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Wintereinbruch: Eisige Kälte wohl bis März

Die derzeitige Kälte könnte länger dauern - wegen einer Hitzewelle in 20 Kilometer Höhe. Sie lässt kurzfristig den Polarwirbel zusammenbrechen.
Eiskruste auf Außenspiegel und Scheibenwischer eines Autos

Früher nannte man es einfach Winter, heute fragen sich die Leute, warum es plötzlich so kalt wird: Strenge Nachtfröste in Teilen Deutschlands sind angekündigt, sogar bis über den meteorologischen Frühlingsbeginn am 1. März hinaus. Dafür wird es nach einem nicht nur gefühlt ungewöhnlich düsteren und feuchten Winter immerhin sonnig.

Klares, kaltes Winterwetter ist im europäischen Winter keineswegs untypisch. Die aktuelle Kälte hängt allerdings mit einem erst seit wenigen Jahren bekannten, kuriosen Phänomen in der hohen Atmosphäre über dem Nordpol zusammen: einer als Plötzliche Stratosphärenerwärmung (Sudden Stratospheric Warming, SSW) bekannten Temperaturanomalie. Dabei steigt die Temperatur in der unteren Stratosphäre in etwa 20 Kilometer Höhe um bis zu 50 Grad Celsius an. Das war in der letzten Woche der Fall – und wenn sich die polare Stratosphäre erwärmt, wird es bei uns oft sibirisch kalt.

Kurzzeitige Strömungsumkehr

Die Plötzliche Stratosphärenerwärmung schwächt die von West nach Ost laufende Strömung entlang der Polarfront ab und kehrt sie sogar um. Das prägt sich durch bis zum Erdboden: Dadurch strömt statt feuchter Luft vom Atlantik auf einmal trockene, kalte Luft aus Sibirien Richtung Europa, und es wird hier zu Lande für einige Tage kühl und sonnig – bis sich die Wetterlage normalisiert. Vom ersten Anzeichen bis zum ebenso abrupten Abklingen dauert die SSW zirka sechs bis acht Wochen.

Bisher trat so eine Anomalie unregelmäßig etwa alle zwei Jahre auf, es gibt aber einige Indizien dafür, dass diese winterlichen Kälteperioden und die mit ihnen verbundenen stratosphärischen Hitzewellen mit dem Klimawandel zunehmen: Zum einen zeigen Daten, dass lange Warm- und Kaltperioden häufiger werden. Außerdem scheint es einen Zusammenhang zwischen SSW und tropischen Monsunzyklen zu geben, die wiederum durch den Klimawandel beeinflusst werden.

Obwohl es einen klaren statistischen Zusammenhang zwischen der plötzlichen Wärme in der Höhe und Kältewellen in Europa gibt, ist die SSW selbst nicht die Ursache der Kälte am Boden. Der Lebenszyklus einer Plötzlichen Stratosphärenerwärmung beginnt auf Meereshöhe, und zwar mit andauernden großen Temperaturunterschieden in den gemäßigten Breiten, zum Beispiel zwischen Land und Meer. Im Januar suchten extreme Kältewellen die Ostküste der USA und Sibirien heim, im Westen der USA, in Europa und über den Ozeanen dagegen war es mild.

Schleifen im Jetstream

Solche Unterschiede zwingen den subpolaren Jetstream, jenen Strahlstrom, der in acht bis zehn Kilometer Höhe von West nach Ost die Polargebiete umkreist, in ausladende Schleifen. Je weiter diese als Rossby-Wellen bezeichneten Mäander polwärts reichen, desto eher entsteht eine SSW. Wenn sich die Welle in der Polarregion bricht, schickt sie eine neue planetare Welle aufwärts in die Stratosphäre.

Dort kehrt die Welle die stratosphärische Zirkulation von West nach Ost um, so dass sich der stratosphärische Polarwirbel abschwächt, aufzulösen beginnt und teilweise nach Westen rotiert. Die Corioliskraft zwingt die so umgesteuerten Luftmassen zum Absinken Richtung Nordpol, wo sie durch den Druckanstieg die untere Stratosphäre drastisch erwärmen. Dadurch ist diese Region plötzlich am Pol wärmer als in niedrigeren Breiten – und diese Umkehrung des Temperaturgefälles dreht auch die Winde entlang der Polarfront Richtung Westen.

Simulation des Jetstreams | In der Computersimulation, hier vom Goddard Space Flight Center der NASA, stellt sich die Wellenbewegung des zirkumpolaren Jetstreams noch eindrucksvoller dar als in der Realität.

Auf diese Weise schwächt sich während einer Plötzlichen Stratosphärenerwärmung kurzzeitig der gesamte Polarwirbel vom Erdboden bis in 50 Kilometer Höhe deutlich ab, und das kann winterliche Kälte hier zu Lande deutlich verschärfen. Statt warmer Atlantikluft führt ein stabiles Hoch über Nordeuropa Luft von Osten heran, die oft kalt und trocken ist. Sie beschert uns nun doch noch eine Portion Winter.

Wie kalt eine solche Episode bei uns auf dem Boden wird und wie lange die sibirische Kälte hält, hängt stark davon ab, welche Luftmassen zu uns geführt werden. Derzeit deutet einiges darauf hin, dass es eine Weile kalt bleibt. Angesichts dessen sollte man den vermeintlichen Frühlingsanfang am 1. März ignorieren und stattdessen zum Himmel aufblicken: Astronomisch nämlich beginnt der Frühling mit der ersten Tag-und-Nacht-Gleiche am 20. März. Da ist es dann schon wieder wärmer.

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