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Wattenmeer: "Langeweile kommt hier nicht auf"

Wo sich Brandgans und Seehund gute Nacht sagen, wacht die Geografin Judith Kronberg über das Wohlergehen der Natur. spektrumdirekt sprach mit der Vogelwartin über ihren Sommer auf der Nordseeinsel Trischen im Nationalpark Wattenmeer.
Sonnenaufgang vor Trischen
Frau Kronberg, wie kommt man als gebürtige Nordrhein-Westfälin, die in Erlangen Geografie studiert hat, dazu, auf einer Nordseeinsel isoliert als Vogelwartin zu arbeiten?

Judith Kronberg: Während meines Studiums absolvierte ich ein Praktikum auf der Hallig Langeneß, und seitdem bin ich dem Wattenmeer verfallen. Es folgte die Diplomarbeit auf der Hamburger Hallig, und nach dem Studium zog es mich auch sofort wieder an die Küste auf die Nordseeinsel Mellum. Dort lernte ich das Leben auf einer einsamen Vogelinsel kennen und lieben. Da ich auf jeden Fall im Bereich Naturschutz arbeiten wollte und gerne in der freien Natur bin, kam die Stelle auf der Vogelinsel Trischen wie gerufen.


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Was macht Trischen so wichtig?

In Deutschland existieren nur wenige Gebiete wie diese Insel, die völlig der Natur überlassen sind. Trischen befindet sich im weltweit einzigartigen Ökosystem Wattenmeer und gehört seit 1985 zum Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Mit dem Grundsatz "Natur Natur sein lassen" sind Nationalparks wie dieser die letzten Rückzugsräume hier zu Lande, in denen natürliche Prozesse ohne Einflussnahme des Menschen ablaufen können.

Vogelwartin vor ihrer Unterkunft | Judith Kronberg stammt ursprünglich aus Wuppertal und studierte in Erlangen Geografie. Für den NABU betreut sie sieben Monate lang die Vogelinsel Trischen im Wattenmeer.
Trischen genießt sogar noch längeren Schutz: Bereits 1909 wurde die Insel zur Seevogelfreistätte erklärt, seit 1929 wird sie vom Deutschen Bund für Vogelschutz, dem heutigen NABU, betreut. Nicht nur seltene Vogelarten finden hier einen ungestörten Platz zum Brüten oder Rasten, auch die Salzwiesenpflanzen können sich hier frei entwickeln. Durch die Eindeichungen am Festland und auf den Inseln sind sie teilweise selten geworden.

Welche schützenswerten Arten tummeln sich auf dem Eiland?

Wir haben verschiedene Arten mit unterschiedlichen Gefährdungsgraden wie Rotschenkel, Sandregenpfeifer und Wiesenpieper. Unsere größte Besonderheit ist wahrscheinlich das Wanderfalkenpaar, das seit 1999 auf dem Boden brütet. Auch als Rastplatz spielt Trischen eine wichtige Rolle: 2009 pausierten hier allein 7000 Alpenstrandläufer, und 2008 tankten sogar 14 000 Artgenossen ihre Reserven auf. Aktuell läuft mit der Brandgansmauser ein ganz besonderes Spektakel ab: Fast der gesamte europäische Bestand der Art versammelt sich im südlichen Wattenmeer, um die Federn zu wechseln. Über 5000 Tiere konnte ich schon rund um Trischen erfassen. Während der Mauser sind die Brandgänse über drei bis vier Wochen flugunfähig, weshalb Schiffsführer gebeten werden, die Mausergebiete zu meiden oder mit angepasster Geschwindigkeit zu passieren.

Wie sieht denn so der Tagesablauf einer Vogelwartin aus?

Den typischen Tagesablauf gibt es eigentlich nicht; er ist abhängig von der Tide und der Jahreszeit. Zur Vogelzugzeit beispielsweise stehe ich zum Sonnenaufgang auf und erfasse mindestens eine Stunde lang die überfliegenden Vögel. Im Juni und Juli kann ich dagegen ausschlafen bis 7 Uhr – dann werden die ersten Wetteraufzeichnungen des Tages gemacht. Weitere folgen um 12 und 19 Uhr. Der übrige Tag gestaltet sich unterschiedlich. Zur Brutzeit hat die Brutvogelkartierung viel Zeit eingenommen. Außerdem stehen alle zwei Wochen Springtidenzählungen an, bei denen wattenmeerweit alle Vögel gezählt werden.

Löfflerküken | Zu den bemerkenswertesten Vögeln Trischens gehören die Löffler, die hier eine ihrer wenigen Brutkolonien an der Nordsee besitzen. Auch 2010 brüteten sie wieder erfolgreich, wie diese Jungtiere belegen.
Fühlen Sie sich manchmal einsam oder vermissen Sie etwas?

Einsam fühle ich mich überhaupt nicht, keine Sekunde. Vermisst habe ich, als es dann warm wurde, allerdings einen großen Eisbecher – als Abhilfe habe ich dann Zitronensauerrahmeis selbst hergestellt. Langeweile kommt erst recht nicht auf: Es gibt immer etwas zu beobachten. Während der Brutzeit bin ich zum Sonnenaufgang aufgestanden und zum Sonnenuntergang hundemüde ins Bett gefallen. Mitte Juni war ich sogar froh, dass ab jetzt alles etwas ruhiger zuging und ich auch mal ein Buch lesen oder einfach nur aufs Meer schauen konnte. Hausarbeiten dauern ebenfalls länger, denn es gibt kein fließendes Wasser, und das Holz für den Ofen muss erst gesammelt und gesägt werden. So ist immer etwas zu tun.

