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Tagebuch: Perlen der Mathematik oder das merkwürdige Liebesleben der Schottky-Kreise

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In der Schülerakademie für Hochbegabte, in der ich zurzeit einer der Kursleiter bin, ist es mittlerweile Halbzeit und damit Zeit für eine "Zwischenprüfung". Natürlich machen wir keine Prüfung. Das ist ja das Schöne, dass in so einer Akademie die leidige Diskussion über Noten und Leistungsbewertung sich schlicht erübrigt. Aber die sechs Kurse sollen einander ihre bisherigen Ergebnisse vorstellen. In vier Sitzungen von je einer Dreiviertelstunde einschließlich Diskussion sollen jeweils vier von den 16 Teilnehmern eines Kurses eine Präsentation liefern, während die anderen zwölf zuschauen dürfen ("Rotation"). Und natürlich sitzen die Leiter anderer Kurse dabei und machen sich eifrig Notizen.

Bereits die Ankündigung löst hektische Aktivitäten aus. Man sieht sich genötigt, die bisher gehaltenen Referate (das eigene eingeschlossen) jetzt endlich wirklich zu verstehen, präpariert bunte Powerpoint-Dateien und übt emsig an der Vermeidung nichtssagender Füllwörter. Requisiten sind zu beschaffen (Wo kriegt man eine brauchbare Riemann-Sphäre her? Volleyball?), die Beiträge von vier Einzelpersonen sind zu einem überzeugenden Ganzen zu koordinieren, und ein zugkräftiger Titel will gefunden werden. Bei uns geht es unter anderem um die Paarung von Kreisen; das gibt einen guten Titel, auch wenn nicht unmittelbar klar ist, was an diesen speziellen Möbius-Transformationen so sexy ist. Einerlei: Komplexe Zahlen sind in jedem Fall ein lustvolles Vorspiel (für den, der's mag ...).

Hüpfende Elektronen

Wir erleben beeindruckende Arbeitsergebnisse, von denen ein Lehrer im Schulalltag nur träumen kann. Nach vier Tagen Arbeit haben die Experimentalphysiker ihren Aufbau endlich so weit, dass eine Kerze auf dem beschleunigten Wägelchen durch den Fahrtwind in reproduzierbarer Weise ausgeblasen wird. Die Chemiker haben wenig Mühe, die angelieferten Pülverchen in Reagenzgläschen anzurühren und irgendwelche Farbwechsel zu beobachten; dafür beeindrucken (zumindest mich Nichtchemiker) die tief gehenden quantenmechanischen Darlegungen darüber, warum ausgerechnet eine Komplexbindung die Elektronen veranlasst, so von Energieniveau zu Energieniveau zu hüpfen, dass man brillante Farben sieht. Die Poeten animieren uns zu dichterischen Übungen, und die Philosophen diskutieren unversehens mit dem Publikum über schwierigste Fragen, die in der Dreiviertelstunde beim besten Willen keinen Platz finden. Und was machen unsere Mathematiker?

Das erfahren wir erst in der Nachbesprechung der Kursleiter untereinander. Angeblich sind sie grandios gescheitert bei dem Versuch, den vielen Stoff geordnet darzustellen. Das kann sogar sein; wir haben in der Tat ziemlich viel gemacht. Wir Kursleiter sind trotzdem beglückt, wie weit wir gekommen sind. Das sah zwischendurch ziemlich düster aus.

Am Ende der Besprechung vergeben wir dann doch Schulnoten für die Präsentationen. Der Durchschnitt liegt zwischen 2 und 3. Als wir das unseren Leuten mitteilen, gibt es sehr bedröppelte Gesichter. Die sind Noten unterhalb der Eins einfach nicht gewohnt ...

Die wahre Rangfolge der Wissenschaften zeigt sich erst im Volleyballturnier am Abend. Die Mannschaft der Kursleiter scheidet in der Vorrunde aus (das wäre noch deutlich schlimmer gekommen, wenn ich mitgespielt hätte). Im Endspiel müssen sich die Philosophen den Mathematikern nach hartem Kampf, aber deutlich geschlagen geben.

Christoph Pöppe

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