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Soziobiologie: Mütterliche Aggression als Vorteil

Hyänen an der Beute
Männchen bilden gemeinhin das starke Geschlecht, Weibchen das schwache, dieses Muster hat sich in der Evolution immer wieder bewährt. Auch wenn es die Löwinnen sind, die auf die Jagd gehen und das Rudel ernähren, dominieren dennoch die stärkeren und aggressiveren Männchen. Doch keine Regel ohne Ausnahmen: Die Tüpfel- beziehungsweise Fleckenhyäne (wissenschaftlich Crocuta crocuta) lebt in festen Gruppen von Müttern und Töchtern, die das Revier verteidigen. In einem solchen "Clan" geborene Männchen werden mit Eintritt der Geschlechtsreife vertrieben; zugewanderte werden zwar akzeptiert, nehmen aber einen niedrigeren Rang ein als selbst das jüngste ausgewachsene Weibchen.

Weibchen mit Scheinpenis

Zu den Auffälligkeiten im Verhalten gesellt sich eine ungewöhnliche Anatomie: Weibchen und Männchen sind im Genitalbereich nur für Geübte zu unterscheiden. So sind die Schamlippen verwachsen und ähneln dadurch einem Hodensack, die Vagina ist mit der Harnröhre zu einem Urogenitalgang verschmolzen, der normalerweise nur bei Männchen vorkommt. Dieser Gang führt durch die Klitoris, die zum so genannten Scheinpenis anwächst und fast die Länge des männlichen Glieds erreicht.

Ein Scheinpenis | Der Scheinpenis der weiblichen Tüpfelhyänen ragt ungewöhnlich weit aus ihrem Unterleib hinaus. Um die Weibchen zu begatten, müssen die Männchen den exakten Paarungswinkel treffen. Das Junge muss sich bei der Geburt duch den stark gebogenen Geburtskanal kämpfen, der auch durch den Kitzler führt.
Die Kopulation fällt den Männchen schwer, denn sie müssen exakt den richtigen Winkel treffen, um in den erigierten Scheinpenis einzudringen. Ohne die Geduld und Balance der Partnerin purzeln sie unverrichteter Dinge herab. Da es ihnen infolgedessen unmöglich ist, die Paarung zu erzwingen, kann sich eine weibliche Tüpfelhyäne ihren Begatter weit besser aussuchen als Weibchen anderer Tierarten. Doch die anatomische Besonderheit bringt auch schwere Nachteile mit sich, denn der Geburtskanal führt durch den engen Kitzler und biegt sich am Becken um fast 180 Grad. Die Klitoris muss deshalb für eine erfolgreiche Geburt einreißen, ansonsten stirbt das Junge im Körper der Mutter. Die Heilung der Wunde dauert eine lange Zeit, in der Infektionen drohen.

In der Evolution können sich derart problematische Verhältnisse nur entwickeln, wenn sie enorme Überlebensvorteile mit sich bringen. Manche Forscher halten das auffällige Begrüßungsritual der Tüpfelhyäne mit erigiertem Geschlechtsorgan für den Grund. Da es Unterwerfung ausdrückt, erleichtert es den Zusammenhalt in der Gruppe und die Versöhnung nach Streitigkeiten. Es war für Weibchen anscheinend essenziell, auch an solchen Praktiken teilnehmen zu können. Andere Wissenschaftler vermuten, die scheinbar männlichen äußeren Organe entstanden im Zusammenhang mit dem extrem aggressiven Verhalten der Weibchen. Dieses beruht nämlich auf ungewöhnlich hohen Konzentrationen des männlichen Geschlechtshormons Testosteron im Blut der Tiere.

Aggressive Mütter sind die besten

Weibchen sind die Stärksten | Bei den Tüpfelhyänen dominieren die weiblichen Tiere, der Klan wird entsprechend von einem Alpha-Weibchen angeführt. Sie erhöht mit ihrem aggressiven Auftreten die Überlebenschancen ihrer Jungen.
Starke, offensive Weibchen gebären ebenso aggressive Töchter; diese nehmen ausgewachsen sogar einen ähnlich hohen Rang in der Hierarchie des Clans ein wie die Mutter. Vermutlich ist dies kein genetisch, sondern ein epigenetisch vererbtes Verhalten. Das erwähnte jedenfalls Eva Jablonka, Genetikerin an der Tel Aviv University in Israel, in ihrem Vortrag auf der Joint Conference on Science and Society des European Molecular Biology Laboratory (EMBL) am 5. und 6. November in Heidelberg (siehe auch den Vortragsbericht Warum gibt es zwei Geschlechter?). Eine besonders hohe Testosteronkonzentration im Blut der Mutter kurz vor der Geburt könnte dafür sorgen, dass für die Produktion dieses Hormons zuständige Gene in den Chromosomen der Tochter anders verpackt und deshalb zeitlebens häufiger abgelesen werden.

Heather Watts von der Michigan State University in East Lansing, USA, ist der Ansicht, dass die enorme Aggressivität für die Hyänenweibchen einen Vorteil im Kampf um Nahrung bedeutet. Die Beutetiere sind rar und müssen schnellstmöglich verschlungen werden, um sie nicht an Löwen und andere Konkurrenten zu verlieren. Eine aggressive Mutter kann sich außerdem gegen Männchen und rangniedrigere Weibchen leichter durchsetzen, somit mehr Fleisch für sich und ihre Jungen erstreiten. Unter diesen Voraussetzungen kann sie auch viel Testosteron produzieren. Tatsächlich zeigt die Statistik: Die Nachkommen weniger angriffslustiger Muttertiere verhungern häufiger. Das macht die Aggressivität zu einem wichtigen Trumpf, der es wert ist, auch einige Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen.

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