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  • Angemerkt: Die Fakten zum Heilpflanzenverbot

    12.11.2010, Barbara Schuhrk
    Einst galt das alte Wissen um Heilpflanzen als heilige Kunde, als Weisheit. Dann fiel es dem Feuer zum Opfer. Dem Hexenhammer folgte das Betäubungsmittelgesetz. Die Inquisition der Neuzeit verbot zahlreiche besonders wirkungsvolle Kräuter; andere wurden bereits zu Giftpflanzen, psychoaktiven Suchtmitteln oder Gefahrenpotenzial degradiert. Nun erreicht der Feldzug gegen die Heilpflanzen seinen aktuellen Höhepunkt: Ab dem 01. April 2011 soll innerhalb der EU eine Richtlinie umgesetzt werden, die der Vereinheitlichung des Zulassungsverfahrens für traditionelle, medizinisch genutzte Kräuterzubereitungen dienlich sein soll. Naturprodukte werden auf diesem Wege zu medizinischen Produkten und benötigen fortan eine Konzession. In allen EU-Staaten wird es danach verboten sein, Heilkräuter oder Pflanzen zu verkaufen, die keine Lizenz haben.
    Nicht einzig Omas’ wohlduftender Kamillentee, der blähungswidrige Säuglingsliebling Fenchel steht damit auf der Abschussliste - auch naturheilkundliche Berufszweige, Heilpraktiker, Alternativmediziner und Phytotherapeuten dürfen bangen. Anbieter von Naturprodukten müssen den gleichen aufwändigen und kostenträchtigen Prüfungsprozess durchlaufen, wie er für chemische Arzneien üblich ist - gleichzusetzen mit dem Ruin dieser Firmen. Die TCM als nicht-europäische Medizin wird ausgemerzt, die Komplementärmedizin in Frage gestellt, die freiheitliche Entscheidung des Menschen über seine eigene Gesundheit wird unterbunden, demokratisches Denken abgeschafft, die pharmazeutische Allmacht und Wirtschaft hingegen gestärkt. Eine Entwicklung, die abzusehen war - zumindest zu befürchten...

    Im vergangenen Jahr bezeichneten britische Abgeordnete Homöopathie als "Hexenwerk", vor wenigen Monaten schlug Karl Lauterbach, SPD, Obmann im Gesundheitsausschuss des Bundestags, vor, "den Krankenkassen schlicht zu verbieten, die Homöopathie zu bezahlen". Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), bezeichnet Homöopathie gar als "spekulatives, widerlegtes Konzept".

    Der Rundumschlag auf die Naturheilkunde zieht seine Kreise. Nur was in unserer materialistischen, reduktionistischen Welt beweisbar, patentiert und via Schutzmarke zu monopolisieren ist, scheint noch erwünscht. Neuerlich wird die Natur illegalisiert und dämonisiert. Doch wird dadurch nicht unsere Gesundheit geschützt, sondern vielmehr Umsatz wie Profit der Großkonzerne gesichert. Einzig ihnen wird die Macht obliegen, über unseren Körper, unsere Leiden und unsere Gesundung zu herrschen; einzig ihnen obliegt es zu bestimmen, welche Kräuter gewinnbringend vermarktet werden dürfen oder dem Untergang geweiht sind.

    Synthetisierung und Standard auf Kosten der Gesundheit?
    Betrachten wir die Historie der Nachtschattengewächse, umjubelte "Wunder-Pflanzen", die sodann verboten worden sind und jüngst die Gleichsetzung von Aztekensalbei (Salvia divinorum) mit Heroin, so ist das Prinzip offensichtlich: Heilpflanzen mit nicht erklärbaren Wirkungen werden verboten, dürfen einzig zu Forschungszwecken genutzt werden - auf dass Studien Wirtschaftlichkeit mit sich bringen mögen ...

