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Tagebuch: Erklären "ripples" die dunkle Energie? (III)

NASA / ESA
"Spektrum" hat den Heidelberger Gravitationsforscher Iain Brown eingeladen, online über seine Arbeit zu berichten. Derzeit versucht er mit Wissenschaftlerkollegen in Kapstadt zu erklären, warum das Universum möglicherweise zu Unrecht als gleichförmig gilt. Sind es "Unebenheiten" im kosmischen Gefüge, die wir als dunkle Energie bezeichnen?

In den letzten Tagen bin ich mit meiner Arbeit ziemlich gut vorangekommen. Leider aber neigt sich mein Aufenthalt in Kapstadt – der unter anderem deswegen so reizvoll ist, weil die hiesige Kosmologiegruppe an der Universität von einem der bekanntesten Forscher auf seinem Gebiet, George Ellis, geleitet wird – dem Ende zu. Bald kehre ich aus der Hitze wieder ins verregnete Heidelberg zurück. Möglicherweise aber werden die Ergebnisse, zu denen ich hier gekommen bin, einen Beitrag leisten, die so genannte Rückreaktion in der Kosmologie genauer zu fassen. Dieses Arbeitsgebiet steht eng mit der dunklen Energie in Verbindung und ist darum mittlerweile auch ziemlich bekannt geworden.

Heißes Gas im galaktischen Zentrum | Das Universum expandiert beschleunigt, weil "dunkle Energie" es auseinander treibt. Ob sich hinter diesem Term ein Feld oder ein Gravitationseffekt verbirgt, wird diskutiert.
Worum geht es dabei? Die Kosmologie untersucht das Universum "auf großen Skalen". Das heißt, dass sie sich nicht mit Kleinigkeiten wie Planeten und Galaxien abgibt, sondern das Ganze betrachtet, das Universum als Einheit – gewissermaßen einen großen Mittelwert über alles bildet, was existiert.

Dass man zum Zweck kosmologischer Berechnungen einfach von einem gemittelten Universum ausgehen darf – einem Kosmos also, der in alle Richtungen gleich aussieht – ist allerdings keineswegs unmittelbar einleuchtend. Denn wenn wir uns umblicken, sieht es nirgends gleichförmig aus. Wir sehen Sterne, Galaxien und Galaxienhaufen – und nicht etwa eine gleichförmig verteilte Gasmasse rings um unsere Erde, die sich bis an die Beobachtungsgrenze erstreckt.

Das belegt zum Beispiel auch die Karte, die im Juni 2003 von Astronomen des "Two Degree Field"-Spektrografen am Anglo-Australischen Teleskop (AAT) des Siding Spring Observatory erstellt wurde. Sie zeigt die gemessene Verteilung von Galaxien im Universum, die sich in bis zu vier Milliarden Lichtjahren Entfernung von der Erde befinden. Von Gleichförmigkeit ist hier tatsächlich nicht viel zu bemerken.

Eine Scheibe des Universums ... | ... auf der Galaxien alles andere als gleichförmig verteilt sind.
Wie also kommen Kosmologen darauf, das Universum als überall gleich aussehend zu behandeln? Zunächst liegt das wohl am kosmischen Mikrowellenhintergrund, gewissermaßen ein Bad aus Strahlung, das der Urknall übrig gelassen hat. Die Hintergrundstrahlung besitzt nämlich eine erstaunlich einheitliche Temperatur: Egal wohin wir blicken, beträgt sie knapp drei Kelvin.

Auffallend gleichförmig

Als das Universum noch jung und heiß war, hatte diese Strahlung aber noch mehr als genug Energie, um Wasserstoff zu ionisieren. Wenn ein Proton also ein Elektron eingefangen hatte, schubste sie letzteres gleich wieder aus seiner Umlaufbahn. Stabile Atome konnten in solch einer Umgebung nicht entstehen, das Universum verharrte daher in einem chaotischen Zustand, einem großen Durcheinander aus Protonen, Elektronen und heißer Strahlung. Zu einem bestimmten Zeitpunkt aber hatte sich die Strahlung weit genug abgekühlt, dass sie den Wasserstoff nicht mehr ionisieren konnte. Die Elektronen verbanden sich also dauerhaft mit Protonen und ignorierten die Strahlung fortan. So konnte sie ungebremst fortströmen und den gesamten Raum erfüllen.

Der kosmische Mikrowellenhintergrund | Die einst heiße Strahlung, die heute auf rund drei Kelvin abgekühlt ist, lässt sich noch immer messen. Die Temperaturschwankungen (farblich gekennzeichnet) liegen im Promillebereich, sind also so winzig, dass Kosmologen von einem damals praktisch gleichförmigen Universum ausgehen.
Obwohl sie sich mittlerweile stark abgekühlt hat – und ihre Wellenlänge aufgrund der Rotverschiebung nur noch im Mikrowellenbereich liegt –, können wir diesen kosmischen Mikrowellenhintergrund (Cosmic Microwave Background, CMB) noch heute messen. Eine Aufnahme des CMB ist ein ganz einzigartiges Foto, eine Momentaufnahme des "letzten Streuprozesses". Die große Einheitlichkeit der Strahlung zeigt uns zudem, dass das Universum zumindest zum Zeitpunkt ihrer Ausstrahlung extrem gleichförmig gewesen sein muss. Und da die Position der Erde nach allem, was wir wissen, kein in irgendeiner Weise ausgezeichneter Ort ist, gehen wir davon aus, dass der CMB auch an allen anderen Orten im Universum so gleichförmig erscheinen würde.

