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Tätowierungen: "Im Prinzip ist das ein medizinischer Eingriff"

Die Zahl von Menschen mit Tätowierungen steigt: Während in den USA bereits knapp ein Viertel der Bevölkerung ein Tattoo trägt, ist es in Deutschland nahezu jeder Zehnte. Doch welche Gefahren bergen die eingestochenen Bilder unter der Haut?
Tattoo

Besonders beliebt sind Tätowierungen bei den 25- bis 34-Jährigen, zeigt eine Studie der Universität Leipzig aus dem Jahr 2009: In dieser Altersgruppe waren 26 Prozent der Menschen tätowiert. In einem Gespräch anlässlich der "First International Conference on Tattoo Safety" erläutern der Toxikologe Andreas Luch vom Bundesinstitut für Risikobewertung und der Freien Universität Berlin sowie der Physiker Wolfgang Bäumler, der am Universitätsklinikum Regensburg eine Gruppe für Lasermedizin leitet, welche Gefahren bekannt sind und wo Forschungs- und Handlungsbedarf besteht.

Sind Sie tätowiert?

Luch: Nein. Ich bin aus dem Alter raus, das brauche ich nicht mehr. Ich finde das eher unästhetisch, und man bereut so etwas später auch meistens.

Bäumler: Mich hat das nie gereizt, auch aus ästhetischen Gründen.

Wäre es Ihnen außerdem zu gefährlich, sich tätowieren zu lassen?

Luch: Ich hätte nicht unbedingt Angst, ich weiß aber natürlich, dass es gewisse Risiken dabei gibt.

Bäumler: Mit den Erkenntnissen, die man heute hat, würde ich es nicht machen wollen.

Was sind die Hauptprobleme, die bei Tätowierungen auftreten können?

Stern-Tattoo | Ein wichtiges Problem bei Tätowierungen ist neben allergischen Reaktionen die Verunreinigung der Farblösungen durch polyzyklische Kohlenwasserstoffe oder Azofarbstoffe.

Luch: Ganz vorne stehen die allergischen Reaktionen. Nickel ist beispielsweise ein Element, das in manchen Tätowierfarben enthalten ist und von dem man weiß, dass es stark allergen wirken kann. Andere Probleme entstehen aus Verunreinigungen der Tätowiermittel. Bei schwarzen Pigmenten sind das beispielsweise polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe und bei bunten Pigmenten Azofarbstoffe, die eventuell zu aromatischen Aminen zerfallen können. Wenn man sich diese Stoffe als Einzelsubstanzen in Tierversuchen anschaut, dann sieht man, dass sie unter bestimmten Voraussetzungen Tumoren induzieren können. Allerdings sind die Konzentrationen in den Tierversuchen weitaus höher als normalerweise beim Tätowieren, und die Stoffe werden anders vom Körper aufgenommen, nämlich über den Magen-Darm-Trakt.

Bäumler: Die Mittel, die wir untersucht haben, waren im günstigsten Fall zu zehn Prozent verunreinigt, in den Farben, die man im Internet bestellen kann, waren es bis zu dreißig, vierzig Prozent. Die Tätowiermittel werden ja in nicht geringer Menge unter die Haut gebracht. Je nach Größe des Tattoos können das mehrere Gramm sein, die mit Hilfe der Nadeln in die zweite Hautschicht, die Dermis, gestochen werden. Bakterielle und Virusinfektionen jeglicher Art können bei der tausendfachen Perforation der Haut natürlich auch auftreten, wenn die Hygiene nicht stimmt, von Streptokokken über Hepatitis bis HIV.

Inwiefern unterscheidet sich die Risikobewertung von Tätowiermitteln von der für gewöhnliche Kosmetika?

Luch: Beim Tätowieren setzt man die Hautbarriere außer Kraft. Viele Regelungen für Kosmetika basieren aber auf der Annahme, dass die Stoffe diese Barriere nicht oder nur zu einem geringen Teil überwinden können. Beispielsweise ist Titandioxid auf gesunder Haut für kosmetische Mittel zugelassen, man warnt aber davor, wenn Hauterkrankungen vorliegen und die Hautbarriere gestört ist. Andererseits ist Titandioxid als weißes Pigment in Tätowierfarben enthalten.

Was macht die Risikobewertung im Fall von Tätowierungen so schwierig?

Luch: Das Hauptproblem ist, dass es keine verlässlichen Studien dazu gibt, was aus den Tätowiermitteln im Körper auf lange Sicht wird – weder Tierversuche noch epidemiologische Studien bei Menschen.

Bäumler: Der Glaube, das Material würde nur in der Haut sitzen, ist hinfällig, weil bereits nach vier bis sechs Wochen etwa ein Drittel der Substanz, die der Tätowierer in die Haut gebracht hat, quasi tiefer geht, klassischerweise in die Lymphknoten. Wenn man sich am Oberarm ein rotes Tattoo machen lässt, sind die Lymphknoten in der Achsel ebenfalls rot. Wir wissen heute noch nicht, ob die Lymphknoten das Ende der Fahnenstange sind, und da schrillen dann eben die Alarmglocken.

Welche Experimente führen Sie in Ihren eigenen Laboren durch?

Luch: Mit den Tätowiermitteln haben wir bisher keine eigenen experimentellen Erfahrungen. Wir beginnen jetzt zwar mit einer Doktorarbeit in dem Bereich, mussten aber bisher unsere Bewertungen aus der einschlägigen Fachliteratur ableiten.