    Synthetisisierte Pflanzen-, standardisierte Inhaltsstoffe aber bergen oftmals Nebenwirkungen, die das Gewächs an sich nicht in sich trägt: Meerträubel wird nachweislich seit 5000 Jahren in der chinesischen Medizin verwendet. Als Tee hilfreich bei Asthma, gegen Viren, als Dekokt bei Rheuma. Mexikanische Indianer rauchen Ephedra bei Migräne, die Mormonen, denen jede Droge, jedes Genussmittel verboten ist, trinken täglich mehrere Tassen des Aufgusses. Keiner spricht über Nebenwirkungen. In der Naturheilkunde wird der Tee wegen seiner bronchial-entspannenden Wirkung verordnet. Er bringt geschwollene Schleimhäute zum Abschwellen, wird somit auch bei Allergien, Heuschnupfen angewendet. 1887 wurde das Reinalkaloid Ephedrin isoliert, als standardisiertes Asthmamittel bejubelt. Dann aber wurde als Nebenwirkung eine drastische Erhöhung des Blutdrucks festgestellt. Ephedrin verlor an Beliebtheit, das Meerträubel galt plötzlich als gefährlich, ist nun verschreibungspflichtig. Und das, ohne folgendes zu beachten: Die ganze Pflanze beinhaltet noch sechs weitere Alkaloide, zahlreiche Begleitstoffe. Darunter befindet sich auch Pseudoephedrin - dieses senkt den Blutdruck ...
    Das Schlangenholz, Rauwolfia serpentina, findet im indischen Ayurveda und in der Volksmedizin seit mindestens 4000 Jahren Anwendung bei Stichen, Schlangenbissen, Nesselsucht, Fieber, Durchfall, hohem Blutdruck, Epilepsie, Schlaflosigkeit und vor allem Geisteskrankheit, die sich in Angst und Aggression zeigt. Mahatma Ghandi trank jeden Abend seine Tasse Rauwolfiatee, da es den Geist beruhigt, die Lebensenergie verbessert. 1952 isolierte der Chemiker Emil Schletter den Hauptwirkstoff, das Alkaloid Reserpin. Ein neues Wundermittel zur Blutdrucksenkung kam auf den Markt, doch bald häuften sich die alarmierende Berichte der Ärzte: Die Behandlung führte bei vielen Patienten zu manisch-depressiven Zuständen, vereinzelt auch zum Selbstmord. In den 70ern wurde nicht nur das Reinalkaloid unter Rezeptpflicht gestellt, sondern die gesamte pflanzliche Droge. Die Heilpflanze ist heute nicht mehr erhältlich. Aber: In der naturbelassenen, nicht isolierten Pflanzendroge befinden sich noch 160 verschiedene andere Alkaloide, Nebenwirkungen sind nicht bekannt. Indische Mütter geben ihren Kleinkindern den Tee zu trinken ...
    Die Wirkung einer Heilpflanze ist nicht einzig an einem Bestandteil festzumachen, kann nicht auf einen wesentlichen Wirkstoff begrenzt werden. Gewiss - es ist marktgerechter, so zu agieren. Der gewünschte Effekt aber wird nur mit der Gesamtheit der Pflanze erzielt und oft weiß ein Wirkstoff die Nebenwirkung eines anderen zu mindern. Wie soll da eine Zulassung erstellt werden? Und - ist nicht auch eine Pflanze ein Wesen, welches nicht auf ihren Inhalt reduziert werden sollte, da sie kein Aufbewahrungsort für Substanzen ist, sondern - wie der Mensch - ein Ganzes? Nicht standardisierbar?

    Dämonisierung als Konzept?

    Salvia divinorum, eine uralte Heilpflanze Mexikos, ist am 15. Februar 2008 von der Bundesregierung verboten worden. Eine Pflanze der Götter, so die Mazateken. Eine gefährliche Droge, so der Bundesrat. Fakt aber ist, dass Salvia divinorum nicht hinlänglich erforscht worden ist, um diese Behauptung zu stützen. Und hinlänglich erforscht sehr viel Heilpotential zu bergen scheint ...
    Die Vorteile solch verteufelter Pflanzen werden vielfach verschwiegen: Aus Mohn wurde Opium, die Tollkirsche war nicht allein im ABC-Pflaster hilfreich - Atropin ist Hauptbestandteil der heutigen Augenheilkunde. Aus dem Teufelsblatt Coca wurde das Kokain isoliert, ein Wirkstoff, der die Lokalanästhesie revolutionierte; aus dem Teufelskaktus (Peyote) das Meskalin - die Modellpsychose der Psychiatrie ward erfunden. Das erste Antidepressivum (Harmin) entdeckte man dank der neuspanischen Inquisition im verbotenen Ayahuasca und auch der erste Betablocker fand sich erstaunlicherweise im diabolischen Zauberpilz Psilocybe mexicana: Psilocybin und Psilocin.
    Aktuell stellte man anhand einer Laborstudie der Universität Rostock fest, dass ein Inhaltsstoff der Cannabis-Pflanze die Ausbreitung von Krebs hemmt. Genauso wie vielerlei andere Pflanzen verteufelt wurden, aber synthetisch im Handel sind, ergeht es dem Hanf. Trotz stets aktueller Diskussionen ist kein Wandel in Sicht. Es stellt sich somit die Frage, ob bei dieser Handhabung tatsächlich das Wohlbefinden der Menschen im Vordergrund steht oder nicht doch eher wirtschaftliches Interesse. Denn die Liste ließe sich fortsetzen. Alle genannten Substanzen haben ihren Platz in der heutigen Pharmaindustrie, in der westlichen Medizin gefunden - und sind doch verboten, werden einzig durch medizinische und pharmazeutische Institutionen verwaltet!

