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Wissenschaftliches Publizieren: Pseudo-Wissenschaftsmagazine üben Betrug an Autoren

Trickbetrüger fingieren seriöse Publikationsorgane und betrügen Forscher um Veröffentlichungskosten.
Zeitschriftenstapel

Gestatten, Wissenschaftspublizistik: Darf ich Ihnen die Cyberkriminalität vorstellen? Mit der haben in Europa gerade zwei wissenschaftliche Magazine mit hoher Reputation unangenehme Bekanntschaft gemacht: Kriminelle konnten die Identität der betroffenen Journal-Webseiten täuschend echt fingieren, um dann als Online-Doppelgänger Hunderte von Wissenschaftlern übers Ohr zu hauen und Publikationskosten von ihnen einzufordern. Die illegal abgezweigten Beträge landeten in Armenien.

Die Herausgeber der Journals sind der Masche schon vor einiger Zeit auf die Schliche gekommen, können ihr aber bis heute nichts entgegensetzen. Die Pseudo-Webseiten tarnen sich unter dem Decknamen "Archives des Sciences", einem 1791 gegründeten multidisziplinären Magazin, das in der Schweiz von der Gesellschaft für Physik und Naturgeschichte in Genf (Société de Physique et d'Histoire Naturelle de Genève, SPHN) gegründet wurde. Zudem verwenden sie missbräuchlich den Namen der "Wulfenia", einer Botanikerzeitschrift, die im Original vom Landesmuseum Kärnten im österreichischen Klagenfurt herausgegeben wird.

Die Betrüger kopieren dabei die unterschiedlichen Webseiten bis ins kleinste Detail: Sie übernehmen nicht nur die Titel der echten Journals, sondern zudem deren Impact-Faktor, die Postadresse und die internationale Seriennummer – und damit genau jene Kodes, die eine eindeutige Identifizierbarkeit der Journals erlauben. Der Schwindel könnte die Reputation der originalen Publikationsorgane schon beschädigt haben, fürchten die Herausgeber: "Regelmäßig kontaktieren mich Opfer der Betrüger und fragen nach dem Status der eingereichten Manuskripte: Das Geld hätten sie überwiesen, nun haben sie umsonst darauf gewartet, dass die Veröffentlichungen auch erscheinen", erklärt Roland Eberwein, der Chefredakteur der echten "Wulfenia". Er ist zudem Leiter der Botanikabteilung im Landesmuseum Kärnten, das ein Herbarium mit 200 000 Fundstücken beherbergt. "Im Augenblick verschwenden wir nur unsere Zeit im Kampf gegen diese Leute", ergänzt Chefredakteur Robert Degli Agosti von "Archives des Sciences", der als Botaniker und Elektrophysiologe an der Universität Genf arbeitet.

Keines der Original-Journals hat eine übergeordnete eigentliche Webpräsenz, was sie zur leichten Beute für die Betrüger gemacht hat. Immerhin haben die SPHN und das Kärntner Museum als Reaktion auf den Betrug nun Warnhinweise auf ihren Startseiten platziert, und die "Wulfenia" hat zudem begonnen, Archivausgaben rückwirkend zu publizieren.

Die fingierten Webseiten sind derart überzeugend gestaltet, dass sie sogar Thomson Reuters täuschen konnten – den New Yorker Medienkonzern, der den "Citation Index" berechnet und die Impact-Faktoren der Magazine zusammenstellt.

Im Mai des vergangenen Jahres ist das Unternehmen allerdings misstrauisch geworden und bat schriftlich die SPHN zu erläutern, warum ein derartig "großes Missverhältnis" zwischen dem Inhalt der gedruckten Artikel in "Archives des Sciences" – den Thomson Reuters indiziert – und dem der Webseite besteht. Außerdem sei eine Diskrepanz der Publikationsfrequenz aufgefallen: "Wir erhalten und indizieren jährlich zwei Ausgaben jedes Bandes, während auf der Webseite gerade zwölf Ausgaben pro Band gelistet werden, also eine pro Monat", heißt es in dem Schreiben an die Gesellschaft.

