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Werkzeuggebrauch: Du gehörst zu mir

Ob Hammer oder Harke – wenn wir mit Werkzeugen arbeiten, nimmt unser Gehirn sie wie verlängerte Gliedmaßen wahr, als wären sie ein Teil des Körpers. Mit ­komplizierten Geräten tut sich das Denkorgan jedoch schwer, wie Wissenschaftler am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung in Dortmund herausfanden.
Hammer in der Hand

Die 14-jährige Dorothee möchte ein Poster ihrer Lieblingsband aufhängen. Sie nimmt eine Reißzwecke und versucht, diese durchs ­Papier hindurch in die Wand zu drücken. Doch der Putz ist hart, die Reißzwecke verbiegt und fällt hinters Bett, während sich das Mädchen den schmerzenden Daumen reibt. Ich brauche einen Hammer, denkt sie, und wird in der Werkzeugkiste fündig. Mit entschlossenen Schlägen nagelt sie das Poster, nach einigen unangenehmen Treffern auf Daumen und Zeigefinger, schließlich fest.

Diese kleine Szene aus dem Alltag zeigt: Könnten wir nur unseren Körper einsetzen, um auf die Umwelt einzuwirken, würden wir an vielen Aufgaben scheitern. Zum Glück haben der Mensch sowie auch einige Tierarten im Lauf der Evolution gelernt, Gegenstände zu manipulieren und als Werkzeuge zu benutzen. Da diese "verlängerten Gliedmaßen" andere physikalische Eigenschaften haben als Körperteile, können wir unser Handlungsspektrum damit beträchtlich erweitern. Im Eingangsbeispiel ist der Finger zu weich und der Arm zu schwach, um die Reißzwecke in den Putz zu drücken. Der harte Hammerkopf hingegen, über einen langen Schaft kraftvoll geschwungen, löst das Problem.

Ein wesentliches Merkmal von Werkzeugen ist also, dass sie unsere körperlichen Beschränkungen ein Stück weit aufheben. Die Axt verleiht unseren Schlägen Wucht, so dass wir Holzscheite spalten können. Der Hebelkorkenzieher verstärkt unsere Kraft, so dass wir mühelos eine Weinflasche öffnen können. Die Pinzette ist viel feiner als unsere Finger, so dass wir mit ihr zum Beispiel einen Holzsplitter greifen und entfernen können.

Aus Gehirn&Geist 7-8/2012
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Obwohl uns das im Alltag nicht immer bewusst ist, zählt die Fähigkeit zu scheinbar mühelosem Werkzeuggebrauch zu den faszinierendsten Leistungen unseres motorischen Systems. Woher wissen wir so genau, auf welche Weise wir unseren Arm schwingen müssen, damit der Hammerkopf den Nagel trifft? Ein Teil davon geht sicherlich auf vorherige Lernerfahrungen zurück. Wir haben auf Grund von eigenem Tun oder durch das Beobachten anderer eine gewisse Expertise darin erlangt, welches Problem mit welchem Gerät gelöst werden kann. Zudem haben wir die erforderlichen Bewegungsabläufe oft als allgemeine Routinen gespeichert. Dieses Wissen können wir, wenn wir ein Werkzeug benutzen, aus unserem Langzeitgedächtnis abrufen und müssen so nicht immer "das Rad neu erfinden".

Zweiteiliger Sinn fürs Praktische

Studien an Patienten mit Hirnschädigungen ­haben ergeben, dass das konzeptuelle Wissen über die Funktion eines Werkzeugs und das prozedurale Wissen über die Handbewegungen, die sich mit seinem Gebrauch verbinden, getrennt gespeichert werden – und somit auch unabhängig voneinander ausfallen können. So gibt es Patienten, denen es schwerfällt, für eine bestimmte Aufgabe das geeignete Werkzeug zu finden, und beispielsweise versuchen, sich die Zähne mit einem Kamm zu putzen. Andere Patienten haben hiermit keine Probleme, wissen aber nach der Auswahl des richtigen Geräts nicht, wie sie mit ihm hantieren sollen. Dieses Defizit zeigt sich besonders deutlich, wenn die Betroffenen gebeten werden, die zu einem bestimmten Werkzeug passenden Arm- und Handbewegungen vorzuführen.

