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Vererbung: Soziale Bedingungen können das Erbgut auf Dauer umprogrammieren

Heidelberg. Lange stritten Psychologen darüber, was unser Verhalten in erster Linie bestimmt: unser genetisches Erbe oder Erziehung und soziales Umfeld. Inzwischen aber zeigt sich immer deutlicher, dass beide Faktoren nicht unabhängig voneinander sind, sondern sich in hohem Maße gegenseitig beeinflussen. So ist das von den Eltern geerbte Genom selbst zwar unveränderlich, doch nicht alle Gene daraus werden immer und überall genutzt. Welche jeweils aktiv sind und welche stumm bleiben, hängt unter anderem von äußeren Bedingungen ab, zu denen auch die gesellschaftliche Situation oder etwa traumatische Erlebnisse gehören.
Soziale Isolation

Fortgesetzte Gewalt, materielle Not und soziale Isolation verursachen Dauerstress, der Entzündungsreaktionen begünstigt, die zur Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs führen können. Unter anderem wird die Aktivität des Gens für den so genannten Glucocorticoidrezeptor (GR) gedrosselt, indem Enzyme blockierende chemische Gruppen daran heften. Die Folge ist ein ängstliches Vermeidungsverhalten, das zwar eine angemessene Reaktion auf die belastenden Umstände darstellt. Aber wenn sich die äußeren Bedingungen später bessern, bleibt das GR-Gen abgeschaltet und die Ängstlichkeit damit weiter bestehen. Ein früh Not und Gewalt ausgesetztes Kind ist damit für sein Leben traumatisiert.

Auf dramatische Weise zeigte das vor vier Jahren eine Untersuchung von kanadischen Forschern an Selbstmordopfern, von denen einige als Kinder missbraucht worden waren. Bei diesen fanden die Wissenschaftler wesentlich mehr blockierende Gruppen auf dem GR-Gen als bei den anderen, die keinen Missbrauch in jungen Jahren erlebt hatten.

Starke psychosoziale Belastungen führen außerdem zu oxidativem Stress, einer Art "Rosten" der Zellen. Die Folge ist, dass sich die Enden der Chromosomen, auf denen sich das Erbgut befindet, schneller abnutzen. Dort gelegene Gene werden beschädigt und es kommt zu einer frühzeitigen Alterung der Zellen.

Es gibt allerdings auch Verhaltensdispositionen, die von vornherein fest im Erbgut verankert sind. Das betrifft etwa den Nervenbotenstoff Dopamin, der entscheidend am Empfinden von Freude oder Niedergeschlagenheit beteiligt ist. Menschen mit einer bestimmten ererbten Variante des Dopaminrezeptors vom Typ 2 neigen zu impulsivem Verhalten. Sie haben sich schlecht unter Kontrolle, was meist schon in der Kindheit ihre schulischen Leistungen beeinträchtigt. So erreichen sie seltener einen höheren Schulabschluss.

Zwar lässt sich dieses genetische Handicap durch günstige äußere Bedingungen ausgleichen, wie die Soziologen Michael J. Shanahan und Jason Freeman von der University of North Carolina (USA) in der jüngsten Ausgabe von Spektrum der Wissenschaft berichten. Besuchen die betroffenen Kinder eine gute Schule und haben sie gebildete Eltern, die sich für schulische Belange interessieren und engagieren, kommen sie sogar weiter als nicht benachteiligte Klassenkameraden.

Allerdings haben gerade Kinder mit genetisch bedingter mangelnder Impulskontrolle geringere Chancen auf die nötige Unterstützung durch Eltern und Schule. Sie sind von vorneherein schwierig und erhalten deshalb weniger elterliche Zuwendung. Fallen sie dann im Unterricht negativ auf, sind sie schnell abgestempelt. Die Eltern vermeiden daraufhin oft den Kontakt mit der Schule. So entsteht ein Teufelskreis aus impulsivem Verhalten und schlechten Schulleistungen. Ihn gilt es im Sinne der Chancengleichheit dringend zu durchbrechen.

Abdruck honorarfrei bei Quellenangabe: Spektrum der Wissenschaft, Dezember 2013
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