Einer der Betrüger hatte sogar Thomson Reuters davon überzeugen können, einen Link auf die gefakte Webseite in die Liste der indizierten Publikationen zu setzen. Den hat das Unternehmen dann rasch entfernt, als der Betrug aufgeflogen ist. Dies wiederum hat dann "eine Lawine von Beschwerden der Vertreter des Fake-Journals ausgelöst, verbunden mit Aufforderungen, den Link umgehend zu reaktivieren", erinnert sich Marie McVeigh, die die inhaltliche Auswahl bei Thomson Reuters verantwortet. Nach ihre Ausführungen gingen im Unternehmen zudem Anfragen von Kunden ein, die "nachgehakt haben, warum die vom falschen Journal akzeptierten Veröffentlichungen nicht bei uns im Index auftauchen". Die Qualität und Integrität des Angebots, ergänzt McVeigh, "haben für uns größte Bedeutung".

Die verschiedenen gefälschten Webseiten des "Archives des Sciences" sind zudem auffällig geworden, weil sie sich mit einem Herausgeber-Panel von insgesamt 87 Mitgliedern geschmückt haben – zum Beispiel mit Daniel Gamelin, einem Chemiker und Materialwissenschaftler von der University of Washington in Seattle, oder mit Gerald Cleaver, einem Hochenergie-Physiker von der Waco University in Texas. Beide zeigten sich perplex – und sind verärgert. "Sowohl von der Liste wie von der Webseite höre ich gerade zum ersten Mal; ich stehe und stand mit dieser Organisation in keinerlei Verbindung", so Gamelin. Clever schließt sich an: Auch sein Name ist ohne Genehmigung aufgeführt worden.

Der "Chefredakteur" des fingierten "Archives des Sciences"-Journals heißt auf den gefälschten Webseiten "Prof. Dr. Eliana Schmid" und ist angeblich in "Genf, Schweiz" angestellt. Die gefakte "Wulfenia"-Seite nennt als Wiener Chefredakteur einen "S. Franz" und listet 35 Mitglieder eines redaktionellen Beirats, von denen aber meist nur Ort und Land der Anstellung genannt werden. Diese namentlich aufgeführten Beiräte sind wohl einfach erfunden, vermuten Eberwein und Degli Agosti.

Forscher zahlen für eingereichte Veröffentlichungen in den gefälschten Journals eine ordentliche Summe: Sowohl die gefälschte "Archives des Sciences" wie auch die Pseudo-"Wulfenia" verlangen von den Autoren mehr als 500 US-Dollar und instruieren sie, den Betrag auf zwei Banken im armenischen Eriwan zu überweisen.

Degli Agosti hat die gefälschte "Archives des Sciences"-Seite mittlerweile bei der Koordinationsstelle für Internetkriminalität der Schweiz angezeigt, dabei aber nur erfahren, dass die Webseiten auf einem Server in den USA gehostet werden: Die Schweiz kann gegen sie deshalb nicht auf direktem Weg vorgehen. Er bekam aber den Rat, die Betrüger auf der Grundlage der eidgenössischen Gesetzgebung gegen Cyberkriminalität anzuklagen. Die Anwälte der Universität Genf unterstützen die SPHN zwar in dem Fall – weil die Gesellschaft aber nicht offiziell zur Universität gehört, muss sie den Rechtsstreit allein ausfechten.

Die Polizei in Österreich kommt im Fall "Wulfenia" indes kaum voran, fasst Eberwein zusammen: Zwar hat sie eine in der Alpenrepublik gehostete Fake-Webseite vom Netz genommen, danach sind aber prompt mehrere Kopien dieser Seite auf Servern in verschiedenen Ländern online gestellt worden. Die österreichischen Behörden haben Eberwein zu verstehen gegeben, dass sie kaum eine rechtliche Handhabe haben. Er möchte das noch nicht wahrhaben und tauscht sich mit "Archives des Sciences" über ein weiteres Vorgehen aus.


Der Artikel ist unter dem Orginaltitel "Sham journals scam authors" in "Nature" erschienen.

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