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Kommentare - - Seite 1

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  • Plagiate sind ein methodisches Problem des Fachs

    17.10.2012, Dr. Wolfgang Klein
    Ich wage zu behaupten, dass Plagiate primär ein Problem von Fächern sind, die hauptsächlich vom beliebigen Kompilieren bestehender Texte leben, also primär solchen, die sich als Geisteswissenschaften (ohne Mathematik) umschreiben lassen. Selbst wenn korrekt zitiert wird, wie soll man denn feststellen, was eine neue (geistes-)wissenschaftliche Idee ist und ob diese Idee überhaupt valide ist. Es ist auch immer möglich, Aussagen umzuformulieren oder zu paraphrasieren. Wenn die Gutachter in den bekannten Fällen noch nicht einmal erkannt haben, dass abgeschrieben wurde, wie wollen sie denn dann erkennen, ob der Doktorand neue und valide Ideen äußert. Auch die heute existierende Plagiatsoftware kann das nicht. Wenn sie dies eines Tages einmal können wird, dann kann man sie auch zum Schreiben geisteswissenschaftlicher Dissertationen einsetzen. Das heißt, das Abfassen geisteswissenschaftlicher Dissertationen wäre dann automatisierbar. Wir hätten dann eine Fabrik für Dissertationen in den Geisteswissenschaften.

    Bei den Experimentalwissenschaften liegt die Sache anders. Alte Hüte fallen leichter auf. Die Gefahr liegt eher im Fälschen von Messergebnissen. In den Experimentalwissenschaften gibt es noch viel Handwerk, aber auch hier geht die Entwicklung in Richtung Automatisierung. Schon heute erfolgt die Interpretation von Messergebnissen am CERN durch Servomechanismen. Die Experimentalphysiker entwerfen nur noch die Geräte oder sitzen vor dem Bildschirm und schauen sich an, was der Computer so ausspuckt. Ähnlich in der Gentechnologie. Die Tätigkeiten, die vor 30 Jahren Hauptgegenstand der Dissertation waren, erledigt heute ein Sequenzierautomat in Sekunden. Der Informatik (früher hätte man von finiter Mathematik gesprochen) kommt hier im Zusammenhang mit dem erforderlichen Data Mining eine zentrale Bedeutung zu. Das ist natürlich nur ein Trend und noch nicht überall in den Experimentalwissenschaften so.

    Die Mathematik demgegenüber halte ich für inhärent plagiatsicher, wenn man von Randbereichen wie der Anwendung der "echten" Mathematik auf die Realität absieht. Die bekannten Plagiatsfälle in der Mathematik stammen alle aus diesen Randbereichen. Diese Plagiatsicherheit liegt an der mathematischen Methodik mit den Metaobjekten "Axiom", "Satz", "Beweis" usw.. Einen Satz einfach abzuschreiben bringt nichts. Das fällt wegen der normierten Sprache sofort auf. Das Umformulieren eines Satzes bringt einen Doktoranden auch nicht weiter. Das fliegt schnell auf. Genauso wenig bringt es, einen Beweis abzuschreiben. Die Anzahl der Beweisvarianten ist weiterhin meist klein. Außerdem legt die Mathematik Wert auf Eleganz. Wer schreibt schon einen umständlichen Zweitbeweis für einen bekannten Satz. Im Unterschied zu den Experimental- und Geisteswissenschaften ist grundsätzlich jeder, der die geistigen Fähigkeiten mitbringt, in der Lage Beweise ohne spezielle Zusatzausrüstung zu überprüfen.

    Worin liegen die Gefahren bei einer mathematischen Dissertation, bei der es meist um ein oder zwei zentrale Sätze geht.

    1. Der Satz wurde schon bewiesen und publiziert oder der Beweis war dem Doktoranden aus anderer Quelle (z.B. unveröffentlichtes Papier) bekannt. Ausnahme: Der neue Beweis ist eleganter oder offenbart andere interessante Zusammenhänge.
    2. Der Beweis ist fehlerhaft. Ist der Satz trotzdem richtig, kann der Beweis ggf. repariert werden (Beispiel: Andrew Wiles und der Beweis der Fermatschen Vermutung). Der Satz kann aber auch falsch sein. Das ist dann schlecht für den Autor, ist aber auch schon passiert (Beispiel: Ein Artikel mit dem Titel "K-Theory doesn't exist").
    3. Der Beweis des Satzes ist trivial oder zumindest einfach. Dann müssen sich die Gutachter nach ihrer fachlichen Qualifikation fragen lassen.

    Die Automatisierbarkeit mathematischer Arbeiten gestaltet sich schwierig. Schon in den 1970er Jahren wurden für die nahe Zukunft sogenannte "Beweiser" angekündigt, meist von angewandten Logikern, von denen man seither nicht mehr viel gehört hat. Ich wage die Vorhersage, dass die Mathematik die letzte Wissenschaft sein wird, die automatisiert werden kann.

    Man darf die Frage stellen, ob die Methodik der Mathematik in irgendeiner Weise auf die anderen Wissenschaften übertragen werden kann. Auch wenn Physiker, Informatiker, Wirtschaftswissenschaftler oder Soziologen mathematische Verfahren verwenden, heißt das nicht automatisch, dass sie wirklich Mathematik betreiben. Das zentrale Korrespondenzprinzip der Quantenmechanik ist beispielsweise durch keinen mathematischen Satz und keinen Beweis gedeckt. Es ist einfach nur eine physikalische Daumenregel, die irgendwie funktioniert.
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