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ADHS: Effizienter erinnern durch Emotionen

Oft scheint es so, als hätten ADHS-Patienten "nur" Aufmerksamkeitsprobleme. Neue Forschungen zeigen, dass darüber hinaus auch Beeinträchtigungen des Gedächtnisses auftreten können. Kerstin Krauel beschäftigt sich gemeinsam mit ihrer Forschungsgruppe an der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg mit dem Einfluss emotionaler Reize auf Gedächtnisprozesse bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS.
Kerstin Krauel
Kerstin Krauel studierte Psychologie in Kiel und spezialisierte sich später auf den Bereich der Klinischen Kinder- und Jugendpsychologie. Seit 2001 arbeitet sie im Universitätsklinikum Magdeburg.


Frau Krauel, können Sie uns kurz erklären, wie die Idee zu Ihrem aktuellen Forschungsprojekt zu ADHS entstanden ist?

Das Projekt begann 2003 im Rahmen des Sonderforschungsbereiches "Limbische Strukturen und Funktionen". Viele ADHS-Patienten zeigen schlechtere Lernleistungen, da sie sich Dinge schlechter merken können. Wir möchten herausfinden, ob diese Gedächtnisauffälligkeiten dem Aufmerksamkeitsproblem geschuldet sind, oder ob sie direkt mit Speicherungs- und Abrufprozessen zu tun haben. Außerdem erforschen wir, ob und wie man die Gedächtnisleistung verbessern kann und ob zum Beispiel emotionale Salienz, also der Einsatz von emotionalen Bildern, einen begünstigenden Effekt für das Lernen hat.

Wie laufen die Untersuchungen ab?

In einer ersten Phase zeigen wir den Kindern Bilder, nach denen sie später wieder gefragt werden. Dies wissen sie jedoch nicht, daher speichern sie die Bilder nur beiläufig ab, was man implizite Enkodierung nennt. Wir haben die gleiche Anzahl neutraler und emotionaler Bilder ausgewählt und diese so bearbeitet, dass sie entweder von einem Rechteck oder einem Oval umrandet waren.
Die Kinder bekamen nun zwei unterschiedliche Aufgaben. Entweder sollten sie entscheiden, ob ein Mensch auf dem Bild zu sehen ist oder nicht, oder sie sollten darauf achten, ob es von einem Rechteck oder einem Oval umgeben ist. In dem Moment, in dem ich mich nur auf einen oberflächlichen beziehungsweise wahrnehmungsorientierten Aspekt eines Reizes konzentriere – hier die "Rechteck/Oval"-Aufgabe –, erinnere ich diesen Reiz nicht so gut. Bei der anderen Aufgabe muss ich mich jedoch mit der Bedeutung des Reizes beschäftigen, wodurch eine intensivere Verarbeitung in Gang gesetzt wird und ich mich hinterher an diesen Reiz besser erinnere.
In der zweiten Phase – der Rekognition – nahmen wir zu den Bildern aus der ersten Phase neue hinzu und fragten die Kinder, ob sie die jetzt gezeigten Bilder schon kennen oder nicht. Als Forscher interessieren wir uns nun dafür, inwiefern Emotionalität beziehungsweise Neutralität beim Erinnern der Bilder für die Erinnerungsleistung von ADHS-Kindern eine Rolle spielen.

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt?

Wir wussten ja schon, dass quasi alle Menschen emotionale Reize besser erinnern. Unser Experiment zeigte darüber hinaus: Die Kinder aus der Kontrollgruppe können sich neutrale Bilder besser merken als die ADHS-Kinder; bei emotionalen Bildern waren die ADHS Kinder jedoch in ihrer Gedächtnisleistung gleich gut.

Hatte auch die Art der Aufgabenstellung einen Einfluss auf die Erinnerungsleistung?

Bei der intensiver zu bearbeitenden Aufgabe "Mensch/Nicht-Mensch" zeigten die gesunden Kinder im Vergleich zur "Rechteck/Oval"-Aufgabe grundsätzlich mehr Erinnerungsleistung. Dieser Effekt war für neutrale Bilder besonders groß. Die ADHS-Kinder konnten bei der neutralen Bedingung hingegen deutlich weniger von der intensiveren Verarbeitung profitieren. Bei emotionalen Bildern zeigten beide Gruppen einen vergleichbaren Lernzuwachs. Wenn wir die Gehirnaktivierung unser Probanden in Erwartung der Aufgabe betrachten, haben wir bei den ADHS-Kindern bei beiden Aufgabentypen eine stärkere Aktivierung beobachtet. Unsere Interpretation hierzu ist, dass ADHS-Kinder aufgabenbezogene Aktivierung insbesondere bei neutralen Reizen nicht effektiv umsetzen können.

Was läuft denn konkret schief?

Auch andere Studien zeigen, dass ADHS-Kindern in ihren Gehirnprozessen möglicherweise weniger organisiert sind und oftmals viel unbewusste oder bewusste Anstrengung zeigen, ohne dass es aber einen tatsächlichen Effekt im Verhalten hat.
In unserer Kernspinstudie zeigten ADHS-Kinder beim Abspeichern von neutralen Informationen in einer Struktur des Frontalkortex, dem anterioren cingulären Kortex, weniger Aktivität als die Kontrollprobanden. Dieser Teil des Gehirns leistet sehr viel Organisationsarbeit. Beim Abspeichern von emotionalen Bildern normalisierte sich dort die Aktivierung bei ADHS-Kindern.

Wie könnte man ADHS-Kinder unterstützen?

Allgemein ist es für sie wichtig, Lerninhalte bedeutsam zu machen. Natürlich ist es nicht immer möglich, emotionale Salienz zu schaffen, aber man kann versuchen, sie "bei der Stange zu halten", indem man in der Schule vielleicht mehr mit persönlich bedeutsamen Inhalten und Erfahrungen arbeitet und durch diesen Bezug mehr motiviert. Dies könnte ADHS-Kindern helfen, ihre Ressourcen besser zu nutzen, denn ADHS-Kinder sind trotz normaler oder sogar überdurchschnittlicher Intelligenz leider selten auf höheren Schulen zu finden.


Das Interview führten Sarah Jane Böttger und Christina Freihorst, Studentinnen des BA-Studiengangs "Philosophie – Neurowissenschaften – Kognition" an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, im Rahmen des Seminars "Medienpraxis" unter der Leitung von G&G-Chefredakteur Carsten Könneker.

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