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Natürlich fand auch ich das Urteil weit überzogen. Die eine Sache ist, dass es bislang unmöglich ist, auch nur vorher zusagen, ob es überhaupt zu einem größeren Erdbeben kommen wird, geschweige denn, wann.
Andererseits haben Wissenschaftler auch eine Verantwortung für ihre Äußerungen. Wenn es dabei geblieben wäre, dass man ein starkes Erdbeben in dieser Region nicht ausschließen könne, würde ihnen wohl auch niemand einen Vorwurf machen. Denn zu mehr ist die Forschung in diesem Bereich noch nicht in der Lage.
Doch das Risiko geringer einzuschätzen, als von der Bevölkerung befürchtet oder sogar zu behaupten, die kleinen Vorbeben hätten das Risiko eines starken Bebens verringert, ist nicht nur wissenschaftlich unhaltbar, sondern in diesem Zusammenhang durchaus kriminell. Denn auf was sonst als die Aussagen dieser Wissenschaftler soll sich die Bevölkerung verlassen können? Insoweit tragen sie auch die Mitschuld an 308 Toten.
Eine ganz andere Sache ist die Verharmlosung von Naturgewalten und daraus resultierender Bauvorschriften oder gar das überhebliche ausschließen von möglichen Naturgewalten. Doch das kennen wir zur Genüge auch aus Deutschland, beispielsweise bei den Sicherheitsvorschriften für Atomkraftwerke. Obwohl in diesem Fall sogar Millionen von Menschen bedroht sein können. Diese Überheblichkeit hat immer wieder zu Katastrophen geführt.
Das hat jedoch nichts mit dem aktuellen Fall zu tun. Im aktuellen Fall haben wir es einfach mit einer Region zu tun, in der bekanntermaßen viele Gebäude einem Erdbeben nicht standhalten würden. Man kann nicht innerhalb von wenigen Tagen Häuser erdbebensicher machen. Wohl unter anderem deshalb hat man diese Wissenschaftler zurate gezogen. Doch anstatt schulterzuckend festzustellen, dass man mit wissenschaftlicher Seriosität weder das eine noch das andere vorhersagen kann und deshalb jeder Einwohner der Region für sich selbst entscheiden muss, ob er sich dem Risiko aussetzen möchte, wurde die Gefahr drastisch verharmlost, wider besseres Wissen. Dieser Druck lastet auf diesen Wissenschaftlern.
Ich erwarte nicht nur von Wissenschaftlern, dass sie Unwissen zugeben und nicht irgendwelche Spekulationen anstellen, wenn sie etwas nicht mit hinreichender Sicherheit behaupten können. Diesen Wissenschaftlern kann man jedoch vorwerfen, dass sie stattdessen spekuliert und damit unverantwortlich gehandelt haben. Ob sie deshalb die Schuld daran tragen, dass die Region nicht evakuiert wurde, steht auf einem ganz anderen Blatt. Vermutlich hätten ohnehin die meisten trotz der konkreten Bedrohung Letztere verharmlost und wären dort geblieben. Denn das umgekehrte, vor einem starken Erdbeben zu warnen, obwohl man es nicht wissen konnte, wäre ebenso unverantwortlich gewesen. Wissenschaft ist schließlich keine Religion, in der man etwas glaubt oder auch nicht. Glauben ist nichts anderes als die Umschreibung von Nichtwissen.
In Italien ist man in vielen Regionen gewohnt, mit einer stetig drohenden Gefahr durch Vulkanausbrüche oder Erdbeben zu leben. Im übrigen ist Italien ein Land mit einer teilweise jahrtausendealten Baukultur, gerade Letztere sorgt auch für eine kulturelle Vielfalt, die es so nur in wenigen anderen Ländern gibt. Weitab der Vulkane ist das Erdbebenrisiko zwar deutlich größer als beispielsweise in Norddeutschland, jedoch nicht annähernd so groß wie traditionell in Japan, wo man sich mit der Bauweise mal abgesehen von Atomkraftwerken längst mit dem Naturgewalten gewissermaßen arrangiert hat. Außerdem hat das Erdbebenrisiko in Italien offensichtlich erst in den letzten 100 Jahren deutlich zugenommen. Wie viele Jahrhunderte stand beispielsweise die Kirche in Assisi, ohne jemals schwer beschädigt zu werden? Ich habe sie noch vor dem Erdbeben erlebt. Man kann nicht von heute auf morgen ein ganzes Land Erdbeben sicher machen. Wobei Sicherheit natürlich auch nur sehr begrenzt ist, ich kann mich noch gut an die Bilder eines Erdbebens in Tokio erinnern, die deutlich zeigen, dass erdbebensicheres Bauen seine Grenzen hat.
Verzeihen Sie, wenn ich in diesem Zusammenhang, trotz eines weit überzogenen Urteils, umgekehrt Ihnen den Vorwurf machen muss, von der Verantwortlichkeit der Wissenschaftler für ihre Aussagen abzulenken.
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Sind Wissenschaftler nicht verantwortlich?
