergrundstrahlung – ein Überbleibsel des heißen frühen Universums. Sie hat sich etwa 380000 Jahre nach dem Urknall von der Materie gelöst und breitet sich seither weit gehend ungehindert im Universum aus. Dabei hat sie sich bis auf etwa drei Kelvin abgekühlt. Die Kosmische Hintergrundstrahlung ist annähernd isotrop, besitzt also in jeder Richtung dieselbe Temperatur. Es gibt kleine Unregelmäßigkeiten (Anisotropien) von der Größenordnung Hunderttausendstel Kelvin. Sie entsprechen Dichtefluktuationen zur Zeit der Strahlungsfreisetzung und bildeten nach allgemeiner Auffassung die Keime heutiger Galaxien und ihrer Haufen.

Was hat das mit Quantengravitation zu tun? Wenn sie tatsächlich gültig ist, sollte sie auch für das Universum als Ganzes gelten. Dort ist aber die Schwerkraft die dominierende Wechselwirkung. Kosmologen benötigen also eine Theorie der Quantengravitation, um Quantenkosmologie zu betreiben.

Idealerweise könnten sich daraus Vorhersagen für die Anisotropien der Hintergrundstrahlung ergeben, die von den Vorhersagen ohne Quantengravitation abweichen. Dies betrifft vor allem die Strukturen auf großen Skalen. Die vorhergesagten Abweichungen sind naturgemäß winzig klein, und ihr Nachweis stellt eine große Herausforderung für die Beobachter dar.

Deren Hoffnung ruht derzeit auf dem Satelliten „Planck“. Der Trabant, den die Europäische Space Agency ESA im Mai 2009 startete und der im Januar dieses Jahres seine Messungen abschloss, hatte die Aufgabe, die Hintergrundstrahlung mit bisher unerreichter Genauigkeit zu erfassen. Die Auswertungen werden noch bis ins nächste Jahr dauern. Ob sie für die Theorie einen Durchbruch bringen werden, bleibt abzuwarten.

Abdruck honorarfrei bei Quellenangabe: Spektrum der Wissenschaft, April 2012
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