Zwei Kräfte zerren seit dem Urknall am Universum

Der CMB lässt sich am besten verstehen, wenn man annimmt, dass das Universum mit einem Urknall begonnen hat. In einem vierdimensionalen Raumzeitbild kann man sich das Universum dann wie einen großen Trichter vorstellen, dessen eine Seite noch immer heiß ist (am Urknall-Ende) und der sich "nach oben" – in Richtung der Zeit – verbreitert.

In diesem Trichter wirken zwei entgegengesetzte Kräfte. Das eine ist die Gravitationskraft, die bewirkt, dass Materie (dazu gehört auch die so genannte dunkle Materie, die sich bislang nur indirekt beobachten lässt, und von der man noch nicht weiß, woraus sie besteht) sich gegenseitig anzieht. Diese Anziehung bedeutet aber zugleich, dass jegliche Materie nach einer Weile hoffnungslos verklumpen würde. Dafür, dass dies nicht geschieht, ist eine noch sehr mysteriöse Komponente des Universums zuständig: die „dunkle Energie“. Sie versucht, das Universum und die Materie darin auseinander zu treiben.

Dunkle Materie versus dunkle Energie | Während die Materie seit dem Urknall der Expansion sich durch die Gravitation gegenseitig anzieht, hat die dunkle Energie in jüngster Zeit (in der Grafik als "present" gekennzeichnet) begonnen, das Universum auseinander zu treiben.
Wie es in Zukunft mit dem Universum weitergeht, in dem zwei gegensätzliche Kräfte an der Materie zerren, ist noch nicht klar. Darum messen Kosmologen derzeit eifrig die Menge an dunkler Energie, die unser Universum erfüllt. Ist sie zu groß, wird sie das Universum eines Tages zerreißen, ein Szenario, das Kosmologen "Big Rip" nennen.

Hat sie einen ganz bestimmten und auch bekannten Wert, so expandiert das Universum einfach weiter. Ist sie aber kleiner als dieser, überwiegt die Gravitation eines Tages gegenüber der Expansion. Dann wird es zum Zusammensturz des Universums kommen, zum "Big Crunch".

Zukunftsszenarien | Reicht die dunkle Energie nicht aus, um der Gravitation auf Dauer entgegenzuwirken, dann wird das Universum in einem Big Crunch zusammenfallen. Vielleicht aber expandiert es auf ewig, weil die Kräfte sich die Waage halten. Oder – Alternative Nummer drei – die dunkle Energie treibt das Universum zu einem Big Rip. Das genaue Schicksal hängt möglicherweise von der so genannten Quintessenz ab, einem unsichtbaren, hypothetischen Energiefeld, das sich mit der Zeit verändert und so die Expansion des Universums beeinflusst.
Betrachten wir noch einmal das Universum als Trichter. Wählt man hier – was aber eigentlich beliebig ist – die Zeit als einen Pfeil, der vom Urknall fort zeigt, dann wird der Trichter – das Universum – mit der Zeit immer kühler. Schneidet man den Trichter an einer bestimmten Stelle durch, so stellt die Schnittebene einen dreidimensionalen Raumzeitbereich dar. Je näher man dabei in Richtung des Urknalls voranschreitet, desto höher werden die Temperaturen in den Schnitten, und die Schnitte selbst werden kleiner.

Unebenheiten im Universum werden relevant

Die klassische Kosmologie, die Alexander Friedman, Georges LeMaitre, Howard Robertson und Arthur Walker in den 1920er Jahren unabhängig voneinander entwickelt haben, nimmt an, dass dieser Trichter gleichförmig ist, so dass jeder Schnitt ebenmäßig erscheint und sich von einem anderen Schnitt nur durch die Temperatur und die Größe unterscheidet – nicht aber durch eine Substruktur.

Und doch ist das Universum vielleicht gar nicht so gleichförmig, wie hier angenommen wird. Das verraten uns nicht nur unsere Beobachtungen, denn "Unebenheiten" entstehen auch in den Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie, wenn man nur genauer hinsieht.