26.10.2012, Gerhard LindemannNatürlich fand auch ich das Urteil weit überzogen. Die eine Sache ist, dass es bislang unmöglich ist, auch nur vorher zusagen, ob es überhaupt zu einem größeren Erdbeben kommen wird, geschweige denn, wann.
Andererseits haben Wissenschaftler auch eine Verantwortung für ihre Äußerungen. Wenn es dabei geblieben wäre, dass man ein starkes Erdbeben in dieser Region nicht ausschließen könne, würde ihnen wohl auch niemand einen Vorwurf machen. Denn zu mehr ist die Forschung in diesem Bereich noch nicht in der Lage.
Doch das Risiko geringer einzuschätzen, als von der Bevölkerung befürchtet oder sogar zu behaupten, die kleinen Vorbeben hätten das Risiko eines starken Bebens verringert, ist nicht nur wissenschaftlich unhaltbar, sondern in diesem Zusammenhang durchaus kriminell. Denn auf was sonst als die Aussagen dieser Wissenschaftler soll sich die Bevölkerung verlassen können? Insoweit tragen sie auch die Mitschuld an 308 Toten.
Eine ganz andere Sache ist die Verharmlosung von Naturgewalten und daraus resultierender Bauvorschriften oder gar das überhebliche ausschließen von möglichen Naturgewalten. Doch das kennen wir zur Genüge auch aus Deutschland, beispielsweise bei den Sicherheitsvorschriften für Atomkraftwerke. Obwohl in diesem Fall sogar Millionen von Menschen bedroht sein können. Diese Überheblichkeit hat immer wieder zu Katastrophen geführt.
Das hat jedoch nichts mit dem aktuellen Fall zu tun. Im aktuellen Fall haben wir es einfach mit einer Region zu tun, in der bekanntermaßen viele Gebäude einem Erdbeben nicht standhalten würden. Man kann nicht innerhalb von wenigen Tagen Häuser erdbebensicher machen. Wohl unter anderem deshalb hat man diese Wissenschaftler zurate gezogen. Doch anstatt schulterzuckend festzustellen, dass man mit wissenschaftlicher Seriosität weder das eine noch das andere vorhersagen kann und deshalb jeder Einwohner der Region für sich selbst entscheiden muss, ob er sich dem Risiko aussetzen möchte, wurde die Gefahr drastisch verharmlost, wider besseres Wissen. Dieser Druck lastet auf diesen Wissenschaftlern.
Ich erwarte nicht nur von Wissenschaftlern, dass sie Unwissen zugeben und nicht irgendwelche Spekulationen anstellen, wenn sie etwas nicht mit hinreichender Sicherheit behaupten können. Diesen Wissenschaftlern kann man jedoch vorwerfen, dass sie stattdessen spekuliert und damit unverantwortlich gehandelt haben. Ob sie deshalb die Schuld daran tragen, dass die Region nicht evakuiert wurde, steht auf einem ganz anderen Blatt. Vermutlich hätten ohnehin die meisten trotz der konkreten Bedrohung Letztere verharmlost und wären dort geblieben. Denn das umgekehrte, vor einem starken Erdbeben zu warnen, obwohl man es nicht wissen konnte, wäre ebenso unverantwortlich gewesen. Wissenschaft ist schließlich keine Religion, in der man etwas glaubt oder auch nicht. Glauben ist nichts anderes als die Umschreibung von Nichtwissen.
In Italien ist man in vielen Regionen gewohnt, mit einer stetig drohenden Gefahr durch Vulkanausbrüche oder Erdbeben zu leben. Im übrigen ist Italien ein Land mit einer teilweise jahrtausendealten Baukultur, gerade Letztere sorgt auch für eine kulturelle Vielfalt, die es so nur in wenigen anderen Ländern gibt. Weitab der Vulkane ist das Erdbebenrisiko zwar deutlich größer als beispielsweise in Norddeutschland, jedoch nicht annähernd so groß wie traditionell in Japan, wo man sich mit der Bauweise mal abgesehen von Atomkraftwerken längst mit dem Naturgewalten gewissermaßen arrangiert hat. Außerdem hat das Erdbebenrisiko in Italien offensichtlich erst in den letzten 100 Jahren deutlich zugenommen. Wie viele Jahrhunderte stand beispielsweise die Kirche in Assisi, ohne jemals schwer beschädigt zu werden? Ich habe sie noch vor dem Erdbeben erlebt. Man kann nicht von heute auf morgen ein ganzes Land Erdbeben sicher machen. Wobei Sicherheit natürlich auch nur sehr begrenzt ist, ich kann mich noch gut an die Bilder eines Erdbebens in Tokio erinnern, die deutlich zeigen, dass erdbebensicheres Bauen seine Grenzen hat.
Verzeihen Sie, wenn ich in diesem Zusammenhang, trotz eines weit überzogenen Urteils, umgekehrt Ihnen den Vorwurf machen muss, von der Verantwortlichkeit der Wissenschaftler für ihre Aussagen abzulenken.