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Sommerloch heute: Wahl und Qual

Zu viel der leichten Kost: Heute konnten wir uns partout nicht entscheiden, welche Nachricht wir Ihnen als Sommerlochsnack servieren sollten. Also kreieren wir daraus ein locker-luftiges Menü, das Ihnen kaum schwer im Magen liegen dürfte.
Eis essen
Immer diese Qual der Wahl: Da liegt vor einem die Dessertkarte mit lauter lecker klingenden Verlockungen – was soll man bloß bestellen? Wer noch keine Präferenzen hat, wird wahrscheinlich noch auf den Preis schielen, so als kleine Entscheidungshilfe. Und wer dann einen Schreck bekommt, weil der wahrscheinlichste Kandidat auch der teuerste ist, der beschränkt sich doch auf einen kleinen Espresso. Nix Nachtisch.

Ist es Ihnen auch schon so ergangen? Dann bestätigen Sie die Untersuchungsergebnisse von Alexander Chernev von der Northwestern-Universität in Evanston. Denn er hat den Einfluss der Preisgebung auf das Wahlverhalten von Konsumenten untersucht und dabei festgestellt, dass die Kosten die Entscheidungsfindung entweder hemmen oder fördern können, je nach Situation: Hat der Kandidat schon eine Wunschvorstellung und liegt diese auch noch in einer für ihn akzeptablen Preisspanne, beschleunigt dies den Zugriff. Hegt der Kunde dagegen noch keine Vorlieben und findet aber nur unter den teuren ihn ansprechende Objekte, lässt er den Geldbeutel lieber gleich ganz stecken [1]. Fazit für die Anbieter: Egalisiert die Preise. Nicht umsonst funktioniert das Prinzip Wühltisch mit "Alles 1 Euro" bestens.

Rund um Entscheidungsfindung ging es auch Simona Botti von der Cornell-Universität und Ann McGill von der Universität Chicago. Sie beschäftigten sich mit der buchstäblichen Qual der Wahl – beziehungsweise der Frage, ob die freie solche uns
"Wenn sich verschiedene Optionen nur schlecht voneinander trennen lassen, fühlt sich der Wähler weniger verantwortlich – was verhindert, dass er sich in Selbstbeweihräucherung oder Selbstbeschuldigungen ergeht"
(Simona Botti, Ann McGill)
glücklicher macht. Aber sicher doch, werden manche sagen – wer lässt sich schon gern etwas aufdrücken! Doch weit gefehlt, fanden die beiden Forscherinnen heraus: Nicht die Freiheit entscheidet über unsere Gefühle, sondern das Maß der eigenen Verantwortung am Ausgang des Geschehens.

So hatten die Wissenschaftlerinnen Freiwillige vor Alternativen gestellt oder ihnen vorenthalten und etwas zugewiesen. Waren alle Optionen angenehm und auch gut zu unterscheiden, ging es den Wählern anschließend besser als den Wahllosen. Ebenso fanden sich die freien Entscheider besser mit dem selbst gewählten Übel aus einer Sammlung Übelriechendem ab als ihre Kollegen mit dem zugeschobenen Päckchen.
Auch die Wissenschaft kennt ein Sommerloch. Mehr und mehr fluten dann Ergebnisse die Medien, die sonst kaum den Weg in die Berichterstattung finden. Mit der Reihe "Sommerloch heute" möchten wir Ihnen eine Auswahl präsentieren.
Sollte die Wahl aber stattfinden zwischen sich sehr ähnlichen Objekten – wie beispielsweise verschiedenen Kaffeedüften –, unterschied sich der Satisfaktionspegel kaum noch zwischen den Gruppen [2]. Warum? Weil wir uns bei schwierigen Entscheidungen, wie sie durch zu ähnliche Alternativen entstehen, nicht mehr so verantwortlich fürs Ergebnis fühlen, erklären Botti und McGill. Zu leicht brockt man sich hier etwas Falsches ein oder zieht mit mehr Glück als Verstand das große Los. Sich dafür selbst übermäßig zu loben oder die Haare zu raufen, mache daher wenig Sinn.