Das allgemeine Wissen über den Gebrauch von Werkzeugen, über das wir auf Grund von Lernerfahrungen verfügen, muss immer wieder angepasst werden – etwa, wenn wir mit einem ungewohnt schweren Hammer arbeiten oder einen Nagel einschlagen wollen, den wir nur von einer seitlichen Position aus erreichen. Wie gelingt uns das, und wie kann man sich die motorische Planung beim Benutzen eines Geräts vorstellen?

Unbewusst perfekt

Um das zu beantworten, sollten wir uns vergegenwärtigen, wie Bewegungen ohne Werkzeug ablaufen. Meist richten sie sich direkt auf ein Ziel in der Umgebung, etwa wenn Arm und Finger zu einem Objekt im Raum bewegt werden. Entscheidend ist hierbei, dass wir die sensorischen Informationen über den Ort des Gegenstands den Nervenimpulsen zuordnen, die wir an die Muskeln schicken, um unsere Hand an diesen Ort zu steuern. Normalerweise ist uns nicht bewusst, dass wir diese Zuordnung im Babyalter erst lernen mussten – es erscheint uns quasi als das Natürlichste auf der Welt.

Um die Ecke | Die enorme Anpassungsfähigkeit unseres motorischen Systems zeigt sich auch daran, dass wir Werkzeuge selbst in ungewöhnlicher Körperhaltung ohne Weiteres einsetzen können.

Welche große Lernleistung dahintersteckt, wird jedoch in Experimenten mit Umkehrbrillen deutlich, wie sie schon in den 1950er Jahren von Ivo Kohler an der Universität Innsbruck durchgeführt wurden. Diese Brillen stellen das Abbild der Umgebung auf den Kopf und zeigen, wie schwierig die Koordination der Gliedmaßen wird, wenn die einmal gelernte Beziehung zwischen den Körperbewegungen und dem visuellen Input aus der Umwelt nicht mehr stimmt. Anfangs gelingt es den Brillenträgern nur sehr schwer, Gegenstände zu greifen, aber nach einigen Tagen gewöhnen sie sich an die neue Situation und können wieder mühelos zielgerichtete Bewegungen ausführen.

Ein ganz ähnliches Problem stellt sich, wenn wir ein Werkzeug benutzen möchten. Auch hier ist die "normale" Beziehung zwischen der sensorisch wahrgenommenen Position eines Gegenstands und den Muskelbefehlen, mittels derer wir diese Position ansteuern, aufgehoben – da nicht unsere Hand, sondern das Werkzeug dorthin geführt werden soll. Wir müssen also nicht nur lernen, Muskelbefehle bestimmten Körperbewegungen zuzuordnen, sondern auch, Körper- mit Werkzeugbewegungen in Verbindung zu bringen – und das jeweils spezifisch auf die Art des Geräts abgestimmt.

Ein Beispiel: Wenn wir eine Praline aus der Schachtel nehmen, definiert unser Wahrnehmungssystem sie zunächst als Zielobjekt, legt anschließend fest, wohin wir die Hand führen müssen, um sie zu erreichen, und bestimmt zu guter Letzt die Muskelbefehle, die die Hand zu dieser Position dirigieren. Wie ändert sich nun dieser Ablauf, wenn ein Werkzeug ins Spiel kommt – wenn etwa eine Verkäuferin die Praline mit der Zange greift? Es lassen sich zwei grundlegende Möglichkeiten unterscheiden. Die Zange könnte entweder früh in die Bewegungsplanung einbezogen werden, nämlich schon beim Festlegen des räumlichen Ziels der Bewegung. Angepeilt würde hierbei nicht mehr der Ort der Praline, sondern der des Zangengriffs bei erfolgreich aufgenommener Süßigkeit. Die weitere Bewegungsplanung könnte dann ähnlich ablaufen wie im Fall ohne Werkzeugnutzung.

Die zweite Möglichkeit bestünde darin, dass die Praline als Bewegungsziel gilt, jedoch ihre Koordinaten auf andere Weise den Muskelbefehlen zugeordnet werden, die eine Bewegung dorthin bewirken. Man könnte sich das Werkzeug dann wie ein verlängertes Körperteil vorstellen, das mit entsprechend neu justierten Nervensignalen zu den gewünschten Raum­oordinaten dirigiert wird.

