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Räumliche Geometrie: Noch mehr Durchdringungen

Dreiwürfel

Eschers "Wasserfall" und andere Verwirrspiele

In der letzten Folge ("Durchdringungskörper") hatte ich Ihnen einige Prachtexemplare vorgestellt: Fünf Tetraeder, fünf Oktaeder oder fünf Würfel, richtig ineinander gesteckt, ergeben ein Gesamtkunstwerk mit der Symmetrie des Dodekaeders. Während also der einzelne Baustein zur Familie der Vierzähligen gehört (und das Tetraeder noch nicht einmal richtig), ist das Gesamtwerk ein Mitglied der Fünfzähligen. Das ist insofern bemerkenswert, als die Familien ansonsten nichts miteinander zu tun haben wollen.

Beim Fünffachwürfel funktioniert das deswegen, weil man sich von den 20 Ecken des Dodekaeders acht auswählen kann, die zugleich die Ecken eines Würfels sind. Die 20 Ecken des Fünffach-Tetraeders liegen ebenfalls in den Ecken eines Dodekaeders, und die 30 Ecken des Fünffach-Oktaeders liegen auf den Mittelpunkten der Kanten eines Dodekaeders.

Das sind drei Fälle eines allgemeinen Prinzips, das wie folgt zu beschreiben wäre: Man nehme einen "Innenkörper" (denken Sie zunächst an den Würfel) und einen "Außenkörper" (denken Sie an ein Dodekaeder), das heißt, der Innenkörper ist dem Außenkörper irgendwie einbeschrieben. Zum Beispiel sitzen die Ecken des Innenkörpers in den Ecken des Außenkörpers, oder auf dessen Kanten, oder an bestimmten Stellen seiner Flächen. Außerdem verfügt der Außenkörper über gewisse Symmetrien, zum Beispiel weil er ein platonischer Körper ist. Man kann mit ihm also – zum Beispiel – eine Fünfteldrehung um gewisse Achsen veranstalten, und er geht wieder in sich selbst über. Der Innenkörper ist fest in den Außenkörper eingeklemmt, dreht sich also mit bei dieser Fünfteldrehung; aber er geht dabei im Allgemeinen nicht in sich selbst über! Wenn er nicht zur Familie der Fünfzähligen gehört, sowieso nicht. Und selbst wenn er ein Fünfzähliger ist, seine Symmetrieachsen aber anders liegen als die des Außenkörpers, dann geht er immer noch nicht in sich selbst über.

Also stecken in ein und demselben Außenkörper gleich mehrere Exemplare des Innenkörpers, nämlich der originale und alle gedrehten, wobei jede Drehung auszuführen ist, die den Außenkörper invariant lässt. Dabei lassen im Allgemeinen manche Drehungen auch den Innenkörper invariant – denn wenn der selber ein platonischer ist, hat er ja auch gewisse Symmetrien; aber eben nicht alle! So werden aus einem Würfel im Dodekaeder immerhin fünf Stück; es gibt zwar erheblich mehr Drehungen, die das Dodekaeder invariant lassen, aber die bringen wegen der Symmetrie des Würfels nichts Neues.

Am Ende unserer Konstruktionsbemühungen werfen wir den Außenkörper weg wie ein Baugerüst, das seinen Zweck erfüllt hat, und behalten die Exemplare des Innenkörpers. Vom Außenkörper bleibt nur dessen Symmetrie übrig.

Der Dreiwürfel | Die Ecken eines Würfels sitzen sämtlich auf Kanten eines Oktaeders. Dafür gibt es drei Möglichkeiten.

Das Bild links zeigt, was sich ergibt, wenn der Innenkörper ein Würfel und der Außenkörper ein Oktaeder ist. Man stelle sich das Oktaeder wie üblich vor: Pyramide auf dem Boden, darunter ragt eine umgekehrte Pyramide in die Erde. Wenn man der oberen Pyramide die Spitze waagerecht abschneidet, ist die Schnittfläche ein Quadrat. Je weiter unten man schneidet, desto größer ist das Quadrat. Dasselbe veranstaltet man spiegelbildlich mit der unterirdischen Pyramide, und wenn man so schneidet, dass der Abstand der beiden Quadrate gleich ihrer Seitenlänge ist: Dann hat man den Würfel, der uns interessiert.

Nun hat der Würfel zwar im Prinzip dieselben Symmetrien wie das Oktaeder, in dem er steckt; aber er steckt nicht richtig im Oktaeder. (Richtig wäre – Dualitätsprinzip – mit den Ecken in den Flächenmittelpunkten des Oktaeders.) So unangepasst, wie er da drinsteckt, bleibt er auch nicht unverändert, wenn man das Oktaeder so dreht, dass es wieder mit sich selbst zur Deckung kommt, nur dass die bisherige Spitze jetzt auf dem Boden liegt. Insgesamt ergeben sich drei verschiedene Würfel. Der nebenstehende Film zeigt Ihnen nacheinander alle Kombinationen aus null bis drei dieser Würfel.

