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Weltraummüll: "Noch ist die Situation nicht dramatisch"

Phobos-Grunt ist der derzeit wohl prominenteste Schrott im All. Doch mit ihm umrunden unzählige Trümmer aller Größenordnungen die Erde - und in manchen Höhen wird es inzwischen eng, das Risiko für Kollisionen steigt. Carsten Wiedemann vom Institut für Luft- und Raumfahrtsysteme der Technischen Universität Braunschweig erklärt die Gefahren durch Weltraummüll, und wie man das Problem vielleicht in den Griff bekommen könnte.
Jede Menge Schrott umkreist die Erde

Herr Dr. Wiedemann, unter "Weltraummüll" verstehen die meisten Menschen ausgebrannte Raketenstufen, Satellitenverkleidungen, aber auch verlorene Schraubenzieher. Ist das alles?

Carsten Wiedemann: Nein, denn in den letzten Jahren hat man weitere Beiträge zum Weltraummüll entdeckt, die nicht eindeutig als "Müll" zu bezeichnen sind. Das sind zum Beispiel Schlackepartikel aus Feststoffraketen. Diese Schlackepartikel, die bei den Motorzündungen austreten, können etwa eine Größe von bis zu sechs Zentimeter erreichen und sind auf allen Erdumlaufbahnen anzutreffen. Weiterhin gibt es Auswurfpartikel durch Einschläge von Kleinkörpern oder –teilchen – Mikrometeoriten oder Weltraummüll – auf andere Raumfahrzeuge, dann Farbpartikel, beispielsweise von Raketenoberstufen, oder kleinste Stücke von Mehrschichtisolationen und nicht zuletzt Flüssigmetalltropfen aus sowjetischen Kernreaktoren. All das fliegt mit hoher Geschwindigkeit um die Erde und schafft das Risiko von Kollisionen. So würde im Weltraum der Einschlag eines ein bis zwei Zentimeter großen Objektes bei einer Geschwindigkeit von 10 bis 12 Kilometer pro Sekunde etwa eine kinetische Energie freisetzen, die der Sprengkraft einer Handgranate entspricht.

In welcher Orbitalhöhe sind nach heutigen Erkenntnissen die Kollisionswahrscheinlichkeiten mit Weltraumtrümmern am größten?

Die risikoreichsten Umlaufbahnen liegen heute in 800 Kilometer Höhe. Wir haben zwar auch eine Anhäufung auf der geostationären Bahn in 36 000 Kilometer Höhe, allerdings ist dort das Problem etwas anders gelagert: Hier gibt es nicht ein so hohes Risiko von Einschlägen auf Satelliten, weil die Trümmerdichte viel zu gering ist. Das gilt auch für die GPS-Satellitenbahn in 20 000 Kilometer Höhe. Bei der geostationären Bahn geht es andererseits aber darum, dass ein Satellit einen ganz bestimmten Slot besetzt, den man nach dem Ende des Lebens dieses Satelliten gern wieder mit einem neuen bestücken möchte. Deshalb muss man den alten Satelliten aus seiner Position herausbekommen.

Müll im All | 95 Prozent der hier dargestellten Objekte sind Weltraumschrott in Form funktionsunfähiger Satelliten.

Wenn man Weltraummüll beseitigen möchte, muss man die Zahl der Teile kennen – von welchen Größenordnungen sprechen wir denn?

Bei den besonders großen Objekten auf Erdumlaufbahnen kennt man die Mengen recht gut. Nach unseren neuesten Ergebnissen – wir führen ja in unserem Institut entsprechende Rechnungen und Simulationen durch – gibt es heute auf allen Erdumlaufbahnen etwa 29 000 Objekte, die größer sind als zehn Zentimeter. Wir haben etwa 700 000, die größer sind als 1 Zentimeter, 200 Millionen, die größer sind als 1k Millimeter; und im Zehntelmillimeterbereich geht die Anzahl der Objekte in die Billionen!

Müllbeseitigung im Weltraum ist schwierig: Man kann nicht so einfach hinfliegen und einsammeln. Wie kann man dagegen vorgehen?