Harkende Makaken

Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass Werkzeuge ins Körperschema integriert werden – unser Gehirn nimmt sie dann so wahr, als wären sie Gliedmaßen. So zeigte ein Team um Atsushi Iriki von der Universität Tokio in Experimenten mit Makaken, dass schon nach fünfminütigem Werkzeuggebrauch ein bestimmter Nervenzelltyp seine Aktivität ändert. Diese so genannten bimodalen Nervenzellen feuern normalerweise, wenn wir Berührungen an der Hand spüren oder visuelle Reize in unmittelbarer Nähe der Hand wahrnehmen. Iriki und seine Kollegen trainierten die Affen darauf, Futter mit einer Harke zu sich heranzuziehen. Sobald die Tiere das eine Zeit lang gemacht hatten, reagierten ihre bimodalen Nervenzellen auf visuelle Reize, die nahe der Harke erschienen. Offenbar wurde das Gerät vom Gehirn als verlängerte Hand interpretiert.

Erweiterter Aktionsradius | Bestimmte Nervenzellen im Scheitellappen des Gehirns reagieren auf visuelle Reize in der Nähe der Hand (a und d). Versuche mit Makaken belegten, dass diese Zellen bei aktivem Werkzeuggebrauch auch auf Reize nahe dem Werkzeug ansprechen (b und e). Berühren die Tiere das Gerät nur, ohne es zu benutzen, bleibt der Effekt aus.

Ähnliche Beobachtungen sind auch an Menschen gemacht worden. Shinya Yamamoto und Shigeru Kitazawa von der Universität Tsukuba (Japan) brachten kleine Kontakte an den Händen ihrer Versuchspersonen an, die in kurzem Abstand nacheinander vibrierten. Die Probanden mussten schätzen, an welcher Hand das Zittern zuerst zu spüren gewesen war. Streckten die Probanden ihre Hände parallel nach vorn, konnten sie die Aufgabe gut bewältigen. Kreuzten sie die Arme jedoch, dann schätzten sie die zeitliche Abfolge der Vibrationen häufiger falsch ein.

Ein ähnlicher Effekt zeigte sich, wenn die Teilnehmer zwei gekreuzte Stöcke in den parallel ausgestreckten Händen hielten: Auch hier fiel es ihnen schwer, anzugeben, in welcher Reihenfolge die Stöcke erzitterten. Offenbar interpretierte das Gehirn die Stöcke als verlängerte Gliedmaßen, weshalb deren Überkreuzen zu ähnlichen Versuchsergebnissen führte wie das der Arme selbst.

Verquere Apparatur

Werkzeuge haben also neuronal gesehen oft den gleichen Status wie Körperteile. Aber behandelt unser Gehirn sie auch entsprechend beim Planen und Ausführen von Bewegungen? Wir sind dieser Frage in mehreren Studien nachgegangen. Unter anderem untersuchten wir, ob die Koordination der Hände ähnlich verläuft wie die von Werkzeugen, die in den Händen gehalten werden. Aus früheren Studien wussten wir, dass es Menschen relativ wenig Probleme bereitet, mit jeder Hand eine eigenständige ­Bewegung auszuführen – etwa mit links nach vorn und gleichzeitig mit rechts nach hinten zu greifen –, wenn die Ziele für beide Hände direkt angezeigt werden.

In einem Experiment baten wir die Teilnehmer, zwei Hebel gleichzeitig zu bestimmten Markierungen zu bewegen. Beide Hebel waren in der Mitte drehbar gelagert, ähnlich wie die Riemen eines Ruderboots. Die Teilnehmer mussten die Enden jedes Hebels an eine bestimmte Stelle bringen, wobei sich der Arm jeweils gegenläufig zum Hebelende bewegte. Die vorgegebenen Zielmarken erforderten dabei entweder gleichgerichtete oder ­gegenläufige Bewegungen beider Arme.

Knifflige Aufgabe | In einem Laborversuch unteruschte die Autorin, wie unser motorisches System mit komplizierten Werkzeugen zurechtkommt. Dazu ließ sie Probanden zwei Hebel bedienen. Mit jeder Hand war ein anderes Ziel anzusteuern – und das auch noch über verschiedene Drehpunkte.

