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Werkstoffe: Sind Nanoröhrchen das neue Asbest?

Nanotubes könnten wie Asbestfasern Entzündungen und Krebs auslösen - wenn die Länge stimmt. Mit diesem Wissen ließen sich aber vielleicht auch risikoärmere Fasern produzieren.
Nanopartikel können über die Lunge in den Körper gelangen

Kohlenstoffnanoröhrchen sind das Werkmaterial der Hightech-Welt. Weil die lang gestreckten Moleküle etwa 30-mal zugfester sind als Stahl, mischt man sie Kunststoffen als Stärkung bei: Sie sollen Tennisschläger, Surfbretter oder Fahrradrahmen stabiler machen; und der Flugzeughersteller Lockheed verbaut sie deshalb sogar in seinem Kampfjet F-35. Die gerne auch mit ihrem englischen Ausdruck bezeichneten Nanotubes werden also langsam zu einem immer größeren Wirtschaftsfaktor, und allein das Chemieunternehmen Bayer stellt in seinem Leverkusener Werk jährlich rund 200 Tonnen des Nanomaterials her.

In die Euphorie mischt sich jedoch ein Wermutstropfen: Forschungsdaten nähren langsam den Verdacht, dass die Kohlenstoffnanoröhrchen mit Asbestfasern nicht nur die lang gestreckte Form, sondern auch die Gesundheitsgefahren teilen. Sollten sich diese im Tierversuch ermittelten Ergebnisse bestätigen, wäre das ein empfindlicher Rückschlag für das Wundermaterial – auch wenn bislang nur besonders lange Röhrchen diese Besorgnis erregende Ähnlichkeit zeigten. Die Sorge um die Asbestähnlichkeit erstreckt sich allerdings auch noch auf weitere faserförmige Nanomaterialien wie etwa ultradünne Drähtchen aus Metall, die in künftigen, extrem miniaturisierten Computerchips eingesetzt werden sollen. Sobald Nanomaterialien in Durchmesser – weniger als 200 Nanometer –, Länge und Verweildauer im Körper Asbestfasern ähnelten, sei auch mit einem ähnlichen krankmachenden Potenzial wie bei Asbest zu rechnen, schlussfolgerte ein britisches Forscherkonsortium schon 2009 [1].

Die kritische Länge

Unbekannt blieb bis vor Kurzem, ab welcher Faserlänge die Nanotubes überhaupt ihr schädliches Potenzial entfalten können – und bis zu welcher Länge dann sichere Kohlenstoffröhrchen produziert werden dürfen. Nun denken Anja Schinwald von der University of Edinburgh und ihre Kollegen jedoch, dass sie das Maß für gefahrlose faserförmige Nanoröhrchen und -drähte gefunden haben könnten [2]: Die Wissenschaftler spritzten erstmals Nanodrähte aus Silber und Nickel, Kohlenstoffnanoröhrchen und Asbestfasern mit unterschiedlichen Längen direkt in das Lungenfell von Versuchsmäusen und lösten damit Entzündungsreaktionen aus, die denen von Asbest nicht unähnlich sind. Krankhafte Veränderungen traten jedoch nur auf, wenn die Fasern länger als fünf Mikrometer (tausendstel Millimeter) waren. Diese Erkenntnis ermögliche ein sicheres Design der Nanomaterialien, sprich eine technische Begrenzung der Länge auf weniger als diese fünf Mikrometer, so die Forscher.

Doch Uwe Vohrer vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik in Stuttgart dämpft diesen Optimismus zumindest für die gängigsten Nanomaterialien, die Kohlenstoff-Nanotubes: Sie ließen sich nicht mit einer so genau definierten Länge herstellen. "Wenn Sie kurze Kohlenstoffnanoröhrchen herstellen, werden immer auch deutlich längere dabei sein", sagt Vohrer.

Die Lunge als Einfallstor | Nanopartikel können über die Lunge in den Körper gelangen. Wie gefährlich ihre Auswirkungen auf den Organismus sind, ist allerdings noch offen.

Wie schwierig zudem die Risikobewertung ist, zeigt die Geschichte von Asbest, das noch lange Zeit nach der Exposition Schäden anrichten kann: Beim Einatmen gelangen Asbestfasern wegen ihres extrem geringen Durchmessers bis direkt in die winzigen Lungenbläschen, wo sie dann Fresszellen des Immunsystems, die Makrophagen, auf den Plan rufen. Sie sollen die Fasern in sich aufnehmen und zurück in die Bronchien verfrachten, wo sie feine Flimmerhärchen weitertransportieren, bis sie per Husten oder Schleimauswurf wieder ausgeschieden werden. Bestimmte Asbestarten können die Makrophagen mit Hilfe von Enzymen sogar selbst auflösen.

