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Tierschutz: "Säuberung ist keine Gefühlsduselei"

Soll man verölte Vögel töten oder doch lieber putzen? Ersteres meinen die großen Verbände. Doch Tierschützer widersprechen scharf. spektrumdirekt unterhielt sich deshalb mit Sascha Regmann von der Organisation ProBird, die sich der Reinigung von Seevögeln nach Ölkatastrophen annimmt.
Vom Öl gesäuberte Pelikane
spektrumdirekt: Herr Regmann, im Gegensatz zu den großen Naturschutzorganisationen unterstützt ProBird eindeutig die Säuberung ölverschmutzter Vögel. Angesichts der Massen an betroffenen Tieren: Kann man überhaupt einem nennenswerten Anteil der Vögel helfen?

Sascha Regmann | Ölverschmutzten Vögeln zu helfen ist das Anliegen von ProBird, einem Zusammenschluss verschiedener europäischer Tierschutzorganisationen. Mit Hilfe von Notfallteams retten Sascha Regmann und seine Kollegen Tiere, die es trotz ihrer ölverklebter Federn an die Küste geschafft haben oder dort von der Katastrophe betroffen sind.
Sascha Regmann: Fakt ist, dass ein Großteil der Vögel, die bei einem Ölunfall betroffen sind, unbemerkt auf hoher See verendet. Jedoch kann man jene Tiere, die lebend und ölverschmutzt an Land gelangen, nicht wegdiskutieren. Mit Hilfe einer professionellen Rehabilitation können viele dieser angelandeten Vögel gerettet werden – wenn gewisse Rahmenbedingungen gegeben sind. Einige Natur- oder Artenschutzorganisationen setzen ihre Arbeitsschwerpunkte auf andere Bereiche wie beispielsweise die politische Arbeit. Individuelle und aktive Tierschutzarbeit lehnen diese Verbände daher ab.

Was sind Ihre Beweggründe?

Die Säuberung und Freilassung von verölten Wildvögeln hat nichts mit Gefühlsduselei zu tun. In vielen Ländern ist sie mittlerweile nicht nur selbstverständlich, sondern unter Berücksichtigung des Tierschutzrechts sogar Pflicht. In Europa zeigt sich der deutliche Trend, dass die Rettung ölverschmutzter Wildtiere mehr und mehr Bestandteil der nationalen Notfallpläne wird. Da eine Ölpest durch menschliches Verschulden hervorgerufen wird, sehen wir es als unsere Pflicht an, den betroffenen Tieren bestmöglich zu helfen. Dies besagt auch das deutsche Tierschutzgesetz.

Eiderenten | Gereinigte Eiderenten auf einem Außenpool: Die Tiere wurden nach einer Ölpest 2009 in Südnorwegen aufgegriffen und erfolgreich behandelt.
Wegen der großen Bestände der nordatlantischen Seevögel, die durch eine Ölpest in der Region zumindest auf den ersten Blick kaum gefährdet sein sollen, meinen die großen Verbände, man solle das für die Reinigung der Tiere aufgewendete Geld lieber in andere, effektivere Naturschutzmaßnahmen fließen lassen. Warum ist diese Haltung Ihrer Meinung nach falsch?

Dieses Argument wird leider oft von Personen vorgebracht, die sich ihren Lebensunterhalt auch von Spenden finanzieren lassen, mit denen Menschen eigentlich etwas Gutes für Tier- und Natur tun möchten. Und gemessen an den Gesamtkosten für die Beseitigung der Ölverschmutzungen auf See und an der Küste sind die Kosten für die Rettung der Tiere durchschnittlich bei etwa 0,5 Prozent der Ausgaben anzusiedeln.

Erste Hilfe | Claude Velter aus Belgien (links) und Sascha Regmann (rechts) versorgen eine Eiderente, die nach der "Full-City"-Ölpest 2009 in Südnorwegen aufgegriffen worden war. Das internationale Tierrettungsteam wurde auf Anfrage des WWF angefordert.
Wie bereits erwähnt, klafft in Deutschland zwischen Natur- und individuellem Tierschutz eine große Lücke. Wenn Naturschützer oder maßgebliche große Artenschutzverbände lediglich Vögel zählen wollen, dann können sie dies gerne tun. Aber sie sollen bitte nicht diejenigen, die sich für die Rehabilitation verölter Vögel engagieren, mit unqualifizierten und teilweise abwertenden Aussagen ins Abseits drängen. Der Eindruck, der in der Öffentlichkeit durch derartige, oft auf fehlendem Wissen basierende Sätze entsteht, ist fatal und behindert unsere professionelle Arbeit an den Tieren ungemein.

Versuchen Sie möglichst allen Vögeln zu helfen? Oder werden nur jene Tiere gereinigt, die überhaupt Aussichten aufs Überleben haben?

Es handelt sich bei verölten Vögeln um kranke Tiere, die einer tierärztlichen Behandlung bedürfen; die Rehabilitation ist daher eine rein medizinische Angelegenheit. Wenn respektable Chancen bestehen, dass die Tiere erfolgreich behandelt und wieder ausgewildert werden können, so sind die Maßnahmen für uns sinnvoll. Bei Individuen, die kaum Überlebenschancen aufweisen, ist tiermedizinisch die Möglichkeit der Euthanasie gegeben: Auch dies kann eine Hilfe für das Tier sein.

