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Verhaltensbiologie: Wie Tiere wandern

Heidelberg. Moderne Techniken ermöglichen es Biologen heute, die teils erdumspannenden Wege von Zugvögeln, aber auch von anderen Wirbeltieren oder Insekten zu verfolgen. Die neuen Daten können lange umstrittene Punkte klären, sorgen aber oft auch für Überraschungen. Zudem geben sie Einblicke, wie Tierwanderungen in das irdische Ökosystem eingebettet sind und es zugleich mitgestalten.
Vogelzug

Seit 1899 beringen Forscher Vögel, um Informationen über ihre Wanderwege zu erhalten. Da immer nur ein kleiner Bruchteil der Ringe zurückkam, blieben die Daten immer sehr lückenhaft. Mit modernen, leichten Sendern gelingt es Biologen heute, die Wanderbewegungen nicht nur von Vögeln, sondern auch von Landtieren, Fischen und sogar Insekten zu erschließen. Martin Wilkeski, Direktor am MPI für Ornithologie in Radolfzell, berichtet über diese Forschungen in der aktuellen August-Ausgabe von "Spektrum der Wissenschaft".

Insgesamt starteten im 20. Jahrhundert rund 115 Millionen Vögel mit einem Ring in die Freiheit. Aber gerade zwei Millionen dieser Markierungen konnten nach ihrem Wiederfund wissenschaftlich ausgewertet werden. Die Methode liefert also gute Stichproben, nicht mehr. Immerhin lernen die Forscher so zum Beispiel, dass ein in Skandinavien beringter Vogel im Wattenmeer der Nordsee Rast macht. Oder dass etliche Mönchsgrasmücken in Süddeutschland im Herbst nicht mehr in den Süden sondern eher Richtung Nordwesten ziehen und in Großbritannien überwintern.

Liegen die Winterquartiere einer Art aber in Afrikas Sahelzone oder noch weiter im Süden, erfahren die Ringjäger nur selten etwas über das Schicksal der Wandertiere. Das vielleicht eindrucksvollste Beispiel für die Schwächen der Beringungsforschung liefern Küstenseeschwalben. Mit rund hundert Gramm Gewicht liegen diese eleganten Vögel in der gleichen Gewichtsklasse wie Amseln, haben aber mit einer Spannweite von ungefähr 80 Zentimetern mehr als doppelt so lange Flügel. Im Sommer brüten Küstenseeschwalben in vielen Regionen zwischen den Küsten von Nord- und Ostsee bis hinauf in den Norden Grönlands, im Norden Sibiriens und Nordamerikas.

Als Ornithologen die rasanten Flieger mit Ringen versehen freiließen, entdeckten sie nach einiger Zeit sogar Winterquartiere weit im Süden auf den Inseln im Südpolarmeer. Offensichtlich pendeln Küstenseeschwalben also mit den Jahreszeiten längs über den Globus zwischen nördlichen und südlichen Polarregionen. Auf der Landkarte ergibt das eine jährliche Flugleistung von mindestens 30 000 Kilometern.

In der Praxis sieht das Ganze oft noch ein wenig anders aus. Das merkten die Forscher als sie elf Küstenseeschwalben mit jeweils 1,4 Gramm schweren "Loggern" ausrüsteten. Diese winzigen Fahrtenschreiber zeichnen jeden Tag auf, wie lange es hell ist. Kehren die Tiere ein Jahr später in ihr Brutgebiet zurück, befreien die Forscher sie von ihren Minigeräten. Aus den aufgezeichneten Tageslängen ermitteln sie dann die Aufenthaltsorte auf rund 200 Kilometer genau. Resultat: Einige Küstenseeschwalben hatten jährlich sogar mehr als 80 000 Kilometer zurückgelegt. Dabei bevorzugen sie vor allem Routen, auf denen sie häufig Rückenwind haben und möglichst wenig Gegenwind – das zeigen die Korrelationen mit den globalen Wetterdaten.

Seit die Forscher wandernden Tieren winzige Fahrtenschreiber anheften, erleben sie häufig große Überraschungen. So haben Martin Wikelski und Kollegen vor einigen Jahren in Venezuela in einer Karsthöhle in der Nähe der Stadt Caripe einige der Fettschwalme gefangen, die dort die Nacht erbringen und ihre Jungen füttern. Bereits Alexander von Humboldt hatte diese exotischen Vögel auf seiner Südamerikareise 1799 in der gleichen Höhle entdeckt. 15 000 der Tiere leben dort, notierte sich der Naturforscher. Jeden Morgen kehren sie in die Höhle zurück, um ihren Nachwuchs mit den Ölfrüchten zu füttern, die sie in der Nacht gesammelt haben.

Das wollten die Forscher mit ihren neu entwickelten Loggern ändern. Doch die Tiere mit ihren Loggern kehrten jeweils erst am dritten Tag wieder zu ihrer Stammhöhle zurück, laut ihren Signaldaten hatten sie zwischendurch weiter weg, auf anderen Schlafbäumen genächtigt. Damit aber hatten die Forscher die seit Alexander von Humboldt feststehende Lehrmeinung widerlegt. Bisher ging man von einem Bestand von 15 000 Fettschwalmen in der großen Tropfsteinhöhle aus, weil man dort an jedem Tag so viele Tiere zählen kann. Wenn sie aber nur jeden dritten Tag dort nächtigen, muss es auch dreimal so viele von ihnen geben als bisher angenommen.

Neben den Kolossen wandern aber auch Winzlinge wie die Insekten. Nachdem Martin Wikelski die Amerikanische Königslibelle an der Ostküste der USA mit Minisendern ausgestattet hatte, verfolgte er die acht Zentimeter langen und ein Gramm schweren Insekten einige hundert Kilometer weit nach Süden. Insgesamt legen die Tiere in ihrem Leben wohl einige tausend Kilometer bis nach Florida zurück.

Die Online-Satellitenfunk-Methode möchte der Max-Planck-Forscher demnächst auch auf kleinere Tiere ausdehnen. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Kandidaten: von den Fettschwalmen in Südamerika bis zu Singvögeln in Eurasien und Amerika oder den Fledermäusen der alten Welt. Die Signale dieser Sender gehen an eine spezielle Antenne, die voraussichtlich 2015 von der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos an der Internationalen Raumstation ISS angebracht werden soll. Künftig sollen ähnliche Antennen auch auf einigen Satelliten mitfliegen, die ohne Bodenstationen Mobilfunk und Internet von fast jedem Ort der Erde aus ermöglichen.

Abdruck honorarfrei bei Quellenangabe: Spektrum der Wissenschaft, August 2013
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