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Verhaltensforschung: Vom Kriege

Tiere sind uns in vielem sehr ähnlich - und manchmal ähnlicher, als uns vielleicht lieb sein kann. Etwa wenn es gilt, Haus, Hof und die Liebste zu verteidigen: Von der Art der Konfliktlösung bis zur Betreuung von Alliierten gibt es viele Parallelen zu uns.
Rotrücken-Zaunkönig
"Krieg ist die Fortsetzung der Politik unter Einbeziehung anderer Mittel", so schreibt der preußische General und Militärtheoretiker Carl Philipp Gottlieb von Clausewitz in seinem Buch "Vom Kriege". Bis heute zählen seine Gedanken und Lehren zu den maßgeblichen Werken der Strategie, Taktik und Philosophie der modernen Kriegsführung – selbst im Bereich der Wirtschaftslehre fanden sie Eingang.

Rotrücken-Zaunkönig | Rotrücken-Zaunkönige singen im Urwald im Duett, damit sich Paare leicht wiederfinden – und um Eindringlinge akustisch zu bekämpfen.
Und womöglich lässt sich der Satz auch auf die Tierwelt übertragen – auf die Art und Weise, wie Vögel beispielsweise ihr Revier oder Weibchen erobern und verteidigen. Während der Balz versuchen die Männchen die Angebetete vornehmlich mit zivilen Mitteln zu überzeugen: Sie stellen prächtige Federn zur Schau wie Pfauen und Paradiesvögel, bauen raffinierte Liebesnester wie die Laubenvögel und Beutelmeisen oder bezirzen die Auserwählte mit lieblichen Gesängen wie Nachtigallen oder Grasmücken. Ihre Einflusssphäre stecken sie durch Gezwitscher ab oder markieren ihn durch gezielt platzierte Kothäufchen nebst drapierter Federn, wie jüngst vom Uhu berichtet wurde.

"Krieg ist die Fortsetzung der Politik unter Einbeziehung anderer Mittel"
(Carl von Clausewitz)
Wehe aber, ein Nebenbuhler reagiert nicht auf die friedlichen optischen und akustischen Signale. Dann fechten Amseln mit ihren Schnäbeln Gefechte aus, treten sich Birkhühner im Kampf mit Füßen und attackieren Kampfläufer einander mit aufgeplustertem Federkragen – eine Fortsetzung der Revierpolitik unter Einbeziehung anderer Mittel. Etwas weniger handfest, aber dennoch kriegerisch gehen die mittelamerikanischen Rotrücken-Zaunkönige (Thryothorus rufalbus) aufeinander los, wie Daniel Mennill von University of Windsor in Ontario und Sandra Vehrencamp von der Cornell University in Ithaca im Urwald Costa Ricas bemerkten [1]. Die Vögel setzen eine ganz besondere Waffe zur Verteidigung ihrer Jagd- und Brutgründe ein: aggressiven Duettgesang.

Lärmend ins Gefecht

"Der erste Eindruck ihrer Duettgesänge ist einer höchster Harmonie und Kooperation", beschreibt Mennill, wie die Lautäußerungen der Zaunkönige auf zufällige Beobachter wirken. Bisweilen stimmen sich die Vögel so gut ab, dass ihr Zwiegesang wie ein Solo klingt. Im dichten Regenwald helfen sie dem singenden Pärchen Kontakt miteinander zu halten, wenn sie voneinander getrennt Nahrung suchen, oder sich wiederzufinden, nachdem sie einzeln durchs Unterholz huschten. Und es dient wahrscheinlich auch dazu, die Bindung der Vögel untereinander zu festigen, vermuten die Forscher: Mit Hilfe von acht an unterschiedlichen Orten aufgestellten Mikrofonen und Triangulation der aufgezeichneten wechselseitigen Ansprachen konnten sie belegen, dass die Zaunkönige ihre Aktivitäten über den Gesang synchronisieren.

Wissenschaftler mit Rotrücken-Zaunkönig | Daniel Mennill Aug in Aug mit einem Rotrücken-Zaunkönig im Regenwald Costa Ricas.
Doch das sind offenbar nur Teilaspekte des Duetts, so Mennill: "Es existiert auch noch eine dunkle Seite. Die Vögel nutzen es ebenso als aggressive akustische Kriegsführung." Als die beiden Ornithologen ein besetztes Revier mit den Klängen eines fremden Pärchens beschallten, reagierten die eigentlichen Inhaber sehr heftig. Auf jeden Gesang der Konkurrenten folgten aufgeregte eigene Lieder: "Ihre Sangesrate schoss durch die Decke. Jede Einspielung wurde zornig beantwortet." Während die Zaunkönige in den 20 Minuten vor den Auftritten der vermeintlichen Invasoren nur durchschnittlich ein Duett anstimmten, schnellte deren Zahl in der gleichen Zeitspanne danach auf knapp sieben in die Höhe. Die Weibchen pfiffen dabei zumeist auf ihre Geschlechtsgenossinnen, während die Männchen vor allem mit ihresgleichen in den Sangeswettstreit eintraten.