In jedem Fall muss jedoch die Entscheidung, ob eine Rehabilitation sinnvoll ist oder nicht, von Tierärzten mit Fachkenntnissen beurteilt werden. Diese Beurteilung muss anhand von medizinischen Kriterien und messbaren Daten erfolgen und nicht auf Grund eines Bauchgefühls. Viele der "Fachleute", welche immer wieder das pauschale Töten ölverschmierter Wildvögel propagieren, besitzen sicherlich in einigen Bereichen Kompetenzen, aber in diesen fachspezifischen Veterinärfragen sind sie Laien und damit nicht in der Lage, qualifizierte Beurteilungen treffen zu können.

Wie viele Tiere überleben die Rehabilitation und lassen sich wieder in den Bestand eingliedern?

Gesäuberte Stockenten | Gereinigte Stockenten nach der "Glomma"-Ölpest 2006 in Norwegen: Das abperlende Wasser auf dem Gefieder verdeutlicht, dass die Säuberung den wasserabweisenden Charakter der Federn allenfalls kurzzeitig einschränkt.
Ein jeder Ölunfall muss individuell betrachtet werden. Die Anzahl der Vögel, die nach einer erfolgreichen Behandlung wieder ausgewildert werden können und sich in den Bestand eingliedern, schwanken je nach Öltyp, Jahreszeit und Temperatur, der Vogelart und anderen Faktoren. Je schneller wir eine professionelle Rehabilitation starten können, umso mehr Vögeln lässt sich helfen. Wir haben schon Aktionen durchgeführt, bei denen 100 Prozent der eingelieferten Tiere wieder in die Freiheit entlassen werden konnten.

Die Verbände argumentieren damit, dass die Reinigungsprozedur ein zusätzlicher belastender Prozess für die ohnehin gestressten Tiere ist: Gibt es Methoden, die weniger belastend sind?

Der direkte Kontakt mit dem Menschen bedeutet für alle Wildtiere Stress. Dies gilt beispielsweise auch für Füchse, Feldhasen oder Greifvögel. Die Rettung von Wildtieren in den bundesweit zahlreichen Pflegeeinrichtungen wird jedoch im Gegensatz zu jener von verölten Vögeln nicht in Frage gestellt. Dabei ist die Erfolgsquote bei der Wiederauswilderung wildbahntauglicher Greifvögel meist geringer als bei Einsätzen zur Rehabilitation verölter Seevögel.

Das Minimieren von Stress ist bei einer professionellen Behandlung oberstes Gebot. So darf beispielsweise nur geschultes und erfahrenes Personal die Vögel händeln. Auf zahlreichen internationalen Fachtagungen und Workshops konnten zudem in den vergangenen Jahren diverse Optimierungen im Bereich des Reinigungsvorgangs als auch auf dem Gebiet der allgemeinen Behandlungen erreicht werden.

Angenommen, es passiert ein Tankerunglück vor der deutschen Küste und es werden tausende verölte Vögel angespült: Überfordert das nicht die hiesigen Auffangstationen mit ihrer geringen Aufnahmekapazität?

Zurück in die Freiheit | Freilassung von über 100 gereinigten Trauerenten nach der illegalen Einleitung von Schweröl in die Nordsee: Im Gegensatz zu vielen großen Naturschutzorganisationen steht ProBird ausdrücklich dahinter, ölverschmutzte Vögel zu retten.
Die beiden einzigen, derzeit genehmigten deutschen Reha-Stationen befinden sich in Schleswig-Holstein, und ihre Aufnahmekapazitäten sind tatsächlich nicht ausreichend für tausende Tiere. Jedoch besteht jederzeit die bereits oft erprobte und bewährte Möglichkeit, innerhalb kürzester Zeit eine temporäre Station aufzubauen. Dafür ist allerdings die logistische Unterstützung des von der Ölpest betroffenen Bundeslands, der Landkreise und der einzelnen Gemeinden notwendig.

Was müsste Ihrer Meinung nach getan werden, um im Falle eines Tankerunglücks hierzulande besser gegen die Folgen gewappnet zu sein?

Unabdingbar ist dafür eine gut funktionierende Gefahrenabwehr der einzelnen Länder: Kompetenzgerangel und Abstimmungsschwierigkeiten zwischen Behörden müssen vermieden werden. In einem schweren Schadensfall sollte deshalb das Havariekommando aus Cuxhaven die Leitung und Koordination übernehmen. Ob dies in der Praxis funktioniert, wird jedoch wohl leider erst ein Ernstfall zeigen.

Für unsere spezielle Arbeit sind zukünftig die Einbindung in die Gesamtschadenabwehr sowie gemeinsame Schulungen mit anderen Einsatzkräften wie Feuerwehr und THW wichtig. Ebenso gilt unser Augenmerk dem vorsorglichen Ausbau eines jederzeit zum Aufbau bereiten und kompletten Equipments. Hierfür suchen wir noch Sponsoren aus Wirtschaft und Industrie, um den verschiedenen Bundesländern im akuten Fall schnell und unbürokratisch unsere professionelle Hilfe anbieten zu können.

Herr Regmann, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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