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Stammzellforschung: Größtenteils harmlose Gentaxis

In der Traumwelt der medizinischen Zukunft heilt ein Teil des Körpers einen anderen: Kranke Zellen hier werden durch gesunde von dort ersetzt, nachdem diese zuvor nur kurz einmal zu Stammzellen zurückprogrammiert wurden. Im Prinzip klappt das sogar schon heute - die dabei produzierten zellulären Zellaushilfen sind allerdings selbst nicht ganz gesund. Noch, meinen Forscher.
Motoneurone aus individuellen ip-Stammzellen
Auch in der Stammzellforschung geht es auf und ab: Wo noch vor fünf Jahren eher mit viel Optimismus die Hoffnung plakatiert wurde, aus Stammzellen Wunderwaffen gegen jede Krankheit zu schmieden, geriet vor drei Jahren schon meist mehr die Kehrseite der Medaille in den Brennpunkt – die ethischen Probleme, an denen Forscher beim Besorgen ihres embryonalen menschlichen Materials nicht vorbei kamen. Und dann fand ein japanisches Forscherteam um Shinya Yamanaka plötzlich einen völlig unerwarteten und offenbar sogar bequemen Umweg: Ganz ohne Embryonen antasten zu müssen, programmierten sie erwachsene Hautzellen mit einem Gemisch aus nur vier Wirkstoffen in einen vielseitigen, stammzellähnlichen Urzustand zurück – die "induzierte pluripotente Stammzelle" (iPS) war geboren.

Viele halten diese Entdeckung schon heute, gut eineinhalb Jahre später, für eindeutig nobelpreiswürdig – sie verspricht, in Zukunft einmal Kranke mit einfach zu gewinnenden, genetisch kompatiblen Zellersatzteilen aus dem eigenen Körper therapieren zu können. In einer Serie von weiteren Studien bewiesen verschieden Forscher dann in den letzten Monaten, dass sich tatsächlich allerlei Sorten der gewöhnlichen ausgewachsenen Zellen von Mäusen und Menschen zu iP-Stammzellen verwandeln lassen.

Ausgelöst wurde die zelluläre Verwandlung in den bahnbrechenden ersten Versuchen durch den simplen Cocktail aus den vier Transkriptionsfaktoren Oct4, Sox2, Klf4 und c-Myc, die – per Virusfähre in die erwachsene Ausgangszelle transportiert – einen ausgereiften Spezialisten in eine pluripotente Stammzelle verwandelten. Sofort war die Wissenschaftlergemeinde daran gegangen, dieses Rezept weiter zu verfeinern – denn obwohl sensationell, birgt es dennoch einige unverdauliche Bestandteile.

Schwer im Magen lag besonders einer der vier in die Zellen geschleusten Inhaltstoffe, der Transkriptionsfaktor c-Myc: Er ist bekannt dafür, Krebs auszulösen. Wissenschaftlern wie Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster und anderen gelang es allerdings, auch ohne c-Myc und Sox2 ip-Stammzellen zu erzeugen und damit das Risiko zu minimieren, dass die erzeugten Zellen entarten und – im Ernstfall einer Zelltherapie am Menschen – dann Krebs auslösen könnten, statt zu heilen. Noch ist der vereinfachte Weg zur Stammzelle nach der zwei-statt-vier-Transkriptionsfaktoren-Methode eher steinig, weil uneffektiv und nicht bei jedem Zelltyp anwendbar – immerhin aber schon gangbar.

Ein zweites Krebsrisiko der ipS-Pioniermethode wäre allerdings auch dann nicht minimiert, wenn nur noch ein einziger Faktor als Reprogrammierungsbefehl ausreichen würde: Oct4, Sox2, Klf4 und c-Myc gelangten in die Zellen mit Hilfe von Retroviren, die sich mitsamt der Bauanleitungen für die Transkriptionsfaktoren relativ wahllos in das Genom einbauen. Leicht können dabei genetische Kollateralschäden auftreten, die die Zelle irgendwann im Laufe ihres reprogrammierten Lebens entarten lassen. Die Forscher suchten daher weltweit schon früh nach alternativen Genfähren, die das Erbgut der Empfängerzelle nicht gefährden.