Wolfgang Bäumler | Wolfgang Bäumler ist Physiker und leitet an der Klinik und Poliklinik für Dermatologie des Universitätsklinikums Regensburg eine Gruppe für Lasermedizin.

Bäumler: Wir bekommen Hautproben aus dem OP, die wir nachträglich tätowieren, um zu sehen, wie viel des eingebrachten Tätowiermittels man wieder extrahieren kann. Wir haben auch schon mit Schweinehaut experimentiert und in einer Studie festgestellt, dass die Mengen sehr stark variieren, je nachdem was für Handwerkszeug man verwendet und wer tätowiert. Außerdem bekommen wir auch echte Proben aus der plastischen Chirurgie oder aus der Pathologie. Das ist unter ganz bestimmten Bedingungen erlaubt. Die chemische Analyse mit Hilfe der Chromatografie, zum Teil gekoppelt mit Massenspektrometrie ist eine Methode, um die Tätowiermittel, die man am Markt erhält, zu untersuchen, bevor sie in die Haut kommen.

Ein Ziel lautet, die Menschen besser aufzuklären, die sich tätowieren lassen wollen?

Luch: Wir sind nicht in der Position, den Zeigefinger zu heben. Die Wahrnehmung ist, dass das schon irgendwie geprüft sein wird. Es gibt wenig sichtbare Probleme, da muss man schon in die Hautkliniken fahren, um das zu sehen. Außerdem berichten die Leute sicherlich nicht gerne davon und versuchen, es unter der Decke zu halten, weil es nicht cool ist.

Bäumler: Ich höre oft den Satz: "Wenn ich nur gewusst hätte, dass das kaum reguliert ist!" Deshalb müssen wir unbedingt an einer besseren Aufklärung arbeiten, und dann kann jeder nach bestem Wissen und Gewissen selbst entscheiden.

In Deutschland wurde 2009 auf Basis einer EU-Resolution die Tätowiermittelverordnung eingeführt, als Negativliste mit verbotenen Inhaltsstoffen. Warum erst so spät?

Loch: Es ist schon richtig, dass das als Problem lange Zeit nicht richtig ernst genommen wurde. Wir haben einen Trend, der erst in den letzten Jahren richtig sichtbar geworden ist. In Deutschland sind wir jetzt auf Produktsicherheitsebene an dem Thema dran. Das hat dazu geführt, dass es in unserem Land zumindest mal die Tätowiermittelverordnung gibt, die Standards einführt, die für kosmetische Mittel schon lange gelten. Das gibt es in den meisten anderen europäischen Ländern nicht. Insgesamt reicht das aber nicht aus. Es braucht zum Beispiel Daten und Erkenntnisse aus chronischen Toxizitätstests mit Tieren. Auf europäischer Ebene wird aber gerade durchgesetzt, dass Tierversuche für Kosmetika nicht mehr zugelassen werden. Die Genehmigungsbehörden lehnen dann Anträge auf Untersuchungen von Tätowiermitteln mit dem Hinweis auf Verbote von Tierversuchen im Kosmetikbereich ab. Das ist nicht plausibel, aber das ist die Praxis.

Würden Sie dafür plädieren, das Tätowieren als Ausbildungsberuf mit entsprechenden Prüfungen zu einzurichten?

Luch: Ich hielte das für sinnvoll. Man könnte auch die rhetorische Frage stellen, warum die Injektion von Pigmenten nicht ausschließlich von Ärzten oder ärztlich geschultem Personal gemacht werden darf. Sie penetrieren mit der Nadel in Gewebe, das mit Nervenzellen und Blutgefäßen versorgt ist. Im Prinzip ist das ein medizinischer Eingriff. Für den Konsumenten ist es aber natürlich vor allem wichtig, sich einen genauen Eindruck vom potenziellen Tätowierer und dessen Hygienevorstellungen zu verschaffen.

Was sind, neben einer besseren Aufklärung der Konsumenten, Ihre Ziele für die Zukunft der Tätowiermittelregulierung?

Bäumler: Auf gesetzgeberischer Ebene muss das über einen positiven Verdrängungswettbewerb laufen. Wir müssen den guten Tätowierern hygienische Spielregeln und saubere Farben an die Hand geben, damit die schlechten weniger werden.

Luch: Wir brauchen auch entsprechende Studien über den Verbleib der Pigmente unter der Haut – und das können nur Studien mit lebenden Tieren sein. Es wäre tatsächlich am besten, Schweine für solche biokinetischen Studien zu tätowieren. Außerdem wären epidemiologische Studien sehr wichtig, die sind aber auch sehr teuer. Es gibt ja mittlerweile ausreichend viele Tätowierte. Ich denke, da sollte die Politik eine entsprechende Finanzierung in Aussicht stellen. Eigentlich wäre es aber die Aufgabe der Industrie, das zu finanzieren. Nur sagen die großen finanzkräftigen Unternehmen, dass sie die Pigmente gar nicht für die Zwecke des Tätowierens herstellen. Schlussendlich wäre ein Ziel die Erstellung einer Positivliste mit weit gehend unbedenklichen Inhaltsstoffen für Tätowierfarben auf europäischer Ebene. Und ich hoffe, dass diese Konferenz dazu beiträgt.

Ich danke Ihnen für das Gespräch.

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