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Spektrum und die Nobelpreisträger

Keine andere populärwissenschaftliche Zeitschrift hat so viele Nobelpreisträger unter ihren Autoren wie Spektrum der Wissenschaft. Hier berichtet der stellvertretende Chefredakteur Gerhard Trageser, warum sie für das Magazin schreiben - und es nur ausnahmsweise auch einmal nicht tun.
Nicht selten erlebe ich, wenn ich sage, wo ich arbeite, eine Reaktion wie: „Ach Spektrum, das ist doch die Zeitschrift, in der die Nobelpreisträger schreiben." Das freut mich natürlich; denn eine höhere Einschätzung kann man sich als Medium, das anspruchsvolle Wissenschaft einer breiten Leserschicht vermitteln will, kaum wünschen. In der Tat war Spektrum schon immer stolz darauf, dass alljährlich Forscher für die Entdeckungen, die sie bei uns allgemeinverständlich beschrieben hatten, die höchstgeachtete Auszeichnung erhielten, die es für Wissenschaftler gibt – bewies es uns doch, dass wir wirklich regelmäßig über die großen Fortschritte in den jeweiligen Disziplinen berichten.

Dabei profitieren wir natürlich von unserer amerikanischen Mutterzeitschrift Scientific American. Die meisten Nobelpreisträger sind ja Amerikaner oder kommen aus englischsprachigen Ländern. Da wäre es schwierig, einen deutschen Artikel von ihnen zu bekommen. Deshalb nehmen wir gern die Hilfe unserer amerikanischen Kollegen in Anspruch und bringen von dem Artikel in Scientific American dann die Übersetzung in Spektrum.

Durch die Lappen gegangen

Einmal ist uns auf diese Weise allerdings auch ein späterer Nobelpreisträger durch die Lappen gegangen. Über diese Schmach tröstete uns nur hinweg, dass es der Preis für Frieden war; und der liegt schließlich außerhalb des Bereichs der Naturwissenschaften, für den wir uns zuständig fühlen. Bei dem Laureaten handelte es sich um Muhammad Yunus, den Gründer der Grameen Bank, die Kleinkredite an Arme in Entwicklungsländern vergibt. Er hatte im November 1999 über das Projekt in Scientific American berichtet. Wir fanden den Artikel zwar auch interessant und ließen ihn deshalb sogar übersetzen. Aber dann druckten wir ihn wegen seiner Ferne zu den Naturwissenschaften und angesichts der Konkurrenz echter wissenschaftlicher Themen doch nicht ab – ein Fehler, wie wir nachträglich zugeben müssen. Immerhin konnten wir, als Yunus dann 2006 den Friedensnobelpreis erhielt, die Übersetzung sofort ins Internet stellen.

Dass uns ein weiterer Nobelpreis entging, ist uns nur bedingt anzulasten. In diesem Fall lehnte der künftige Laureat die Einladung zu einem Artikel bei uns ab. Chefredakteur Reinhard Breuer und ich waren 1999 extra nach Jülich gefahren, um uns bei Peter Grünberg über seine Arbeit zu informieren und ihn zu bewegen, den von ihm entdeckten Riesenmagnetowiderstand in einem Beitrag bei uns zu beschreiben. Doch für den Forscher war seine Entdeckung, die er elf Jahre zuvor gemacht hatte und für die er 2007 den Physiknobelpreis erhalten sollte, damals bereits ein alter Hut. Das Thema interessierte ihn nicht mehr, und er wollte auch nicht mehr darüber schreiben. Notgedrungen müssen wir uns eingestehen, dass wir in diesem Fall die technische Bedeutung nicht früh genug erkannt haben und uns erst dann um einen Artikel beim Entdecker bemühten, als die Anwendungen im Bereich der Computerspeicher schon weit entwickelt waren, der Wissenschaftler aber längst an anderen Dingen arbeitete.

Ein solcher Korb ist allerdings extrem selten; ich habe keinen anderen Fall erlebt. In der Regel schreiben Nobelpreisträger für uns, bevor sie die Nachricht aus Stockholm erhalten haben. In gewisser Weise kann man sagen, dass, rein statistisch betrachtet, mit einem Artikel in Spektrum beziehungsweise Scientific American die Chancen auf Nobel-Ehren drastisch steigen. Dass unsere Autoren das bedenken, wenn sie die Einladung zu einem Artikel bei uns annehmen, glaube ich allerdings nicht. Vielmehr empfinden gerade hochkarätige Forscher die Bringschuld der Wissenschaft gegenüber der Öffentlichkeit und sind dankbar für die Gelegenheit, ihre Ergebnisse – mit Unterstützung durch eine kompetente Redaktion, die ihnen bei der didaktischen und sprachlichen Aufbereitung hilft – möglichst vielen interessierten Laien zu vermitteln.

Keineswegs zu schade

Doch auch nach der Auszeichnung sind sich Nobelpreisträger keineswegs zu schade, bei Spektrum zu schreiben. Nur in Ausnahmefällen berichten sie dabei allerdings über die Untersuchungen, denen sie die Ehrung verdanken. Vielmehr stellen sie in der Regel neue Ergebnisse vor, die sie oft auf einem ganz anderen Gebiet gewonnen haben. Zwei typische Beispiele möchte ich hier erwähnen. Das eine ist Manfred Eigen, der 1967 – also elf Jahre vor der Gründung von Spektrum – den Nobelpreis für die Entwicklung von Relaxationsmethoden zur Bestimmung der Geschwindigkeit sehr schneller Reaktionen erhalten hatte. Er schrieb für uns im Zehnjahrestakt: 1981 über seine Untersuchungen zur Entstehung des Lebens, 1992 über die „Büchse der Pandora“, die Viren als Quasispezies verkörpern, und 2001 über den Rinderwahnsinn BSE. Francis H. C. Crick, der Mitentdecker der DNA-Doppelhelix, machte sich nach einem radikalen Themenwechsel 1979 bei uns Gedanken über das Gehirn und beschäftigte sich 1992 schließlich mit dem Problem des Bewusstseins.

Bei 88 Artikeln von 67 Nobel-Laureaten in dreißig Jahren (Stand Oktober 2008 sind es sogar 91 Artikel von 70 Preisträgern, Anm. d. Red.) scheint das Markenzeichen „Zeitschrift, in der die Nobelpreisträger schreiben“ wohlverdient. Wir werden uns auch weiter bemühen, nobelverdächtige Autoren auf unseren Seiten zu Wort kommen zu lassen – auch wenn die Wissenschaft immer komplizierter wird. Das erinnert mich an den Fall Richard Ernst, Chemie-Nobelpreisträger 1991, dessen mehrdimensionale Resonanzspektroskopie uns außerhalb dessen schien, was Laien zumutbar ist, und den wir deshalb nicht einluden. Wir hoffen jedoch in unserem eigenen Interesse wie in dem unserer Leser, dass wir auch in Zukunft jeden Oktober, wenn die neuen Nobelpreisträger bekannt gegeben werden, mindestens bei einem sagen können: Der hat schon für uns geschrieben.

Gerhard Trageser, stellvertretender Chefredakteur

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