Man kann nur bestimmte Vermeidungsmaßnahmen treffen. Eine besteht in der Unterdrückung von Explosionen im Weltraum. Mal abgesehen von dem chinesischen Antisatelliten-Test vor einigen Jahren, verzichtet man heute weitestgehend auf die absichtliche Zerstörung von Raumfahrzeugen.

Unbeabsichtigte Explosionen werden sehr häufig durch Resttreibstoffe hervorgerufen, die meistens durch Antriebssysteme von Raumfahrzeugen bedingt sind. Hier könnte man am Ende des Lebens eines Satelliten oder einer Raketenoberstufe den Resttreibstoff einfach in den Weltraum entlassen, wodurch dieses Raumfahrzeug passiviert wäre und nicht mehr versehentlich explodieren kann.

Eine weitere wichtige Vermeidungsmaßnahme, die man in Zukunft unbedingt bei den Satelliten auf jenen Umlaufbahnen einsetzen sollte, die sich in 800 Kilometer Höhe befinden, ist das gezielte De-Orbiting: Man hebt dafür einen gewissen Anteil an Resttreibstoff auf, um den Satelliten am Ende seines Lebens mit einem gezielten Bremsschubimpuls über den Pazifik zum Absturz zu bringen und ihn dort verglühen zu lassen.

Nochmal gut gegangen | Manchmal landet der Müll auch wieder auf der Erde, wie dieser 250 Kilogramm schwere Treibstofftank einer zweiten Brennstufe von einer Delta-Trägerrakete: Er ging am 22. Januar 1997 nahe Georgetown in Texas nieder.

Wie sieht es im geostationären Orbit aus, wo man Satelliten postiert, damit sie dort ständig verbleiben: Müssen wir dort schon aufräumen?

Ja, denn der Platz ist begrenzt, und wir werden ihn auch in Zukunft benötigen. Deshalb geht man auf der geostationären Bahn immer mehr dazu über, die ausgedienten Satelliten auf eine etwa 300 Kilometer höhere Umlaufbahn zu bringen, um sie dort für immer abzustellen. Populär bezeichnet man diese Bahn als „Friedhofsbahn“. Wir sprechen lieber von Disposalbahn. Satelliten könnten mit dem Resttreibstoff ein solches Manöver selbstständig durchführen. Das verbraucht ungefähr so viel Treibstoff, wie der Satellit benötigen würde, um drei Monate dort oben noch seine Position zu halten. Ihn sollte man also für ein solches Manöver aufsparen, was durchaus akzeptabel ist. Wenn aber ein Satellit wegen eines technischen Defekts ein solches Manöver nicht durchführen kann, kann es durchaus sinnvoll sein, sich Gedanken darüber zu machen, ob man mit einer Art Bergungssatellit diese alten ausgedienten Raumfahrzeuge anfliegt, um sie dann gezielt auf diese erhöhte Umlaufbahn zu transferieren.

Wird sich die Müllproduktion im Laufe der nächsten Zeit weiter erhöhen, denn es drängen ja immer mehr neue Nationen ins All?

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben die Raumfahrtaktivitäten deutlich abgenommen. Es gibt heute erheblich weniger Raketen- und Satellitenstarts, als das noch in den 1980er Jahren der Fall war. Ferner sind sich die Raumfahrt betreibenden Großmächte, also die USA und Russland, darüber im Klaren, dass man von absichtlichen Weltraummüll-Erzeugungsereignissen, wie zum Beispiel Killersatellitentests oder ähnlichen Dingen, heute Abstand nehmen sollte.

Deshalb ist hier zu beobachten, dass die Raumfahrtagenturen dieser Länder sich erhebliche Gedanken über die Vermeidung von Weltraummüll und das aktive Debris-Removal machen – also das aktive Beseitigen größerer Objekte auf der Erdumlaufbahn.

Problematisch sind in der Tat Newcomer wie zum Beispiel China...