Das Dreifach-Oktaeder | Auf die Ecken eines Würfels kann man auf drei verschiedene Weisen ein Oktaeder mit den Kanten aufsetzen.

Der Dreifachwürfel sieht ganz gut aus. Ich mag ihn am liebsten in den französischen Nationalfarben blau, weiß und rot, weil ich mir den Bastelbogen während eines Frankreichurlaubs überlegt habe. Aber das ist eine unmathematische Geschmackssache. Wer die Franzosen nicht mag, kann das Ding mit denselben Farben als niederländisches oder russisches Nationalpolyeder definieren. Der Körper war auch schon wohlbekannt, als der bekannte Künstler Maurits C. Escher ihn als Turmdekoration in seinem Bild "Wasserfall" verwendete.

Man kann den Spieß übrigens umdrehen. So wie es drei Würfel gibt, die man auf die – bis auf Symmetrie – gleiche Weise in das Oktaeder stecken kann, so gibt es drei Oktaeder, die man auf die – bis auf Symmetrie – gleiche Weise um den Würfel herum stecken kann. Das ergibt das Dreifach-Oktaeder.

Würfel und Oktaeder im Rollentausch

Vier Oktaeder im Würfel | Die vier Oktaeder sind gegeneinander um jeweils 90 Grad verdreht.

So wie man den Würfel leicht symmetriebrechend ins Oktaeder stecken kann, so passt auch das Oktaeder mit seinen Ecken auf die Kanten eines Würfels. Die sechs Ecken des Oktaeders treffen nur jede zweite der zwölf Würfelkanten und teilen sie im Verhältnis 3 zu 1. "Symmetrie heißt Gleichberechtigung", schreien daraufhin die sechs restlichen Kanten, die bisher noch keine Oktaederecke abgekriegt haben. Die anderen Kanten beklagen mangelnde Ausgewogenheit, weil sie nur bei einem Viertel ihrer Länge, nicht aber bei drei Vierteln, von einer Oktaederecke belastet werden. Und allen Klagenden kann geholfen werden, indem man einfach den Würfel samt darin steckendem Oktaeder mehrfach um 90 Grad dreht, und zwar um eine Achse durch zwei gegenüber liegende Flächenmittelpunkte, denn bezüglich dieser Achsen hat der Würfel eine Vierersymmetrie. Er geht also wieder in sich selbst über, nicht aber das schief eingeklemmte Oktaeder, das daher hinterher in vierfacher Ausfertigung vorhanden ist.

Das Vierfachoktaeder im Würfel ist – leider – nicht eines der schönsten unter den Polyedern. Die vier Komponenten hocken einfach zu dicht aufeinander, als dass man sie optisch auseinanderhalten könnte. Da liefert das Alternativrezept – halt das Oktaeder fest und lass die Würfel tanzen – mit dem Vierfachwürfel ein deutlich attraktiveres Ergebnis.

Vier Würfel um ein Oktaeder | Diesmal rotieren die Würfel, und das Oktaeder bleibt fest. Das eingezeichnete Oktaeder ist eine Vergrößerung des festen Oktaeders, das unsichtbar im Inneren steckt.

Diesen Körper kann man sich auch etwas anders konstruiert denken, und so habe ich ihn auch ursprünglich – durch Frau Elisabeth Barth aus München – kennen gelernt. Der Würfel hat vier Raumdiagonalen, sprich Achsen von einer Ecke zur genau gegenüberliegenden. Um jede dieser Achsen hat er eine dreizählige Drehsymmetrie. Wenn man ihn also um 120 Grad dreht, geht er in sich selbst über. Und wenn man ihn nur um 60 Grad dreht? Dann eben nicht! Aber die vier Würfel, die entstehen, wenn man einen Ur-Würfel um 60 Grad um jede seiner Raumdiagonalen dreht: Die ergeben genau den Vierfachwürfel, den ich oben beschrieben habe.

Jetzt kommt wieder die naheliegende Frage: Bis jetzt hat sich alles in der Familie der Vierzähligen abgespielt. Gibt es Entsprechendes auch unter den Fünfzähligen? Die Antwort: Sicher. Man bekommt auf diese Weise zum Beispiel ein fünffaches Dodekaeder. Sehr symmetrisch, sehr farbenfroh, wenn man es in fünf verschiedenen Farben ausführt – und ziemlich unübersichtlich. Die fünf Dodekaeder hocken wieder zu dicht aufeinander, um gut erkennbar zu sein. Für die fünf Ikosaeder, die es im Prinzip auch geben muss, fürchte ich noch Schlimmeres.

Für den Dreifachwürfel (in den französischen Nationalfarben), den Vierfachwürfel und das Dreifach-Oktaeder biete ich Bastelbögen an.

Kommentare und Anregungen sind wie immer stets willkommen!

Herzlich Ihr

Christoph Pöppe
Redakteur bei Spektrum der Wissenschaft


Literaturhinweis zu dieser Folge:
Kapitel 10 "Combination, Transformation and Decoration" aus Peter R. Cromwell: Polyhedra. Cambridge University Press 1997.

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