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Kommentare - - Seite 1

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  • Ein Streifschuss mit der Schrotflinte

    19.12.2005, Ulrich Fuchs
    Lieber Herr Zinken,

    Ihre Kritik an der Wikipedia bohrt stellenweise tief in offenen Wunden der Wikipedia, ist leider an anderen Stellen dafür ebenso oberflächlich. Der Eindruck drängt sich auf, dass da diverse in der Presselandschaft und in Internetforen köchelnde Punkte unhinterfragt weiterkolportiert wurden. Das ist schade, weil Ihre Treffer so entwertet werden.

    Sauer stößt mir in der Tat ihre Begrifflichkeit von der "Diktatur" der Zeitreichen auf. Auch wenn Wikipedia als Enzyklopädie kaum brauchbar ist, so ist zumindest bei den sog. "Diktatoren" der Wille erkennbar, sie zu einer solchen zu machen. Das bedingt, dass Pseudowissenschaftler und Weltverbesserer in der Wikipedia mit Bandagen angefasst werden, die für meine Begriffe noch immer zu weich erscheinen, für die Betroffenen jedoch so deutlich sind, dass sie in diversen Internetforen über angebliche Diktatoren, Demokratiefeinde etc. schwafeln. Dieses Nachgetrete sollte man bitte nicht für bare Münze nehmen - auch in Ihrer Zeitschrift kann nicht jeder alles veröffentlichen, nur weil es eine Zeitschrift ist, in der andere Menschen auch etwas veröffentlichen konnten.

    Zweitens verwenden Sie im Zusammenhang mit der - berechtigten - Kritik an der anonymen Drückebergerei in der Wikipedia einen unzulässigen Vergleich mit dem jüngst gegen den Heise-Verlag ergangenen Urteil. In der Tat ist es für alle Beteiligten in der Wikipedia sehr bequem, bei allen Problemen auf Amerika verweisen zu können. Doch unbeschadet davon, wo der Diensteanbieter sitzt, haftet auch nach deutschem Recht ein Diensteanbieter *nicht* für Beiträge, die über seinen Dienst verbreitet werden. Heise war ein von Ihnen falsch referierter Sonderfall, bei dem der Verlag sich wiederholt nicht um ein problematisches Forum gekümmert hatte, obwohl vom Geschädigten auf das Problem hingewiesen worden war. In der Wikipedia dagegen - auch und gerade in der deutschsprachigen - werden Urheberrechtsverletzung äußerst ernst genommen, und gerade auf dem "kleinen Dienstweg" wesentlich schneller reagiert, als über den offiziellen Kanal (Wikimedia Foundation, Florida) möglich wäre. Sprich: Die diktatorischen Zeitreichen kümmern sich, obwohl sie dazu noch nicht einmal verpflichtet wären. Sie kümmern sich sogar proaktiv, scannen das WWW ab, ob Beiträge von unbekannten Nutzern nicht irgendwoher kopiert waren. Dass unabhängig davon auf die rechtliche Situation (Betreiber ist nunmal die Foundation) hingewiesen wird, sollte man dem Projekt nicht ankreiden.

    Recht geben muss ich ihnen aber in Bezug auf das Problem der Anonymität: Sie dient zu vielen Teilnehmern zu sehr als Versteck, und sie diskreditiert letztlich die Inhalte. Recht geben muss ich ihnen auch an ihrer Kritik an der Hochjubelei des Projektes. Wie unter anderem die hier schon abgelegten Leserbriefe zeigen, akzeptiert die Wikipedia-Community nämlich keinerlei Kritik, sondern möchte am liebsten von aller Welt nur als weltrettende Idee und die schönste Erfindung seit Schokoladeneis mit Sahne gesehen werden. Die immensen Qualitätsprobleme, die das Projekt in fast allen Bereichen hat (Nature untersuchte wohlweislich nur naturwissenschaftliche Beiträge, bei geisteswissenschaftlichen wäre der Vergleich mit der Britannica wohl anders ausgefallen), werden von allen Meinungsführern konsequent verdrängt. Es besteht noch immer der naive Glaube, dass das System sich wieder selbst regeln könnte, was aber - und da ist die Anonymität ein Teilfaktor - schon lange nicht mehr passiert. Die Selbstregelung erfolgt bestenfalls auf einem kleinsten gemeinsamen Nenner einer Community technikaffiner Nerds im Alter von fünfzehn bis fünfundzwanzig: Wikipedia kann so bestenfalls Wissenschaftsjournalismus auf Privatfernsehen-Niveau betreiben, aber keine Enzyklopädie werden.

    Als Administrator (einer von den zeitreichen Diktatoren) in der Wikipedia habe ich lange Zeit gegen diese Entwicklungen angekämpft, bin im wesentlichen aber nur auf taube Ohren gestoßen. Weit weniger noch als Kritik von außen akzeptiert das Projekt nämlich mittlerweile Kritik von innen.

    Im April diesen Jahres habe ich daher mit einigen Gleichgesinnten Wikiweise eröffnet. Auch wir versuchen, eine freie Enzyklopädie zu erstellen, auch wir nutzen ein Wiki. Doch wollen wir nicht die Fehler der Wikipedia wiederholen, die einen phantastischen Start hingelegt hatte, sioch jedoch schon weit vor der Zielgeraden vollkommen verläuft. Daher erwarten wir von unseren Teilnehmern eine Anmeldung und die Angabe des Klarnamens, auch sind unsere Ziele und unsere Werte (inbs. das Bekenntnis zu wissenschaftl. Arbeitsweise) weitaus besser definiert als die der Wikipedia. Die Erfahrung zeigt, dass so ein wesentlich stressfreieres, produktiveres und qualitätsvolleres Vorwärtskommen möglich ist.

    mit freundlichen Grüßen
    Ulrich Fuchs
    Wikiweise - besser zu Wissen!

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