Sich die Haare raufen, dürften so manche Trainer nach Lektüre der Studie von Martin Hägglund von der Universität Linköping. Frisch nach der Weltmeisterschaft, zum Einstieg in die nationalen Ligen dürfen sie nun fürchten, dass ihre Schützlinge so manches Verletzungsübel des letzten Jahres wieder ereilt. Zumindest zeigte sich bei knapp 200 schwedischen Fußballspielern in zwei aufeinander folgenden Spielzeiten, dass Leistenbrüche oder
"Riskantes Verhalten und psychologische Faktoren spielen bei wiederkehrenden Verletzungen wahrscheinlich eine Rolle"
(Martin Hägglund et al.)
Knieverletzungen die Betroffenen des Vorjahres gern wieder außer Gefecht setzen – mit dreifacher Wahrscheinlichkeit gegenüber unverletzten Spielern [3]. Einen Zusammenhang mit dem Alter fanden die Forscher nicht, wohl eher seien Risikoverhalten und psychologische Faktoren für die Wiederholung vergangener Blessuren verantwortlich, meinen die Autoren. Nicht außer Acht zu lassen sei natürlich auch, dass die Verletzungen Muskeln und Gelenke langfristig schwächen. Gutes Ausheilen vor der Rückkehr in den Sport sei daher anzuraten.

Nicht nur in Schweden, sondern in ganz Europa belastet dagegen ein Trend die Gesundheit der Jugend, der bestimmt positiv gemeint war: der Bau von Hallenbädern. Denn mit jedem Schwimmbad mehr pro 100 000 Einwohner steigt das Risiko für Asthma und Atembeschwerden um zwei bis drei Prozent, fanden Alfred Bernard von der Katholischen Universität Louvain in Brüssel heraus [4]. Dabei stellten sie ein starkes West-Ost-Gefälle fest:
"Der Anstieg der Asthma-Fälle in Europa könnte teilweise damit erklärt werden, dass die Kinder verstärkt Abbauprodukten von Chlor ausgesetzt sind"
(Alfred Bernard et al.)
Während im Westen 50 000 Menschen ein Hallenbad für sich haben, müssen sich im Osten 300 000 eins teilen. Der Anstieg der Asthmafälle im Westen könne daher auf die Langzeiteffekte von Chlor und seinen Nebenprodukten auf die Atemwege des Nachwuchses zurückgeführt werden, folgern die Autoren. Bäder sollten dementsprechend gut belüftet und die Konzentration von Nebenprodukten streng überwacht werden.

Ob aber da die verwendeten Fragebögen oder Videoaufzeichnungen vielleicht die Ergebnisse verfälschten? Schließlich macht es großen Einfluss, über welches Medium Befragte Antwort geben, ermittelten Nader Tavassoli von der London Business School und Gavan Fitzsimons von der Duke-Universität [5]. Gerade bei Langzeitanalysen des Kundenverhaltens sei es fatal, zwischenzeitlich zu wechseln – zumindest von Telefon auf online. Denn Sprechen und Schreiben aktiviere unterschiedliche kognitive und motorische Systeme und Wahrnehmungsmechanismen, mit dem Erfolg, dass frühere Erfahrungen je nach Medium anders wiedergegeben werden. Wer also das erste Mal am Telefon über seine Waschmitteleinkaufsgewohnheiten plauderte, könnte im Internet plötzlich ganz andere Anworten geben, warnen die Wissenschaftler. Eine Langzeitanalyse sei dann nicht mehr möglich beziehungsweise nicht vertrauenswürdig.

Ob das auch für die Wahl des Nachtischs gilt? Müsste man untersuchen. Anbieten könnte sich auch einmal eine Studie, die sich mit Pizzalieferdiensten beschäftigt – gibt es hier Unterschiede zwischen Anrufern und Online-Buchern? Wie sähe es mit der Zufriedenheit der Kunden aus, wenn sie nach Zufallsprinzip den Belag zugeteilt bekämen? Gibt es eigentlich lieferantentypische Erkrankungen? Schädigt Hefeteig oder Tomatensauce auf Dauer die Haut? Es gäbe noch viel zu tun – genug Material für heiße Zeiten des Sommerlochtraumas.

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