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Tagebuch: Gottseidank – jetzt kreisen sie wieder!

Man kann nur hoffen, dass es beim Protonenbeschleuniger LHC in Genf bald wieder nur um Wissenschaft geht.

Timing ist alles, auch in der Teilchenphysik! Wie angekündigt, wurden am Abend des 20. November wieder Protonenstrahlen im Genfer Teilchenbeschleuniger, dem Large Hadron Collider (LHC) am CERN, um den 27 Kilometer langen Ring gelenkt. Das lässt hoffen und bangen zugleich, war doch diese teuerste Wissenschaftsmaschine aller Zeiten über ein Jahr lang darniedergelegen, nachdem im September 2008, einige Tage nach Inbetriebnahme eine Lötstelle durchbrannte, tonnenschwere Magnete in die Höhe gerissen wurden und das flüssige Helium tonnenweise in den Tunnel verdampfte.

Der Unfall war nicht nur teuer in der Reparatur, sondern auch für die Forschung schmerzlich, wenn nicht gar imageschädigend. Hatte man doch im Sommer 2008 die vielleicht größte PR-Aktion aller Zeiten für den Start eines Großexperiments ausgerollt. Die Suche nach dem Gottesteilchen wurde angekündigt, am kältesten Ort des Universums im größten, komplexesten und teuersten Gerät aller Zeiten; irgendwie mussten sich vier Milliarden Dollar Baukosten ja auch in einen Kulturwert ummünzen.

Wie peinlich die einjährige Zwangspause nicht zuletzt dem damals bereits designierten Generaldirektor war, zeigte Rolf-Dieter Hoyer zuletzt in seiner Rede in Berlin auf der "Falling Walls"-Konferenz am Jahrestag des Mauerfalls. Er beeindruckte allein mit der bekannten Liste der Superlative, über die LHC-Kalamität verlor er jedoch keine Silbe.

Das ist verständlich und vielleicht auch bald Geschichte, wenn in einigen Monaten nun ernsthaft mit der Wissenschaft begonnen werden kann, wenn auch, wie angekündigt, das ganze Jahr 2010 noch mit halber Kraft, das heißt mit 50 Prozent der maximal möglichen 14 Teraelektronvolt Energie.

Just als jetzt der LHC wieder seinen Betrieb aufnahm, lauschte ich im Physikalischen Kolloquium der Universität Heidelberg Tilman Plehn. Der als Professor gerade frischgebackene junge Physiker sprach darüber, wie uns der LHC den Geheimnissen der Natur bei höchsten Energien näher bringen soll. Die sind uns zwar gerade im letzten Jahr Dutzende Mal um die Ohren gehauen worden. Aber ich fand es dann doch wieder spannend, mit welcher Begeisterung Tilman Plehn das große Vorhaben der Teilchenforscher vorführt. (Plehn im Übrigen ist ein origineller Typ, ich empfehle einen Besuch auf seiner Homepage, wo er sich nicht nur als Trombonenspieler und Bergsteiger outet.) Nur rattert er seinen Vortrag in einem Highspeed-English herunter, dass einem am Ende der Kopf schwirrt.

Aber worum geht es? Das berühmte "Standardmodell" der Teilchenphysik liefert für drei der vier Naturkräfte einen formvollendeten mathematischen Rahmen, in dem sich auch alle bekannten Messergebnisse unterbringen lassen. Doch ein paar Haken hat die Sache, und die treiben die Theoretiker schier in den methodischen Wahnsinn. Im Standardmodell zum Beispiel haben die Teilchen keine Masse. Ein nicht unwichtiger Aspekt der Welt findet sich also gar nicht in den mathematischen Gleichungen wieder. Es sei denn, man erweitert den Standard.

Der Brite Peter Higgs tat das bereits Ende der 1960er Jahre: Fügt man dem Standardmodell ein weiteres "Feld" hinzu, das mit den masselosen Teilchen in Wechselwirkung tritt, dann erhalten diese bei diesem Prozess auch Masse. ("Erhalten" beschreibt die Sache nur rudimentär, fachlich gesprochen geht es um die so genannte spontane Symmetriebrechung.) Dieser Effekt gilt auch für dasjenige Teilchen, welches selbst das Higgs-Feld überträgt – es "erhält" so ebenfalls Masse. Das ist das so genannte Higgs-Teilchen. Und nach diesem, dem berüchtigten Gottesteilchen, suchen die Forscher mit dem LHC jetzt. Und nur, wenn sich Verhältnisse wie im Urknall simulieren lassen, könnte es den rund 6000 am LHC beteiligten Physikern und der Welt seine Existenz offenbaren.

Dunkle Materie ist ein weiteres Rätsel, das die Forscher beschäftigt. Diesmal sind es die Kosmologen, die ein Problem haben und die mit gewöhnlicher ("hadronischer") Materie, aus der auch wir bestehen, nur fünf Prozent aller Materie im Universum erklären können. Den unerklärten Rest von 95 Prozent teilen sich Mysterien: Dunkle Materie und Dunkle Energie. Doch das sind nur Decknamen für das Unbekannte und Unerklärte im All. Und so hofft die Forscher, wenigstens ein neuartiges Teilchen zu entdecken, das den Hauptbestandteil der Dunklen Materie bilden könnte.

Das führt nicht nur Tilman Plehn zur so genannten SUSY. Dabei handelt es sich nicht um ein hübsches Mädchen, sondern um die Theorie der Supersymmetrie, welche die Physik jenseits des Standardmodells beschreiben soll und die von dem Karlsruher Theoretiker Julius Wess mitentworfen wurde. Die Theorie sei "so cool", entfährt es Plehn. Dummerweise gibt es bisher aber nicht den geringsten experimentellen Hinweis, ob diese coole Theorie auch irgend etwas mit der Natur zu tun hat. Unter anderem verdoppelt sie, um allen Anforderungen gerecht zu werden, die Anzahl der Fundamentalteilchen – zu jedem bekanntem Teilchen gesellt sich in diesem Rahmen ein weiteres Teilchen, sein SUSY-Partner. Das leichteste stabile dieser neuen Teilchen wäre nach Meinung der SUSY-Theoretiker ein idealer Kandidat für die Dunkle Materie.

Zweifellos: Schöne Theorien finden manchmal auch in der Natur ihren Niederschlag, Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie war so ein Fall oder die Quantenphysik. Also wäre es mehr als nur nett, es wäre tatsächlich ein Durchbruch, wenn der LHC nicht nur das "Higgs", sondern auch eines der SUSY-Teilchen entdecken würde. Wünschen wir es ihm! Physiker hätten dann zumindest die Gewissheit, dass die Welt in ihrem Innersten supersymmetrisch ist.

Reinhard Breuer
Chefredakteur

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