Letztes Jahr hat es auf der Vogelinsel Mellum gebrannt: Wie sind Sie auf Trischen – und dem Festland – gegen solche Katastrophen gewappnet?

Mellum und Trischen sind zwar beides Vogelinseln im Wattenmeer, aber dennoch sehr unterschiedlich. Trischen ist mit seinen 170 Hektar viel kleiner, und tiefe Priele, die ständig Wasser führen, liegen nahe an der Insel. Durch die halbmondförmige Form von Trischen lässt sich an den schmalen Stellen ein Übergreifen der Flammen auf weitere Areale leichter verhindern. Und auch Anlanden ist theoretisch bei jeder Tide möglich. Trischen gehört zudem zur Gemeinde Friedrichskoog, so dass im Fall eines Brands klar ist, wer anrücken muss. Mellum dagegen ist gemeindefrei, und daher fühlte sich niemand so richtig für das Löschen zuständig.

Morgenstimmung | Der Sonnenaufgang verspricht einen schönen Tag – und viel Arbeit für die Vogelwartin, die Zug- und Brutvögel zählen muss, das Inselklima im Auge behält und interessierte Naturfreunde über das Internet mit Informationen versorgt.
Sturmfluten werden durch Wetter- und Wasserstandsvorhersagen angekündigt, so dass mir genügend Zeit bleibt, alle freien Gegenstände draußen festzubinden oder umzulagern, damit sie nicht wegschwimmen. Meine Hütte steht zudem auf Stelzen, so dass das Wasser schon einige Meter steigen kann, bevor der Vogelwart nasse Füße bekommt.

Gab es schon mal kritische Situationen, seit Sie auf der Insel sind?

Kleinere Landunter gab es schon, und auch der Sturm, der Mitte Juli über Deutschland gezogen ist, fegte über Trischen hinweg. Schaden angerichtet hat er an der Hütte nicht, kritisch waren die Situationen für mich also in keinem Fall. Leider hat ein Hochwasser im Juni die frisch geschlüpften Lachmöwen und die Brutplätze der Seeschwalben überspült. Die Kolonien leerten sich fast von einem auf den anderen Tag, weshalb ich bei diesen Arten schon keinen Bruterfolg mehr erwartet hatte. Doch Mitte Juli belehrten mich die Vögel eines Besseren: 47 flügge Lachmöwen und sogar vier flügge Brandseeschwalben waren zu beobachten. Letzteres ist ein besonders schöner Erfolg, denn die Art musste nach der Jahrtausendwende eine eklatanten Bestandseinbruch hinnehmen.

Eine Insel im Wattenmeer dürfte ein recht dynamischer Lebensraum sein: Wie schnell gehen Veränderungen vor sich, und was passiert dabei so rund um Trischen?

Seehund | Auf Trischen leben nicht nur Vögel, sondern auch Seehunde. Etwa 500 der Meeressäuger haben hier ihren Schlaf- und Wurfplatz.
Die Dünenkette wandelt sich durch die Sandumlagerung ständig, aber in so geringem Maß, dass es selbst mir vor Ort kaum auffällt. Nach einem Landunter oder einem Sturm kann dagegen plötzlich alles völlig anders aussehen – wie in diesem Sommer, als sich die Südspitze durch Sturmflut stark umformte.

Trischen selbst ist auch dynamisch, denn die Insel wandert jedes Jahr etwa 30 Meter nach Osten: Der im Westen abgetragene Sand lagert sich im Osten wieder an. Auch die Marner Plate – der Wattrücken, der sich im Osten anschließt – ist einem ständigen Wandel unterworfen. In den letzten Jahren verschmälerte er sich immer weiter, und es ist möglich, dass er irgendwann durchbricht. Wie sich dann die Insel weiter entwickelt, bleibt spannend!

Was war Ihr bisher schönstes Ereignis auf der Insel?

Es gab so viele gute Erlebnisse, dass ich kein bestes benennen kann. Wenn zum Beispiel an einem windstillen Tag morgens die Sonne aufgeht und die Vögel im Watt nach Nahrung stochern, finde ich das bezaubernd. Sehr berührt hat mich auch der Anblick der wenige Tage alten Löffler in ihren Nestern. Aber gerade die gesamte Saison hier zu sein und den Jahresverlauf mitzubekommen, macht die Zeit auf Trischen so besonders – das macht den Aufenthalt so überwältigend.

Brandgans | Zurzeit mausern rund um Trischen etwa 5000 Brandgänse – eine Phase in ihrem Leben, in der sie sehr empfindlich auf Störungen reagieren. Kapitäne werden dann gebeten, die Insel weiträumig zu umfahren.
Was werden Sie nach den sieben Monaten auf Trischen machen?

Wenn ich Mitte Oktober von der Insel zurückkehre, muss ich erst noch einen Betreuungsbericht schreiben. Außerdem läuft mein Vertrag noch bis zum Winter. So bleibt mir an Land genügend Zeit, mich zu orientieren und zu bewerben.

Frau Kronberg, vielen Dank für das Gespräch und noch eine gute Zeit.

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