Und zwar einfach deshalb, weil solche Länder sich noch nicht so viele Gedanken über die Trümmerverteilung machen; denn sie haben wenige Satelliten, weshalb die Wahrscheinlichkeit, dass einer ihrer Satelliten vom Weltraummüll getroffen und zerstört wird, auch sehr gering ist

Das beste Beispiel für eine daraus resultierende Fehleinschätzung des Risikos war der chinesische Antisatellitentest im Januar 2007. Damals hat China einen eigenen Wettersatelliten in einer Bahnhöhe von ungefähr 850 Kilometer Höhe abgeschossen. Dabei hat sich die Trümmerzahl im größeren Millimeterbereich etwa um den Faktor 1,5 erhöht – d. h. um fünfzig Prozent, und das ausgerechnet in den Bahnen, wo die Trümmerzahl ohnehin schon sehr hoch war.

Überreste nach dem Antisatellitentest 2007 | Im Januar 2007 zerstörte China gezielt einen Satelliten in seiner Umlaufbahn. Damit erhöhte sich allerdings die Trümmerzahl im größeren Millimeterbereich etwa um die Hälfte – hier dargestellt die damals bekannten Umlaufbahnen. Die weiße Linie zeigt den Orbit der Internationalen Raumstation ISS.

Könnte man nicht Weltraum-Müllsammel-Unternehmen oder Schrotthändler auch für die Raumfahrt gründen?

Das macht kommerziell meiner Meinung nach wenig Sinn. Zwar sind Satelliten sehr teuer, wenn man sie einmal gestartet hat, und repräsentieren einen unheimlichen Wert von vielen hundert Millionen Euro. Doch ist der Materialwert eines Raumfahrzeugs vernachlässigbar gering. Das was in der Raumfahrt kostet, ist die Qualitätssicherung. Sie soll ja garantieren, dass fernab jeglicher Zugriffsmöglichkeit dieses Gerät technisch einwandfrei funktioniert. Aber wenn der Satellit erstmal im All ist, dort betrieben wurde und nach sieben oder fünfzehn Jahren das Ende seines Lebens erreicht hat, ist er wertlos.

Man denkt zwar häufig, dass da unglaubliche Werte im All herumfliegen und hat dabei das Ausschlachten unserer ausrangierten Autos, Computer oder Handys oder die Kupferdiebstähle bei Installationsfirmen zwecks Verkauf nach China im Hinterkopf.

Aber sobald der Satellit aus irgendeinem Grund funktionsunfähig wird, ist sein Materialwert nur noch äußerst gering. Es wären nur Metalle wie Stahl oder Aluminium und ein paar Kunststoffe interessant; und sie zu recyclen, macht überhaupt keinen Sinn. Man müsste, wenn man es wollte, sehr teure Raumfahrtmissionen starten, die Hunderte von Millionen kosten würden, nur um ein bisschen Alt-Aluminium einzusammeln, was in keinem Verhältnis zum Gewinn steht.

Sind Sie, was den Weltraummüll in Zukunft angeht, optimistisch, dass wir dieses Problem in den Griff bekommen oder müssen wir es sogar?

Eines müssen wir ganz deutlich sagen: Noch ist die Situation im Weltraum nicht dramatisch. Der Weltraum ist heute in einem Zustand, der für uns durchaus akzeptabel ist. Die risikoreichsten Umlaufbahnen, die wir heute kennen, liegen in 800 Kilometer Höhe. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein durchschnittlicher Satellit mit einer durchschnittlichen Größe und einer durchschnittlichen Lebensdauer im Laufe seines Lebens von einem ein Zentimeter großen Objekt getroffen wird und infolge dessen seine Funktion einstellt, liegt heute in einer Größenordnung von vielleicht etwa drei Prozent. Auf allen anderen Umlaufbahnen ist das Kollisionsrisiko deutlich geringer.

Das Problem besteht darin, dass, wenn wir heute Raumfahrt weiterhin so betreiben, wie wir es in der Vergangenheit getan haben, die Trümmerzahl in Zukunft deutlich ansteigen wird. Und in einigen Jahrzehnten oder Jahrhunderten können wir dann nichts mehr dagegen unternehmen, weil das Kollisionsrisiko zu hoch geworden ist.

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