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Zoologie: Jungfräulich gezeugte Herrscherinnen

Im Ameisenstaat hat allein die Regentin das Monopol der Fortpflanzung inne: Legt sie unbefruchtete Eier, entwickeln sich Männchen, während aus befruchteten die Arbeiterinnen schlüpfen. Um ihresgleichen hervorzubringen, beschreitet sie aber offenbar einen Sonderweg.
<i>Cataglyphis cursor</i>
Auf ihrem Hochzeitsflug sammelt die jungfräuliche Ameisenkönigin Spermien von einem oder mehreren Männchen und bewahrt diese in einer kleinen Drüse auf, die sich in den Eileiter öffnet. Fortan übt sie eine perfekte Kontrolle über das Geschlecht ihrer Nachkommen aus: Um Töchter zu zeugen, zapft sie ihr Samendepot an und legt befruchtete diploide Eier. Ob aus diesen sterile Arbeiterinnen oder fruchtbare Königinnen entstehen, hängt allein von der Ernährung der jungen Larven ab. Für Söhne sorgt die Herrscherin, indem sie den Spermienfluss in den Eileiter unterbindet und unbefruchtete haploide Eier produziert – ein Vorgang, der als Arrhenotokie bezeichnet wird (arrhenotokos, griech.: männliche Junge gebärend).

Fortpflanzung von Cataglyphis cursor | Die Regentinnen der Ameisenart Cataglyphis cursor vermögen drei Fortpflanzungsstrategien einzusetzen: Männchen produzieren sie durch Arrhenotokie, die Schar der Arbeiterinnen auf geschlechtlichem Wege, und für Königinnennachwuchs nutzen sie die Thelytokie.
Weit weniger bekannt ist hingegen eine andere Form der Jungfernzeugung: die Thelytokie (thelytokia, griech.: Gebären weiblicher Kinder). Sie erlaubt, diploide Töchter hervorzubringen, ohne auf väterliches Erbgut angewiesen zu sein, indem zwei haploide Eizellkerne nach der zweiten meiotischen Teilung miteinander verschmelzen. Eindeutig nachgewiesen wurde diese Fortpflanzungsstrategie bei den Arbeiterinnen einer Honigbienenart und fünf verschiedenen Ameisenspezies. Somit können die Kolonieangehörigen selber weiblichen und männlichen Nachwuchs produzieren – auch ohne sich zu paaren.

Eine überraschende Entdeckung machten nun Morgan Pearcy von der Freien Universität Brüssel und seine Kollegen, als sie die europäische Ameisenart Cataglyphis cursor näher studierten. Die Kolonien dieser häufigen Bewohner trockener Wälder bestehen gewöhnlich aus einer einzigen Königin und bis zu 3000 Arbeiterinnen. Doch nur wenige Staaten bringen eine kleine Anzahl neuer Herrscherinnen hervor. Denn die Regentinnen paaren sich in der Nähe des elterlichen Nestes, bevor sie die alte Kolonie mit erwachsenen Mitgliedern verlassen und in 3,2 bis 11,3 Meter Entfernung eine neue gründen. Ist ein Staat verwaist, vermögen die weiblichen Angehörigen sowohl Arbeiterinnen als auch Königinnen zu produzieren, belegten frühere Studien.

Im Süden Frankreichs sammelten die Forscher 38 große Ameisenkolonien ein und untersuchten bei 532 Arbeiterinnen jeweils vier höchst vielgestaltige Genorte ihres Erbmaterials. Wie die Analysen offenbarten, beherbergten drei Staaten Nachwuchs von mindestens zwei Monarchinnen. Die übrigen 35 Kolonien enthielten hingegen nur eine einzige, sich fortpflanzende Königin. Und diese hatte den Großteil der Kinderschar jeweils auf sexuellem Wege gezeugt: Insgesamt 476 von 489 Arbeiterinnen – dies entspricht 97,3 Prozent – wiesen Allele auf, die nicht von der Mutter, sondern von einem ihrer Partner stammten. Einige oder gar alle der restlichen 13 Arbeiterinnen sind wahrscheinlich durch ungeschlechtliche Vermehrung entstanden, vermuten die Wissenschaftler.

Zehn der 35 Kolonien mit einem Oberhaupt brachten zudem 56 neue Königinnen hervor. Im Gegensatz zu den gewöhnlichen Nestinsassen hatten sich 54 dieser zukünftigen Herrscherinnen jedoch nicht durch sexuelle Fortpflanzung entwickelt, denn die Allele der untersuchten Genorte ließen sich alle der Mutter zuschreiben. Folglich müssen sie infolge einer Jungfernzeugung entstanden sein. Offensichtlich vermögen die Regentinnen drei Fortpflanzungsstrategien einzusetzen: Männchen produzieren sie durch Arrhenotokie, die Schar der Arbeiterinnen auf geschlechtlichem Wege und für Königinnennachwuchs nutzen sie die Thelytokie.

Doch warum schalten die Herrscherinnen zwischen den einzelnen Mechanismen hin und her? Wahrscheinlich – so spekulieren die Forscher – profitiert die Kolonie davon, wenn die Arbeiterinnen sexuell entstehen, denn diese Reproduktionsform erhöht generell die genetische Vielfalt und die gesamte Fitness. Eine nützliche Voraussetzung, sind doch die gewöhnlichen Staatsangehörigen in hohem Maße verschiedenen physikalischen Umgebungen, aber auch biologischen wie sich schnell anpassenden Parasiten ausgesetzt.

Die ungeschlechtliche Vermehrung scheint indes eine bessere Option zu sein, um neue Herrscherinnen hervorzubringen. Schließlich verbleiben diese generell in der geschützten Umgebung des Nestes, genetische Vielfalt ist für ihr Überleben somit weniger wichtig. Ihnen kann die Mutter folglich ihre Gene vererben, ohne sie mit fremdem Erbgut zu vermischen. Kurzum: Die C.-cursor-Königinnen genießen den Vorteil von Sexualität, wo er am meisten gebraucht wird, und den Nutzen von Thelytokie, wo er am erschwinglichsten ist. Ob auch andere Ameisenarten diese ausgeklügelte Strategie verfolgen, bleibt vorerst noch rätselhaft.

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