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Kommentar: Es ist nicht genug, einfach mehr Nahrung zu produzieren

Jeffrey D. Sachs
Ende September 2009 veröffentlichten Johan Rockström und seine Kollegen vom Stockholmer Forschungszentrum für Nachhaltigkeit in Nature eine Aufstellung von 10 "planetary boundaries": Maximalwerte für schädliche Eingriffe des Menschen in die Ökosysteme der Erde, etwa für den Ausstoß von Treibhausgasen oder die Ausweitung von Agrarflächen. Mehrere dieser Grenzen hat die Menschheit allerdings bereits heute überschritten und ist auf dem bestem Weg, auch die meisten der anderen bald hinter sich zu lassen. Eine wichtige Rolle bei dieser Entwicklung spielt der wachsende globale Bedarf an Nahrungsmitteln.

Dank der schnellen technischen Entwicklung in der Landwirtschaft seit den 1950er Jahren konnten sich auch viele Entwicklungsländer bisher ausreichend mit Lebensmitteln versorgen. Doch die Technik hält bereits heute vielerorts kaum noch Schritt mit der weiter wachsenden Bevölkerung und vor allem mit der immer größeren Nachfrage nach Fleisch. Genau hiervor warnte bereits der berühmte Agrarwissenschaftler Norman Borlaug, als er im Jahr 1970 für seine für Entwicklungsländer entwickelten Getreidezüchtungen den Friedensnobelpreis erhielt: "Im Kampf gegen den Hunger wird kein Fortschritt von Dauer sein", so Borlaug in seiner Rede, "bis die Organisationen zur Förderung der Nahrungsproduktion und diejenigen zur Vermeidung von Überbevölkerung an einem Strang ziehen."

Doch bislang waren die gemeinsamen Anstrengungen bestenfalls widersprüchlich, manchmal fanden sie schlicht überhaupt nicht statt. In Indien etwa wiegt die Verdopplung der Bevölkerung seit 1970 die in gleichem Maß gestiegene Getreideproduktion genau auf. In einigen großen Regionen, insbesondere im Afrika südlich der Sahara, liegt die Nahrungsmittelerzeugung pro Kopf heute sogar unter dem Stand von vor vierzig Jahren. Die Gesamtbevölkerung der Erde wuchs in diesem Zeitraum von 3,7 auf 6,9 Milliarden Menschen und in jedem Jahr kommen derzeit weitere 80 Millionen hinzu, die ernährt werden wollen.

In gleichem Maße steigen daher auch agrarbedingte Umweltschäden. Rund ein Drittel der menschgemachten Treibhausgase entsteht bei Herstellung, Verarbeitung und Transport von Lebensmitteln: Kohlendioxid beim Brandroden von Wäldern für neue Anbauflächen, Methan aus gärendem Schlamm in Reisfeldern und den Mägen von Zuchtvieh, Stickoxide aus Kunstdünger. Mit jedem natürlichen Landstrich, der Feldern weichen muss, sinkt die Artenvielfalt an Land, während die Überdüngung von Feldern Ähnliches in Flüssen und Meeren anrichtet. Nicht zuletzt gehen rund 70 Prozent des weltweiten Wasserverbrauchs auf das Konto des Nahrungsmittelanbaus, was bereits heute in vielen Regionen dazu geführt hat, dass die Spiegel von Grundwasser, Seen und Flüssen bedenklich gesunken sind.

Zusammengefasst zeigt sich, dass die zuerst als "Grüne Revolution" gefeierten Errungenschaften des modernen Ackerbaus keineswegs die Probleme der weltweiten Überbevölkerung gelöst haben. Es ist nicht genug, einfach mehr Nahrung zu produzieren. Wir müssen gleichzeitig das Bevölkerungswachstum stoppen und zudem noch die ökologischen Schäden durch Landwirtschaft verringern – eine dreifache Herausforderung also.

"Vor allem eine veränderte Ernährung könnte helfen"

Um die Zahl der Menschen auf der Erde bis 2050 bei rund acht Milliarden zu stabilisieren, müssen sich vor allem die Geburtenraten in Drittweltländern schnell verringern. Möglich wäre dies durch besseren Zugang zu Verhütungsmitteln, mehr Bildung speziell bei Frauen und Mädchen und eine gesenkte Kindersterblichkeit, damit Eltern sich auch mit wenigen Nachkommen abgesichert fühlen.

Zahlungen an arme Regionen könnte deren Bewohner von der Versuchung abhalten, mehr und mehr ihrer Wälder abzuholzen. Verzicht auf Intensiv-Landwirtschaft zugunsten von pflugfreier Aussaat (siehe Bodenschutz durch Verzicht auf Pflügen", SdW 5/2009, kostenfreier pdf-Download) könnte Landschaften und Artenvielfalt schützen. Effizienterer Einsatz von Bewässerung und Düngemitteln könnte den globalen Wasserkreislauf entlasten. Vor allem könnte jedoch eine veränderte Ernährung des Menschen mit weniger Fleisch die nötigen Anbauflächen deutlich verkleinern, denn zur Produktion von einem Kilogramm Rindfleisch bedarf es bis zu 16 Kilogramm pflanzlichen Futters. Positive Nebenwirkungen wären ein geringerer Ausstoß von Methan durch die Tiere und zudem eine verbesserte Gesundheit des Menschen.

Nur enorme staatliche und private Anstrengungen könnten all diese Änderungen ermöglichen. Im Geiste der großen Leistung von Norman Borlaug, der 2009 im Alter von 95 Jahren starb, sollten wir uns mit doppeltem Eifer daran machen, das von ihm ersehnte Ziel einer Welt ohne Hunger zu erreichen. Denn die Tür zu einer nachhaltigen Entwicklung ist im Begriff sich zu schließen.

Jeffrey D. Sachs ist Direktor des Earth Institute an der New Yorker Columbia University.

Dieser Beitrag ist im Original im Scientific American erschienen.

Übersetzung: Ralf Strobel

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