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Vollnarkose: Narkose: Viele Wege zur Bewusstlosigkeit

Heidelberg. Was passiert bei einer Vollnarkose im Gehirn? Darüber rätselten Forscher lange Zeit. Wie man heute weiß, "drehen" Anästhetika an einer Reihe von neuronalen Stellschrauben, erklärt der Psychopharmakologe Christian Müller im Magazin "Gehirn und Geist" (Ausgabe 5/2013).
Kurz und schmerzlos

Eine Vollnarkose zählt zur täglichen Routine im Krankenhaus. Durch bestimmte Stoffe – so genannte Allgemeinanästhetika – werden die Patienten in einen Zustand vorübergehender Bewusstlosigkeit versetzt. Dabei fallen Gedächtnis, Reflexe und Schmerzwahrnehmung auf Grund verminderter Aktivität in verschiedenen Regionen der Großhirnrinde (Kortex) aus. Ebenso werden tiefer liegende, subkortikale Areale gehemmt wie der Thalamus – eine Art neuronale Schleuse für alle Sinneseindrücke aus der Umwelt. Ist der Signalfluss zwischen Thalamus und Kortex stark herabgesetzt, kommt es zur Bewusstseinstrübung.

Doch was steckt genau dahinter? Obwohl Forscher seit mehr als 100 Jahren mit Anästhetika experimentieren, gewannen sie wichtige Erkenntnisse über ihre Wirkungsweise erst in jüngerer Zeit. Demnach interagieren Allgemeinanästhetika mit verschiedenen Proteinen in den Membranhüllen von Nervenzellen. Dies verändert ihre Durchlässigkeit für elektrisch geladene Teilchen, den Ionen, was wiederum die Erregbarkeit der betreffenden Zelle vermindert.

Forscher unterscheiden grob zwischen schnellen, sehr spezifisch wirksamen sowie langsamen, eher unspezifischen Botenstoffen. Zu den spezifischen gehören die Systeme mit dem erregenden Neurotransmitter Glutamat sowie mit der hemmenden Gamma-Aminobuttersäure (kurz: GABA). Besonders dicht sind GABA-Rezeptoren in den Hirnzellen des Thalamus sowie in jenen Arealen der Großhirnrinde gesät, die Signale von den Sinnesorganen empfangen. Auch unsere Gedächtniszentrale, der Hippocampus, verfügt über eine große Zahl dieser Ionenkanäle. Ihre Aktivität wird durch viele unspezifische Modulatoren verändert – darunter die weiträumig im Gehirn verteilten Transmitter Azetylcholin oder Dopamin – die sich zudem noch gegenseitig beeinflussen. Je nachdem, wie und an welche Rezeptorproteine der unterschiedlichen Neuronennetzwerke ein Anästhetikum bindet, wirkt dies auf die Feuerrate der Nervenzellen. Mit dem genaueren Verständnis der biochemischen Prozesse bei einer Narkose sind Mediziner in der Lage, eine Bewusstlosigkeit gezielt und sicher herbeizuführen.

Abdruck honorarfrei bei Quellenangabe: Gehirn&Geist, Mai
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