Überforderte Fresszellen

Wenn aber die Fasern in ihren Dimensionen die Makrophagen übertreffen und zudem noch biobeständig sind, sich also nicht auflösen lassen, verbleiben sie im Körper und gelangen bis ins Bauch- oder Lungenfell, das aus zwei Schichten besteht: Die innere umschließt die Lunge, die äußere stellt die Verbindung mit dem Brustkorb her. Der flüssigkeitsgefüllte Raum dazwischen gibt der Lunge Bewegungsspielraum. Auch dort versuchen Makrophagen, die Fremdstoffe zu verschlucken. Da es ihnen aber nicht gelingt, senden sie Alarmsignale aus, die andere Makrophagen herbeirufen, die ebenso scheitern. Die Folge ist eine chronische Entzündungsreaktion, die bei ausreichend langer Wirkung bis zu einem bösartigen Tumor, dem Mesotheliom führen. Das ist ein sehr langwieriger Prozess, wie Volker Neumann vom Deutschen Mesotheliomregister in Bochum zu berichten weiß. "Noch 50 bis 60 Jahre nachdem Menschen Asbest ausgesetzt waren, bekommen manche von ihnen davon Krebs", sagt Neumann. In Deutschland gibt es demnach immer noch rund 1300 Neuerkrankungen jährlich, obwohl Asbest bereits seit Langem verboten ist.

Kohlenstoffnanoröhrchen soll dagegen die Zukunft gehören. Doch auch sie gelangen durch Einatmen in das Lungenfell von Versuchstieren, einige von ihnen bleiben dort für mindestens 14 Wochen [3]. Dort erzeugten die Nanotubes so genannte Fibrosen, also krankhafte Veränderungen von Bindegewebe, wie es auch Asbest tut. Zuvor hatten zudem Versuche an Mäusen gezeigt, dass zumindest direkt in die Bauchhöhle injizierte Kohlenstoffnanoröhrchen dort gleichermaßen Entzündungen hervorrufen.

"Wenn Sie kurze Kohlenstoffnanoröhrchen herstellen, werden immer auch deutlich längere dabei sein"
Uwe Vohrer

Vor allem diese Versuche begründeten die Sorge um das Risiko des neuen Werkstoffs, und das Team um Anja Schinwald vertiefte diese Sorgenfalten nun mit ihren Tests noch etwas. Sie betonen jedoch, dass vor allem die Länge und Form kritisch sei, nicht das Material an sich: Als Kontrolle hatten sie ihren Versuchsmäusen auch hohe Konzentrationen an Nanopartikel aus Silber, Nickel und Kohlenstoff in das Brustfell injiziert, ohne dass sie krankhafte Veränderungen des Gewebes erlitten. Die Länge der Fasern verhindere, dass sie durch kleine Öffnungen den Zwischenraum zwischen den Wänden des Bauchfells verlassen. Durch diese so genannten Stomata werden Fremdstoffe normalerweise abtransportiert. Da diese Öffnungen bei Menschen genauso klein ausfielen wie bei den Mäusezellen, gebe ihren Ergebnissen zusätzliche Relevanz, ergänzt Schinwald.

Alles halb so wild?

Doch selbst eine lange Faser muss noch nicht gefährlich sein: Die Verweildauer im Brustfell ist ein weiterer entscheidender Faktor für ihre gesundheitliche Wirkung. Diese kann für unterschiedliche Materialien unterschiedlich groß sein; Asbestfasern zum Beispiel bleiben Jahrzehnte im Körper, die Silbernanodrähtchen aus dem Versuch der Edinburgher Forscher hingegen lösten sich schnell auf. Auch die Flexibilität der Fasern spiele eine Rolle, führt Peter Wick von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt in St. Gallen an. "Biegsame Nanofasern neigen dazu, sich zu verknäueln und können in diesem Zustand von Makrophagen aufgenommen und abtransportiert werden. Auch dann, wenn sie deutlich länger als fünf Mikrometer sind", sagt Wick.

Es kommt also sehr auf die Art des faserförmigen Nanomaterials an, ob es eine asbestähnliche Wirkung entfalten kann oder nicht. Und selbst wenn alle Kriterien für eine potenzielles Gesundheitsrisiko vorliegen, müssen Nanoröhrchen oder Nanodrähte noch keine tatsächliche Gefahr für Verbraucher darstellen, denn dafür müssten sie in der Luft schweben und eingeatmet werden. Doch bei den gängigen Produkten auf dem Markt sind die Nanotubes fest in das Material eingebunden. Ob sie am Ende des Lebenszyklus dieser Produkte in die Luft gelangen, wird derzeit erforscht. "Wir haben die Verbrennung von Kohlenstoffnanoröhrchen, die in Kunststoffe eingebunden sind, in Müllverbrennungsanlagen simuliert", erläutert Burkhard Stahlmecke vom Institut für Energie- und Umwelttechnik in Duisburg. Sobald die Verbrennungstemperatur 800 Grad Celsius überschreite, seien in der Abluft keine Nanoröhrchen mehr nachweisbar, so Stahlmecke. Bei der Verfeuerung ist eine Mindestverbrennungstemperatur von 850 Grad Celsius vorgeschrieben – zumindest hier scheint also keine weitere Gefahr zu drohen.

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