Die Frage war nun, ob den Probanden die entgegengesetzten Bewegungen beider Arme ähnlich leichtfallen würden wie ohne Werkzeug. Das war nicht der Fall: Die Versuchspersonen hatten große Schwierigkeiten damit, die Hebel­enden in gegenläufige Richtungen zu bewegen. Beim Rudern tritt dieser Fall zum Beispiel während des Wendens auf, wenn ein Riemen von hinten nach vorn und der andere von vorn nach hinten gezogen wird. Die Ergebnisse unserer Studie legen nahe, dass komplexe Werkzeuge wie Hebel oder Ruder bei der Bewegungsplanung nicht einfach als verlängerte Körperteile behandelt werden. Sie scheinen vielmehr eine frühe Umrechnung der Zielposition des Werkzeugs in jene der Hand zu erfordern – und das kostet vor allem dann Zeit, wenn die Zielpositionen für beide Hände voneinander abweichen.

Diese Hypothese haben wir in einer anderen Studie noch genauer getestet. Wir gingen davon aus, dass die frühen Stadien der Bewegungsplanung, also die Entscheidung für ein übergeordnetes Handlungsziel und das anschließende Festlegen eines geeigneten Bewegungsziels, dem Bewusstsein grundsätzlich zugänglich sind. Die darauf folgende Übersetzung des Bewegungsziels in entsprechende Muskelbefehle, so unsere Annahme, geschieht hingegen unbewusst. Wenn nun ein Werkzeug bereits auf einer frühen Stufe in die Bewegungsplanung einbezogen würde, etwa beim Festlegen des Ziels, dann sollten die Teilnehmer davon profitieren, wenn sie vorher Informationen über das Werkzeug und seine Handhabung erhalten. Liefe jedoch die frühe Handlungsplanung so ab wie im Fall ohne Werkzeug und würde dieses erst in den folgenden unbewussten Schritten berücksichtigt, dann sollten bewusste Informationen über das Gerät sich nicht hilfreich auswirken.

Wir machten die Probe aufs Exempel und präsentierten einigen Teilnehmern vor dem ­Gebrauch eines Werkzeugs einen Hinweis, der ihnen Auskunft über das Gerät und seine Benutzung gab. Ergebnis: Die so informierten ­Personen gingen anschließend routinierter mit dem Instrument um als uninformierte Probanden. Auch dieser Befund spricht dafür, dass Werkzeuge bereits in einem frühen Stadium der Bewegungsplanung vom Gehirn berücksichtigt werden.

Trotz all dieser Hinweise muss man jedoch bedenken, dass es auch von der Übung abhängen könnte, wie sehr wir ein Gerät ins Körperschema integrieren. Entsprechende Hinweise lieferten bereits eine Reihe von Untersuchungen. So belegte ein Forscherteam um Angelo Maravita vom University College London in einer Studie von 2002, dass sich die Körperwahrnehmung mit häufigem Werkzeuggebrauch ­zunehmend verändert.

Möglicherweise ist viel Training erforderlich, bis unser Gehirn ein komplexes Gerät als erweiterten Körperteil in die Bewegungsplanung einbezieht. Während man sich einen Stock, eine Harke oder einen Hammer leicht als verlängerten Arm vorstellen kann, fällt dies bei einem ­Ruder, das um einen Drehpunkt rotiert, schon schwerer. Weitere Studien sind nötig, um solche Fragen zu klären.

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  • Quellen

Maravita, A., Iriki, A.: Tools for the Body (Schema). In: Trends in Cognitive Sciences 8, S. 79–86, 2004

Massen, C., Sattler, C.: Coordinative Constraints in Bi­manual Tool Use. In: Experimental Brain Research 206, S. 71–79, 2010

Massen, C., Sattler, C.: Bimanual Interference with Compatible and Incompatible Tool Transformations. In: Acta Psychologica 135, S. 201–208, 2010

Pruetz, J. D., Bertolani, P.: Savanna Chimpanzees, Pan troglodytes verus, Hunt with Tools. In: Current Biology 17, S. 412–417, 2007

Krützen, M. et al.: Cultural Transmission of Tool Use in Bottlenose Dolphins. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA 102, S. 8939–8943, 2005

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