Per Adenovirus zur iP-Stammzelle | Konrad Hochedlinger und seine Kollegen haben erstmals induzierte pluripotente Stammzellen (hier in grau und grün) mit der Hilfe eines Adenovirus erzeugt, der vier umprogrammierende Transrkiptionsfaktoren in eine Empfängerzelle transportiert. Dieser Virustyp integriert sich nicht in das Erbgut seiner Wirtszelle – wahrscheinlich verursacht er deswegen seltener schädliche Mutationen und fördert nicht das Entarten der Zelle. Die virenfreie Reprogrammierung ist ein denkbarer Schritt hin zu einer ungefährlichen Stammzelltherapie mit Zellen, die aus eigenen Körpergeweben stammen und zunächst in einen pluripotenten Zustand zurückprogrammiert werden.
Nahe liegend waren da die Adenoviren, fanden nicht nur Konrad Hochedlinger von der Harvard Medical School und seine Kollegen: Diese im normalen Leben hochinfektiösen Schnupfenerreger dienen im Genlabor schon seit Langem als nebenwirkungsarme Erbguttransporter, weil sie über Mittel verfügen, ihre Gene vervielfältigen zu lassen, ohne die DNA ihrer Wirtszelle anzutasten. Hochedlinger und Co machten sich nun daran zu testen, ob sie den Reprogrammierungscocktail auch per Adenoviren wirkungsvoll in Empfängerzellen von Mäusen transportieren können.

Als Empfänger nutzten sie dabei Leberzellen, die besonders empfänglich gegenüber einer Adenovireninfektion und zudem leichter reprogrammierbar sind. Mit Erfolg ließen sie die viralen Genfähren mit eingebauten DNA-Abschitten der vier Transkriptionsfaktoren Oct4, Sox2, Klf4 und c-Myc auf sie los: Bei einer Dosis von nur ein bis vier Viren pro Zelle konnten immerhin 70 bis 80 Prozent aller Empfängerzellen infiziert werden; in mindestens der Hälfte fanden sich am Ende auch die vier Transkriptionsfaktoren. Verschiedene weitere Tests belegten schließlich, dass die Transkriptionsfaktoren in den reprogrammierten Zellen zwar produziert wurden, nicht aber in das Genom der Zellen eingebaut waren.

Trotzdem entwickelten die Zellen sich aber in echte iP-Stammzellen, so die Forscher weiter: In Mäuse eingebracht, integrierten speziell behandelte "adeno-iPS-Zellen" sich nahtlos in das Gewebe und teilten sich dort munter und normal, also ohne dabei etwa schnell zu entarten.

Maus mit implantierten iPS-Zellen | Diese Maus zeugt von einem erfolgreichen Versuch: In ihrem Körper sind Zellen enthalten, die zunächst aus der Haut des Schwanzes entnommen, per Adenoviren in iPS-Zellen rückprogrammiert und dann wieder injiziert wurden. Die pluripotenten Zellen bauten sich schließlich in verschiedene Gewebezellen um und integrierten sich nahtlos und scheinbar nebenwirkungsfrei.
Ein paar Nachteile müssen aber weiter in Kauf genommen werden, bremsen die Forscher zu übertriebenen Optimismus. Da wäre zum Beispiel die vergleichsweise geringe Effektivität, mit der sich aus den adeno-iPS-Zellen im nächsten Schritt schließlich verschiedene Gewebezelltypen gewinnen lassen. Dies mag damit zusammenhängen, dass die Transkriptionsfaktoren nur in einem bestimmten kurzen Zeitfenster aktiv sind und die Zelle deswegen nicht in einen dauerhaften pluripotenten Zustand versetzten, spekulieren Hochedlinger und Co. Weitere Forschung sei nötig – nun aber eben auch an einem weiteren Typus Stammzellen auch möglich, der nicht durch ungesteuerte genetische Einbauten in seine DNA modifiziert wurde.

Die Studie könnte den Weg zu einem iPS-Subtyp ebnen, der mit weniger Bedenken bezüglich möglicher Entartungen eingesetzt werden können – im Augenblick ist er allerdings noch weniger gut erforscht, als die ohnehin in vielerlei Hinsicht mysteriösen iP-Stammzellen generell. Es bleibt durchaus vorstellbar, dass Adenoviren in der Zukunft doch keine ganz große Rolle in der Stammzelltherapie spielen werden. Als Alternative arbeiten Stammzellforscher wie Hans Schöler und andere weiter daran, pluripotente Stammzellen ganz ohne die Hilfe von Viren zu induzieren. Sie setzen dabei auf kleine Moleküle, die ohne Hilfe in den Zellkern eindringen und dort das Ablesen von Genen gezielt modifizieren, um den zellulären Jungbrunnen sprudeln zu lassen.

Egal, ob sich dieser virenfreie oder der nun Boden gewinnende adenovirale Weg durchsetzt – beide Verfahren sind noch weit von einer echten therapeutischen Anwendung entfernt. Das Auf und Ab der Stammzellforschung wird sich fortsetzen, bis mehr über den biologischen Hintergrund, die Dauerhaftigkeit und die Fähigkeit zur Gewebeintegration der neuen Stammzellalleskönner bekannt ist.

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  • Quellen
Stadtfeld, M. et al.: Induced Pluripotent Stem Cells Generated Without Viral Integration. In: Science 10.1126/science.1162494, 2008.

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