    Der Weg zur absoluten Kontrolle?
    ... und nun folgt der nächste Streich: Die EU-Richtlinie THMPD (Traditional Herbal Medical Product Directive), deren Regelungen ab April 2011 in Kraft treten, wird für viele Nahrungsergänzungen und Naturheilmittel, die aus Kräutern zubereitet werden, das Aus bedeuten. Mit dieser Norm werden auch Behandlungen und Therapien der Alternativmedizin sehr stark eingeschränkt, da sie - unter anderem - sowohl für Frischpflanzenzubereitungen, Tinkturen, Öle, ätherische Öle, getrocknetes Kraut, Flechten, Algen und Pilze gilt.
    Die THMPD ist eine EU-Richtlinie zur Verwendung traditioneller und pflanzlicher medizinischer Produkte (Richtlinie 2004/24/EG) zugunsten der Vereinheitlichung des Zulassungsverfahrens für traditionelle Kräuterzubereitungen, die medizinisch eingesetzt werden. Naturheilmittel, Nahrungs- und Nahrungsergänzungsmittel werden nun als medizinische Präparate deklariert, dürfen künftig nur noch auf den Markt gebracht werden, wenn sie die Zulassungsvoraussetzungen THMPD erfüllen.
    Die Kosten für Registrierungs- und Zulassungsverfahren sind immens, die zumeist klein- und mittelständischen Hersteller für Naturheilmittel vertreiben eine Vielzahl von Produkten mit geringer Gewinnspanne, während Pharmakonzerne geringe Herstellungskosten haben, immense Gewinne einfahren. Die Verhältnismäßigkeit fehlt - es droht der Ruin! Zudem fordert der HMPC-Ausschuss (Committee on Herbal Medicinal Products) sogenannte genotoxische Daten zu den einzelnen pflanzlichen Stoffen. Solche sind kaum vorhanden oder unzureichend. Ungeachtet der Tatsache, dass dieser unabhängige Ausschuss vornehmlich aus Pharmakologen besteht ...
    Bereits ab Oktober 2005 mussten erste Bestimmungen der THMPD von den EU-Mitgliedstaaten umgesetzt werden, ab April 2011 treten diese in vollem Umfang in Kraft: Alle Naturheilmittel die trotz Jahrhunderte langer traditioneller Anwendung nicht den - im Sinne der EU bestimmten - Anforderungen einer allgemeinen medizinischen Verwendung, einer anerkannten Wirksamkeit und eines akzeptablen Sicherheitsgrades entsprechen, dürfen nicht mehr hergestellt, vertrieben und angewendet werden.

    Standardisierte Traditionen?
    Ein traditionelles Arzneimittel wird nur dann zugelassen, wenn es ausschließlich in einer bestimmten Stärke und Dosierung verabreicht wird und einzig zur oralen, äußerlichen Anwendung oder Inhalation bestimmt ist. Es muss für eine Anwendung ohne ärztliche Überwachung „konzipiert“ und bestimmt, seit mindestens dreißig Jahren in medizinischer Verwendung sein, davon fünfzehn Jahre innerhalb der Europäischen Gemeinschaft und sich zudem als unschädlich wie plausibel erwiesen haben. Zudem müssen die Kriterien zum Nachweis von "Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit" gemäß des Registrierungssystems für traditionelle Arzneimittel der Richtlinie THMPD 2004/24 erfüllt werden. Dafür muss der staatliche! Antragsteller alle Qualitätsanforderungen der Richtlinie 2001/83 EC für lizenzierte Arzneimittel erbringen. Es wird eine Einhaltung des GMP-Standards (Good Manufacturing Practice) sowie eine Hersteller-, Großhändler- oder Importlizenz für Großhändler verlangt. Inhabern dieser muss eine qualifizierte Person (QP) zur Verfügung stehen. Hinzu kommen bibliographische Angaben zu den Sicherheitsdaten sowie ein Sachverständigenbericht. Die Präparate und deren zuvor festgelegte Indikationen müssen für den rezeptfreien Verkauf geeignet sein. Die Indikationen werden dabei auf jene begrenzt, die für traditionelle Pflanzenpräparate zum Gebrauch ohne ärztlichen Rat oder ärztliche Überwachung geeignet sind. Der geforderte Nachweis über die medizinische Wirksamkeit beruht auf der langjährigen Anwendung, der 15-Jahre-Regelung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft.