"Es existiert auch noch eine dunkle Seite"
(Daniel Mennill)
Wie erfolgreich die Melodien eingesetzt werden, um die eigene Heimat zu verteidigen, ohne dass doch noch körperliche Attacken folgen, müssen erst weitere Studien zeigen. Und auch was die Rotrücken-Zaunkönige nach dem Duell tun, liegt noch im Dickicht des Regenwaldes versteckt – eventuell pfeifen sie ein fröhlicheres Lied, um sich wieder abzureagieren. Vielleicht handhaben sie es aber auch wie die Baumhopfe (Phoeniculus purpureus), denen Andrew Radford von der University of Bristol nachstellte [2]. Diese Vögel ziehen in Gruppen bis zu acht Individuen durch die Baumsavannen des tropischen Afrikas: ein brütendes Pärchen und meist sechs, in Einzelfällen sogar zehn Begleiter, die bei der Versorgung des Nachwuchses helfen.

Streicheleinheiten nach dem Konflikt

Baumhopf | Ein südafrikanischer Baumhopf in Nahaufnahme.
Obwohl sie vorerst nur Hilfsdienste leisten dürfen und nicht selbst ihre Gene weitergeben, bleiben interne Konflikte rar: Eines striktes Warteschlangensystem legt fest, wer wann am Zug sein und unterstützt werden wird, und bei der Nahrungssuche zum Eigenbedarf behalten sie über Zurufe Abstand voneinander. So friedlich sie in der Gruppe agieren, so entschieden geben sie sich nach außen, wenn benachbarte Baumhopfe ihren Einfluss ins fremde Habitat ausdehnen wollen: Ähnlich wie bei den Rotrücken-Zaunkönigen attackieren die Vögel einander mehrmals am Tag verbal mit heiserem Gekrächz, an dem sich alle erwachsenen Gruppenmitglieder beteiligen. Zwischen 1 und 45 Minuten können diese "vokalen Konflikte" dauern, bis sie entschieden sind und sich Gewinner von Verlierern scheiden – nur selten steigern sie sich zu handfesten Auseinandersetzungen.

"So wie sich Fans beispielsweise nach einer Niederlage ihrer Mannschaft in der Kneipe bemitleiden, unterstützen sich auch die Baumhopfe nach einem Wettkampf mit Rivalen"
(Andrew Radford)
Gleich ob Sieg oder Niederlage – danach legen die Vögel ein Verhalten an den Tag, das den britischen Forscher an die Fußballanhänger seiner Heimat erinnert: "So wie sich Fans beispielsweise nach einer Niederlage ihrer Mannschaft in der Kneipe bemitleiden, unterstützen sich auch die Baumhopfe nach einem Wettkampf mit Rivalen." Die Gruppe rückt zusammen, putzt und krault sich mit ihren Schnäbeln. Gerade nach verlorenen Wettbewerben geschah dies sehr viel intensiver und häufiger als zu konfliktfreien Zeiten, wie Radford schreibt.

Baumhopfpärchen | Baumhopfe betreiben nach verbalen Auseinandersetzungen mit Konkurrenten besonders intensive Körperpflege mit ihren Artgenossen. Damit wollen sie Gruppenbindung stärken und Stress abbauen.
Zärtlichkeiten spendete dann auch meist das Brutpaar, wahrscheinlich um ihre untergeordneten Artgenossen wieder aufzubauen und zu stärken für neue Auseinandersetzungen, so der Biologe: "Das Putzen baut vermutlich Stress ab und fördert den Zusammenhalt der Gruppe. Gerade nach verlorenen Schlachten ist das besonders wichtig." Damit erhöhe sich die Wahrscheinlichkeit, dass die subalternen Hopfe auch beim nächsten Mal wieder an der Seite ihrer Leittiere zur Verteidigung antreten. Die Verbände, die die konfliktreichsten Verhältnisse zu ihren Nachbarn haben, pflegen daher auch die intensivsten Sozialkontakte und putzen sich am häufigsten. Und das ist auch gut so, wie ebenfalls schon von Clausewitz wusste: Treue Verbündete erschweren es einem Gegner den Krieg zu führen und zu gewinnen.

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  • Quellen
[1] Mennill, D., Vehrencamp, S.: Context-Dependent Functions of Avian Duets Revealed by Microphone-Array Recordings and Multispeaker Playback. In: Current Biology 18, S. 1–6, 2008.
[2] Radford, A.: Duration and outcome of intergroup conflict influences intragroup affiliative behaviour. In: Proceedings of the Royal Society B 10.1098/rspb.2008.0787, 2008.

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