Direkt zum Inhalt

Sternphysik: Regeln im zügellosen Knall

Ein paar Blicke auf die gerade aktuellen, plausiblen Erklärungen der Astrophysiker und man könnte meinen, dass auf sie kaum noch Überraschungen im Lebenslauf eines Sterns lauern. Bis es irgendwo da draußen völlig übertrieben blitzt und nicht aufhört, niemand weiß warum und alle wieder an die Theorie-Reißbretter stürzen.
Es begann am 18. September 2006 und sah von der Erde aus beobachtet zunächst nach langweiliger Routine aus: Der Blitz einer Supernova, wieder einmal. Kenndaten der fernen Sternenexplosion: Name SN2006gy, Konstellation Perseus, Galaxie NGC 1260, Entfernung rund 240 Millionen Lichtjahre, Helligkeit ... Moment mal. Helligkeit: sehr, sehr hell; und stetig heller werdend. Und anders als andere Supernovae verblasste SN2006gy keineswegs nach ein paar Tagen und Wochen Feuerwerk und einem strahlenden Höhepunkt.

Supernova 2006gy | Diese Infrarotaufnahme zeigt den Kern der Galaxie NGC 1260 (links unterhalb des Zentrums) und die wesentlich hellere Supernova SN 2006gy, die sich darin befindet (rechts oben).
Im Gegenteil: Nach 70 Tagen – zu einem Zeitpunkt, an dem die typische Durchschnittssupernova längst wieder unsichtbar gewesen wäre – präsentierte SN2006gy sich immer noch strahlender als jede andere jemals auf der Erde beobachtete Sternenexplosion. Dabei blieb es dann, monatelang. Ohne Frage, auch im Zeitalter der Übertreibung verdiente sich das Objekt den Titel "Hellste je beobachtete Supernova aller Zeiten". Kein Astronom konnte sich zunächst einen Reim darauf machen, was genau dort in NGC 1260 derart heftig explodiert war.

Länger hell als erlaubt

Nun, nach einem knappen Jahr Beobachtungs- und Bedenkzeit, präsentieren zwei Gruppen von Astronomen durchdachte Hypothesen. Einen Anspruch auf Alleingültigkeit erheben dabei allerdings weder das Team um Stan Woosley noch Simon Zwart und Edward van den Heuvel: Beide Gruppen entwerfen recht unterschiedliche Szenarien von den explosiven Geschehnissen vor 240 Millionen Jahren in NGC 1260.

Zwart und van den Hevel, beide arbeiten an der Universität von Amsterdam, beginnen ihre Erklärung zunächst einmal negativ – mit dem, was SN2006gy zwar theoretisch hätte sein können, aber in der Praxis aus bestimmten Gründen nicht war: einfach die gigantische Explosion eines überdimensionierten Sterns von über 100 Sonnenmassen.

Sicherlich: Ein solcher Gigant explodiert am Ende seines Sternlebens in einer bestimmt spektakulären Supernova. Am Anfang vom Ende steht dabei wie immer das Versiegen aller Kernbrennstoffvorräte des Sterns. Sind sämtlicher Wasserstoff, dann Helium und schließlich schwerere Elemente in den aufeinanderfolgenden Fusionszyklen am Ende des Sternenlebens verfeuert, so folgt unausweichlich ein Gravitationskollaps – der die Sternmassen komprimierenden Schwerkraft steht kein kompensierender Strahlungsdruck mehr gegenüber, weshalb der ausgebrannte Stern ungebremst in sich zusammen fällt und aufgrund einer schließlich einsetzenden Gegenreaktion explodiert, die ab einer bestimmten maximalen Verdichtung des Kerns zündet.

Nun finden sich aber in den Spektren von SN2006gy selbst und in seiner Umgebung noch große Mengen von Wasserstoff. Die relativ traditionell verlaufene Explosion eines völlig verbrauchten Megasterns kann daher nicht die Ursache der Giganova gewesen sein, weil dieser, der Theorie zufolge, seinen Wasserstoff-Brennstoff ja ein paar hundert Jahre vor dem finalen Kollaps vollständig verbraucht haben müsste. Woher stammt also der allfällige Wasserstoff um SN2006gy?

Der unbekannte Dritte

Zwart und van den Hevel spekulieren, dass er von einem zweiten, jüngeren Stern herrührt [1]. Nach ihrer Vorstellung kollidierte ein paar zehntausend Jahre vor der Supernova eine noch wasserstoffreiche Durchschnittssonne von etwa vierzig Sonnenmassen mit einem ausglühenden Opa-Sternriesen von hundert Sonnenmassen und mischte sich mit ihm mehr oder weniger vollständig. Der große Kollisionspartner hatte beim Crash schon nur noch präfinal per Helium-Verfeuerung vor sich hin geglimmt, vermuten die beiden Wissenschaftler – und war dann schließlich mitsamt seinem Fusionspartner und dessen Wasserstoffresten hochgegangen.