    Im Klartext heißt das, dass die ältesten medizinischen Traditionen der Welt (Ayurveda, Traditionelle Chinesische Medizin) benachteiligt und ausgeschlossen werden, da deren Pflanzenzubereitungen nicht langjährig in Europa Verwendung fanden, die Pharmaindustrie-geprägten Kontrollbehörden zudem davon ausgehen, dass die Standards außerhalb Europas geringer sind. Hinzu kommt, dass sich die Richtlinien auf die Nutzung einer Einzelpflanze oder spezifischen Kombination stützen, andere sinnvolle und heilsame, auch wissenschaftlich belegte Zusammensetzungen verhindert werden. Zudem stellt die THMPD identische Anforderungen an die Herstellung, wie für chemische Arzneimittel - Reinheits- Stabilitäts- und Genotoxizitätskriterien, die auf pflanzlicher Basis und in deren Komplexität gar nicht umsetzbar sind, deren Daten nicht erfasst sind und deren eventuelle Erhebung enorme Kosten mit sich bringt. Die traditionellen Naturheilmittel werden nur dann zugelassen, wenn sie für die Behandlung von geringen Beschwerden angemeldet werden. Eine Kräutermischung, die beispielsweise bei Krebs helfen könnte, wird somit grundsätzlich nicht zugelassen. Zu guter Letzt trägt der Endverbraucher die hohen Kosten, sollte sich ein Naturheilmittelhersteller tatsächlich den Registrierungs- und Zulassungsverfahren stellen können.

    Medizin aus der Natur und naturheilkundliche Alternativen sind der Pharmaindustrie schon immer ein Dorn im Auge gewesen. Heilpflanzen sind natürlich und heilsam. Korrekt angewandt haben sie keine oder nur geringe, unbedenkliche Nebenwirkungen. Jeder Mensch kann sie frei verwenden. Sie lassen sich nicht patentieren. Synthetisiert bergen sie oftmals nicht die gleiche Heilwirkung, wie das natürliche Pendant (vgl. Cannabis versus Dronabinol). Die Pharmaindustrie kann somit mit Heilpflanzen keinen Gewinn optimieren - und zu allem Überfluss geht der Trend der vergangenen Jahre in Richtung Naturheilkunde und sanfter Medizin. Eine bedrohliche Beliebtheit. Eine lästige Konkurrenz, die reglementiert und ausgeschaltet werden sollte. Somit ist das Verbot von Heilpflanzen nahezu unabdingbar, sollte ihr medizinischer Gebrauch strafbar gemacht werden ...

    Hoffnung für die Naturheilkunde?
    Der Hilferuf aus dem Pflanzenreich stieß nicht auf taube Ohren: Bis zum 11. November 2010 war es möglich, auf der Internetseite des Bundestages eine Petition im Bereich Arzneimittelwesen mitzuzeichnen: Keine Umsetzung des EU-Verkaufsverbotes für Heilpflanzen. Der Bundestag möge beschließen, dass das Verkaufsverbot von Heilpflanzen in Deutschland nicht greife. 50 000 Mitzeichner waren vonnöten, damit der Bundestag sich der Petition widmen möge. Am 10. November waren es 96737 Unterschriften.

    Einst galten Pflanzen als Heilmittel. Im Mittelpunkt stand der Mensch, nicht der Verdienst. Jahrtausende alte Traditionen werden durch neue Richtlinien in Frage gestellt. Heilpflanzen werden illegalisiert, Kranke auf den Weg in die Kriminalität, Heiler in die Grauzonen getrieben. Vermag die Natur, die weitaus länger existiert als Bundestag und Europäische Union illegal zu sein? Benötigt das, was sie seit Urzeiten zum Wohle des Menschen hervorbringt eine Zulassung? Gebührt es dem Menschen tatsächlich, derart vermessen zu sein?

    Wird die EU-Richtlinie umgesetzt, dürfen wir in Kürze das Verbot von Löwenzahn und Holunderbeeren erwarten und Salbei im Supermarkt nicht mehr erwerben, da er unter anderem bei Zahnerkrankungen indiziert ist. Der nächste Schritt wäre die Geburtenkontrolle, auf dass auch wir zertifiziert werden. Genormt sind wir ja bereits nahezu ...
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