Direkt zum Inhalt

Subatomare Strukturen: Sind Elementarteilchen wirklich elementar?

Heidelberg. Quarks und Leptonen besitzen weder Ausdehnung noch Struktur – so lehrt es zumindest das Standardmodell der Teilchenphysik. Doch es gibt Hinweise, dass es auch anders sein könnte. Vielleicht stößt der Beschleuniger LHC schon bald in eine verborgene Welt noch kleinerer Partikel vor.
Innenleben der Quarks

Was jetzt?, fragen sich die Teilchenphysiker in diesen Monaten. Das Higgs-Boson ist nachgewiesen, und die Wahrscheinlichkeit, dass in den nächsten Jahren weitere Aufsehen erregende Meldungen vom Genfer Teilchenbeschleuniger, dem Large Hadron Collider (LHC), kommen, scheint nicht allzu groß. Manche Wissenschaftler sehen allerdings genau jetzt ihre große Chance gekommen. Vielleicht schon ab Ende 2014 werden die am Beschleuniger erreichbaren Energien erstmals hoch genug sein, dass die Forscher Jahrzehnte alten Spekulationen im Experiment nachgehen können. Die Frage aller Fragen lautet: Sind Elementarteilchen wirklich elementar?

Es spricht eine ganze Menge für die Vermutung, dass Leptonen, zu deren bekanntesten Vertretern die Elektronen zählen, und auch Quarks – also die Bausteine von Protonen und Neutronen – tatsächlich punktförmig sind, also keine Ausdehnung und damit auch keine innere Struktur besitzen. Genau davon geht nämlich das Standardmodell der Elementarteilchenphysik aus, jene Theorie also, die im Nachweis des Higgs-Teilchens ihren krönenden Abschluss gefunden hat und die sich seit Jahrzehnten Experiment für Experiment bewährt hat.

Warum also zweifeln manche Physiker dennoch? Don Lincoln, leitender Wissenschaftler am Fermilab bei Chicago und regelmäßiger Gast am Genfer Forschungszentrum CERN, ist seit Jahrzehnten der inneren Struktur von Quarks und Leptonen auf der Spur. "Es gibt Indizien", so schreibt er in der Titelgeschichte der Dezemberausgabe 2013 von Spektrum der Wissenschaft, "dass Quarks und Leptonen, die im Standardmodell als punktförmig und unteilbar gelten, aus noch kleineren Komponenten aufgebaut sein könnten. Falls dies tatsächlich der Fall ist, falls Quarks und Leptonen also nicht wirklich fundamental sind, stünde dem Standardmodell eine grundlegende Überarbeitung ins Haus."

Die ersten Hinweise auf eine innere Struktur von Quarks und Leptonen entdeckten Physiker schon vor Jahrzehnten. Bei Beschleunigerexperimenten fanden sie nämlich mehr Teilchen als erwartet. Elektronen sowie die up- und down-Quarks, aus denen sich die Bausteine des Atomkerns zusammensetzen, würden völlig ausreichen, um sämtliche Materie im Kosmos zu bilden. Doch neben dieser so genannten ersten Generation von Teilchen stießen die Forscher auch auf eine zweite und sogar auf eine dritte Generation von schwereren Verwandten dieser Partikel.

Diese Fülle scheint überflüssig: Wenn bereits up-Quark, down-Quark und Elektron ausreichen, um alle Materie im Universum zu bilden, wieso besitzen sie dann trotzdem eine so große Verwandtschaft? Eine der Methoden, diese mysteriöse Überzahl zu deuten, war, die Teilchen tabellarisch und schematisch nach ihren Eigenschaften zu ordnen, ähnlich wie beim ehrwürdigen Periodensystem der Elemente. Letzteres hatte den Physikern seinerzeit erste Hinweise darauf gegeben, dass die chemischen Elemente womöglich nicht im Wortsinne elementar sind. Die in jeweils denselben Zeilen beziehungsweise Spalten angeordneten Elemente des Schemas wiesen nämlich Gemeinsamkeiten auf, die auf systematische Muster im inneren Aufbau der Atome hindeuteten.

Wie einst beim Periodensystem lassen sich nun auch Muster in der Tabelle der Teilchengenerationen so deuten, dass sich im Innern der Partikel noch kleinere Teilchen – so genannte Preonen – zu unterschiedlichen Konfigurationen zusammen finden und so die Unterschiede zwischen den Generationen erklären könnten. Einem der ersten Modelle zufolge, die eine solche Substruktur beschrieben, existieren zwei Arten von Preonen, das eine mit einer elektrischen Ladung von +1/3, das andere ohne Ladung. Außerdem hat jedes dieser Preonen ein Pendant aus Antimaterie, das entgegengesetzte Ladung besitzt, also -1/3 und ebenfalls Null. Diese Preonen sind Fermionen, also Materieteilchen. Jedes Quark und jedes Lepton besteht aus einer unterschiedlichen Kombination von je drei Preonen. Zum Beispiel ergeben zwei Preonen mit jeweils Ladung +1/3 und ein Preon mit Ladung Null das up-Quark. Dessen Gegenstück aus Antimaterie enthält zwei Preonen mit Ladung -1/3 sowie ein weiteres mit Ladung Null.

Das Gegenstück zu den Fermionen sind Bosonen. Erstere sind für die Bildung von Materie zuständig, letztere für die Übertragung der Kräfte. Dem Modell zufolge bestehen Bosonen aus preonischen Sechser-Kombinationen. Das positiv geladene W-Boson zum Beispiel, das die schwache Kernkraft überträgt, die sowohl auf Quarks als auch auf Leptonen wirkt, ist demzufolge aus drei Preonen mit +1/3-Ladung und drei weiteren elektrisch neutralen Preonen aufgebaut.

Ob es Preonen aber wirklich gibt, kann letztlich aber nur das Experiment beantworten. Denn ganz gleich, wie ausgefeilt eine Theorie sein mag: Wenn sie nicht zu den Messungen passt, hat sie den entscheidenden Test nicht bestanden. Was also können Experimentatoren tun, um die Existenz von Preonen nachzuweisen oder zu widerlegen? Sie müssen nach kleinen Abweichungen von den Vorhersagen des Standardmodells suchen, gleichsam nach winzigen Rissen im Gebäude der modernen Teilchenphysik. Denn möglicherweise sind es Preonen, mit denen sich solche Abweichungen erklären lassen.

Einer der Wege, nach solchen Rissen zu fahnden, besteht darin, einfach nur genauer hinzuschauen. Das bedeutet bei Teilchenphysikern nichts anderes, als die Energie im Beschleuniger zu erhöhen – und genau dafür werden am LHC derzeit die Vorbereitungen getroffen. Sobald er nach seiner gegenwärtigen Wartungsphase wieder anläuft, werden wir schon bald wissen, ob Quarks und Leptonen nicht vielleicht doch ein reiches Innenleben besitzen.

Abdruck honorarfrei bei Quellenangabe: Spektrum der Wissenschaft, Dezember 2013
Ein Beleg wird erbeten.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.