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  • Die Folgen unseres Urheberrechts

    07.01.2016, Walther Umstätter
    Ich befürchte, dass J. Conrad entgangen ist, dass die Forschungsprojekte in seiner Liste, die er für falschen Alarm hält, durchaus von etlichen Gutachtern gefördert wurden, und dass eine Verbesserung durch Kreuzgutachten, da wenig Verbesserung bringt. Die Wissenschaftsforschung ist voll von Beispielen, in denen neue Erkenntnisse große Schwierigkeiten hatten sich gegen etablierte Gutachter durchzusetzen. Am bekanntesten ist die Kritik von M. Planck: „Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, dass ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern dadurch, dass die Gegner allmählich aussterben und dass die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist.“ Und an anderer Stelle: „Irrlehren der Wissenschaft brauchen 50 Jahre, bis sie durch neue Erkenntnisse abgelöst werden, weil nicht nur die alten Professoren, sondern auch deren Schüler aussterben müssen.“ Experten fördern also erfahrungsgemäß auch oft „Irrlehren“.

    Planck wusste aus Erfahrung, wovon er sprach, denn seine „Natürlichen Maßeinheiten“ ignorieren die meisten Physiker nach über hundert Jahren noch immer, obwohl das einst Lehrbuchwissen war (www.ib.hu-berlin.de/~wumsta/infopub/Planckeinheiten13d.pdf).

    Auch eine "fünf Sigma" Hürde, ist wenig hilfreich, da jeder Statistiker weiß, dass es immer auf die Stichprobe ankommt. Ein Arzt, der nach der Verabreichung eines Medikaments zum dritten mal beobachtet, dass der Patient danach verstirbt, wird sich vermutlich um die Signifikanz seiner Beobachtung weniger Sorgen machen als um das Leben seines nächsten Patienten. Obwohl es in der Physik seltener um Leben oder Tod geht, sind es dort nicht selten astronomische Summen, die auf dem Spiel stehen.

    Das eigentliche Problem der Sensationsmeldungen in der Wissenschaft liegt dagegen im Urheberrecht. Unser Urheberrecht schützt nicht diejenigen, die eine nachweisbare neue Erkenntnis hervorbringen, sondern diejenigen, die etwas publizieren, was noch keiner publiziert hat. Nicht selten ist das, wie sich bald herausstellt, völliger Nonsens. Wenn es auch noch Aufsehen erregender Nonsens ist, wird er gern von Wissenschaftsjournalisten rasch vervielfältigt. Wie wir seit Sir K. Popper wissen, ist die Falsifikation sogar das Grundprinzip der Wissenschaft. Solche Fehler werden aber nicht von Gutachtern oder Pre Peer Reviewern aufgedeckt, sondern von Post Peer Reviewern, die publizierte Ergebnisse nachvollziehen, oder ihre Folgen überprüfen.

    Das von J. Conrad angesprochene Problem hat aber noch einen zweiten Hintergrund. Als Wissenschaft noch zehn Publikationen pro Tag hervorbrachte, war der Zeitdruck, urheberrechtliche Prioritäten zu schaffen noch bei weitem nicht so groß, wie bei einer Million Publikationen pro Tag. Da wir aber seit Jahrhunderten eine etwa zwanzig Jährige Verdopplungsrate in der Wissenschaftlichen Veröffentlichungen feststellen müssen, ist der Druck des Publish-or-Perish heute größer denn je, was sich unter anderem in der Inflation der urheberrechtlich „kleinen Münze“ zeigt (Umstätter, W.: Zur Inflation der „kleinen Münze“ im wissenschaftlichen Urheberrecht. Bibliothek,
    Forschung und Praxis 38(2) S. 301-319; 2014).

    Dem können wir nur entgegenwirken, in dem Publikationen öfter und genauer überprüft, und damit veri- bzw. falsifiziert, werden, und indem Spekulationen und Hypothesen nicht immer wieder als Theorien verkauft werden.
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