Strukturen mit Folgen | Könnte die Dunkle Energie ein Ergebnis der Strukturbildung im Universum sein? Solche "Unebenheiten" nämlich könnten zu einem Abstoßungseffekt führen.
Grund dafür sind so genannte Nichtlinearitäten. Diese sind ein Markenzeichen der Relativitätstheorie. In den Gleichungen nichtrelativistischer Theorien kann man beispielsweise einen gleichförmigen Schnitt durch die Raumzeit betrachten oder stattdessen einen Schnitt mit kleinen Unebenheiten, "ripples", über den man anschließend "mittelt": Setzt man beide Ergebnisse in die Gleichungen ein, erhält man qualitativ dasselbe Ergebnis. In der Allgemeinen Relativitätstheorie ist die Situation grundverschieden. Hier macht es einen großen Unterschied, ob ich gleichförmige Schnitte eines Trichters betrachte oder ungleichförmige, die ich anschließend gemittelt habe. Die Gleichungen ergeben dann andere Resultate – hat man einen Mittelungsprozess durchlaufen, tauchen Korrekturterme auf. Diese nennt man dann im Fachjargon "kosmologische Rückreaktion", "cosmological backreaction".

Dunkle Energie – Ergebnis der kosmischen Ungleichförmigkeit?

Dieses Phänomen ist meines Erachtens erstmals in den 1960er Jahren erkannt worden, und zwar von den russischen Physikern Mikhail Shirokov und Zalmanovich Fisher. Spannenderweise ließen sich die Korrekturterme, die bei Unebenheiten im Universum berücksichtigt werden mussten, als Abstoßung interpretieren! Dies war aber lange bevor man die dunkle Energie kannte. Trotzdem scheinen diese Terme genau eine solche Komponente vorherzusagen.

Doch wie es so ist im Leben, ist es auch in der Wissenschaft: Das Arbeitsgebiet geriet in Vergessenheit. Erst in den 1980ern wurde es von George Ellis wieder aufgegriffen. Und spätestens seit der "Entdeckung" der dunklen Energie im Jahr 1997 hat die Disziplin dann größere Aufmerksamkeit erhalten.

Erklärt den Kosmos ... | ... und schreibt Online-Tagebuch für "Spektrum": Iain Brown in Kapstadt
Ob dunkle Energie also eine physikalische Entität ist – ein Gas oder ein Feld, das das Universum füllt – oder vielmehr ein Resultat der Unebenheiten im Universum, die sich so auswirken, dass das Universum auseinander getrieben wird, wird derzeit heiß debattiert, denn beide Lager verfügen über schlagende Argumente.

Das Koinzidenzproblem bereitet Kopfzerbrechen

Wir wissen heute, dass der Zeitpunkt, an dem die dunkle Energie plötzlich relevant wird, also so stark zu wirken beginnt, dass sie das Universum tatsächlich deutlich auseinander treibt, in nicht allzuferner Vergangenheit liegt. Er stimmt vielmehr grob mit dem Zeitpunkt überein, zu dem auch die Erde entstand. Dieses seltsame Phänomen nennen Kosmologen das "Koinzidenzproblem" oder das "why now"-Problem – warum beginnt die dunkle Energie gerade jetzt zu dominieren? Ist es nicht ein seltsamer Zufall, dass wir Menschen ungefähr zum selben Zeitpunkt auf die kosmische Bühne treten?

Eine mögliche Erklärung besteht in der Aussage, dass, auf kosmischen Skalen betrachtet, Materie "gerade erst jetzt" begonnen hat, größere Strukturen zu bilden. Erst jetzt also sind die gleichförmigen Trichterschnitte durch das Universum klumpiger geworden. Oder anders gesagt: Falls Mittelungsprozesse zu einem "dunkle Energie"-Term führen, dann wird dieser erst dann relevant, wenn das Universum nicht mehr gleichförmig genug ist – also genau jetzt! Es scheint, als könnte unser Rückkopplungsverfahren das "why-now"-Problem auf natürliche Weise erklären.

Aber erklärt Rückreaktion alles?

Es bleibt aber noch zu zeigen, dass unsere Mittelungsprozesse – die kosmologische Rückreaktion – genau die Menge an dunkler Energie ergeben, die man derzeit beobachtet; und das ist noch ein hartes Stück Arbeit. An diesem Problem habe ich mir hier in Kapstadt die Zähne ausgebissen, aber auch einige Fortschritte gemacht – vielleicht werden Sie in Zukunft mehr von mir lesen können, was natürlich impliziert, dass ich hoffe, direkt vor einem wichtigen Durchbruch zu stehen ...

Ein paar Stunden Freizeit werde ich mir aber trotzdem noch gönnen. In den wenigen Tagen, die mir in Südafrika bleiben, möchte ich noch gerne den Tafelberg besteigen und die Peninsula sehen. Mein engster Mitarbeiter, Kishore Ananda, wird mich wohl nicht mehr begleiten können. Wir haben eine sehr intensive Arbeitsphase erlebt, nach der er aber zurück nach London geflogen ist. Dort werde ich ihn in wenigen Tagen noch einmal besuchen, ein Wissenschaftler ist heutzutage eben viel unterwegs. Wenn ich zurück bin, geht es aber weiter: Dann werde ich mit Georg Robbers in Heidelberg und mit Juliane Behrend in Ulm weiter an der kosmologischen Rückreaktion arbeiten. Bis dahin!

Iain Brown

Übersetzt und ergänzt von Vera Spillner

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