Galaxie NGC 1260 mit SN 2006gy | Diese Darstellung zeigt eine Weitwinkel-Infrarotaufnahme der Galaxie NGC 1260 sowie eine Ausschnittsvergrößerung bei anderer Belichtung (rechts oben) und den gleichen Ausschnitt im Röntgenbereich (rechts unten).
Ein solches Crash-Ereignis würde neben dem Wasserstoffreichtum noch weitere der merkwürdigen Messdaten ganz gut erklären können, die Astronomen seit eineinhalb Jahren von der mysteriösen Riesenexplosion sammelten. Allerdings sind Sternkollisionen zugegeben sehr selten – konnte sich dennoch eine mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in NGC 1260 ereignet haben? Zwart und van den Hevel rechneten anhand von Sterndichte und -zusammensetzung der Region nach und kommen zu dem Schluss: nur in einem enggepackten, noch insgesamt jungen Sternhaufen in der Nähe eines galaktischen Zentrums wäre die Gelegenheit für die geforderte Kollision recht günstig.

Das Schöne an dieser vorläufig nur mathematisch-theoretischen Erkenntnis: Sie wird zwangsläufig zu einer durch die Realität gestützten werden oder sich als falsch herausstellen. Denn sobald die auch heute noch protzig alles überstrahlende Supernova in wohl rund einem Jahr verblassen wird, dürfte die nähere Umgebung von der Erde aus einsehbar werden und deutlich zu Tage treten, ob SN2006gy wirklich in dem gefordert dichten jungen Sternencluster liegt.

Während Zwart und Co nun also gespannt zurückgelehnt warten, ist Stan Woosley und seinen Kollegen von der Universität von Kalifornien in Santa Cruz die Umgebung der Supernova ziemlich schnuppe. Ihr Team perfektionierte stattdessen eine Erklärung für die Heftigkeit von SN2006gy, die schon früh von Astronomen in Ansätzen geäußert worden ist: Bei der Explosion handele es sich um eine Paarinstabilitätssupernova (PISN); und zwar, so der neue Beitrag von Woosley und Co, um eine "pulsierende" [2].

Hüllen von sich werfen und strahlen

Zur Verdeutlichung gedanklich zurück in eine exemplarische Sonne kurz vor der Explosion. Am Lebensende eines typischerweise 95 bis 260 Sonnenmassen schweren PISN-Vorläufersterns tritt ein Sonderfall des Gravitationskollapses auf: Ein recht exotischer Reaktionsmechanismus (bei dem Elektron-Positron-Paare enstehen) verbraucht im Sonneninneren gewisse Mengen der Fusionsenergie – weswegen dann insgesamt auch ein etwas geringerer Strahlungsdruck dem Gravitationskollaps entgegenwirkt.

Gerade sehr massereiche Sterne stürzen deshalb verfrüht in sich zusammen und sprengen dabei ihre noch wasserstoffreichen Hüllen ab – werden dann aber auf halbem Weg vor dem totalen Kollaps abgebremst, weil die zunehmende Verdichtung wieder neue Fusionsprozesse zündet, die für einen gewissen Zeitraum genug kompensierenden Strahlungsdruck produzieren.

Das Ganze kann sogar mehrfach hintereinander geschehen, so nun Woosley – wobei jedesmal aber ein schnellerer und etwas umfassenderer Kollaps die Folge ist. Erst ganz am Ende knallt es dann gewaltig: eine PISN dürfte rund 100 mal heller als eine Durchschnitts-Supernova sein.

Hierbei und bei jedem vorhergehenden Semi-Kollaps waren zudem aber die abgesprengten Hüllen des Sterns nach außen katapultiert worden. Nun stoßen schließlich die mit größerer Wucht zuletzt herausgeschleuderte Materiemengen nach kurzer Verfolgungsjagd heftig auf die zuvor fortgeschleuderten Massen, wobei zusätzliche Energieblitze entstehen, die alleine schon zehnmal heller als ordinäre Supernovae sind: Insgesamt eben ein wahrlich imposantes Feuerwerk. Egal, ob der Explosionsverlauf damit im Detail wirklich exakt beschrieben ist – letzteres unterschreiben auch die Kollegen Zwart und van den Hevel ohne noch einmal nachzurechnen.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.